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Krieg - Werkzeuge und Ursachen

Ein trauriges Kapitel des Menschen

Einem Krieg liegen stets wohlüberlegte Entwürfe und Strategien zugrunde. Was heute in Europa, Afrika und anderen Teilen der Welt geschieht, ist kein zufälliges Produkt. Dahinter stecken Interessen von Regierungen, die ihre Ziele verfolgen und zu diesem Zweck davor, währenddessen und danach Falschinformationen verbreiten. Gerd Schultze-Rhonhof legt dar, dass dies auch im Fall Deutschlands bezüglich beider Weltkriege Fakt ist.

Gerd Schultze-Rhonhof

Ehemaliger Generalmajor der Bundeswehr und Autor des Buches ›Der Krieg, der viele Väter hatte‹



Sehr geehrter Herr Schultze-Rhonhof, in ihrem Buch ›Der Krieg, der viele Väter hatte‹, decken Sie auf, dass der Ausbruch des 2. Weltkriegs sich völlig anders darstellt, als es den Deutschen in Schulen und Mainstream-Medien immer wieder eingetrichtert wird. Sie erwähnen den russischen Historiker Sergejew Kowaljow, der 2009 feststellte, dass dieser Krieg deshalb ausbrach, weil sich damals Polen weigerte, den, wie er sagt, höchst gemäßigten und begründeten deutschen Forderungen stattzugeben. Um welche Forderungen handelte es sich damals?

Gerd Schultze-Rhonhof:
Die Reichsregierung – Hitler – hatte im Oktober 1938 das damals noch mit Deutschland verbündete Polen gebeten, der Wiedereingliederung Danzigs nach Deutschland zuzustimmen, eine exterritoriale Verkehrsanbindung Ostpreußens durch den sogenannten polnischen Korridor unter deutscher Hoheit und Regie zu erlauben und die Einhaltung der Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen sicherzustellen.

Polen hatte nach Versailler Vertrag eine Reihe von Wirtschaftsvorrechten im ansonsten selbständigen Kleinstaat Danzig bekommen. Im Übrigen hatte Danzig zu der Zeit eine zu 97 Prozent deutsche Bevölkerung. Hitler hatte vorgeschlagen: »Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.« Sein Gegenangebot dafür: »Die Verlängerung des deutsch-polnischen Bündnisses von 10 auf 25 Jahre und die Anerkennung der in Versailles auferlegten deutschen Gebietsabtretungen an Polen.« Polen hat diesen Vorschlag 10 Monate lang bis Kriegsbeginn abgelehnt.

Der Gründer des privaten US-Think Tank ›Stratfor‹, George Friedman, trifft die Aussage, dass seit 100 Jahren versucht wird, Deutschland und Russland von einer Annäherung abzuhalten, da diese Länder zusammen die Vorherrschaft der USA gefährden können. Kann es sein, dass damals gewisse Kreise Polen anhielten, der deutschen Forderungen nicht nachzugeben, um so den 2. Weltkrieg auszulösen?

Schultze-Rhonhof:
Eine deutsch-russische Achse wäre sicher allen westlichen Mächten ein Graus gewesen. In den 30er Jahren war ein solches Bündnis aber höchst unwahrscheinlich. In den 30er Jahren ging es mehr darum, den deutschen Wiederaufstieg auszubremsen, der ja das Ergebnis des 1. Weltkriegs auf den Kopf stellte. Die USA betrieben ab 1935 und Frankreich, Polen und die Tschechoslowakei ab Mitte der 20er Jahre planerische Vorbereitungen für einen neuen Krieg gegen Deutschland. Und 1939 waren es die USA, England und Frankreich, die Polen wiederholt aufgefordert haben, den deutschen Forderungen nicht nachzugeben. Dem US-Präsident Roosevelt ging es dabei nachgewiesener Maßen bewusst um die Auslösung eines neuen Krieges gegen Deutschland.

Wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen unterbreitet Hitler das Angebot, den Krieg gegen Entschädigung der Kriegsschäden sowie Rückzug der Soldaten zu beenden, wenn Danzig wieder deutsch und eine exterritoriale Verkehrsverbindung nach Ostpreußen eingerichtet wird. Dieses Angebot wurde ausgeschlagen. Ungeheuerlich ist, dass es zu diesem Angebot keine schriftlichen Belege mehr gibt. Diese wurden von den späteren Siegern „entsorgt“. Lediglich eine 1955 vom damaligen Überbringer des Angebots, Dr. Fritz Hesse, erstellte Niederschrift existiert noch. Ein klarer Hinweis von Geschichtsfälschung der Alliierten, die diesen Krieg eskalieren lassen wollten?

Schultze-Rhonhof:
So ganz ist den Briten ihr späteres Leugnen des Hitler-Angebots vom 2. Kriegstag, die deutschen Truppen wieder aus Polen zurückzuziehen, nicht gelungen. Nachdem die Engländer Herrn Hesse im Nürnberger Prozess nicht als Entlastungszeugen zugelassen hatten und jahrelang die Hesse-Mission und Hitlers Angebot abgestritten hatten, haben sie später doch einen Aktenvermerk über Hesses Erscheinen im Vorzimmer des englischen Premierministers veröffentlicht. Die Veröffentlichung der Memoiren Dr. Hesses hatte sie wohl dazu gezwungen. Der Rest der Dokumente über diesen Vorgang war aber nach englischen Angaben angeblich nicht auffindbar.

Hitler wird die Besetzung des Rheinlands als Machtdemonstration ausgelegt. In Ihrem Buch erwähnen Sie, dass es französisch-sow­jetische Pläne gab, nach denen Frankreich durch das Rheinland marschiert und in Richtung Tschechoslowakei vorstößt, wo es sich mit den Sowjets vereint. Diese Pläne wurde durch den deutschen Geheimdienst aufgedeckt. Demnach hat Hitler am 7. März 1936 beim Einmarsch der Wehrmacht ins Rheinland lediglich auf eine Bedrohung reagiert. Ein weiterer Fall von Geschichtsverdrehung?

Schultze-Rhonhof:
Das nach dem 1. Weltkrieg zunächst von den Siegern besetzte Rheinland, das anschließend „entmilitarisiert“, also frei von deutschen Truppen bleiben musste, war eine der zwei militärischen Achillesfersen der Weimarer Republik. Mit ihm stand den Siegern im Falle eines Krieges der Weg ins Ruhrgebiet und auch der Weg quer durch Deutschland offen. Belgier und Franzosen hatten das Ruhrgebiet schon zweimal während des „Versailler Friedens“ durchs ungeschützte Rheinland besetzt, einmal, weil Deutschland 1,6 Prozent der fälligen Reparationen fürs laufende Jahr nicht geliefert hatte. Das Rheinland ohne deutsche Truppen war also ein reales Sicherheitsproblem für Deutschland.

Heute wissen wir, dass die gemeinsame Eventualplanung der Franzosen und der Polen ab 1925 auf dem ›Foch-Plan‹ beruhte, der einen Zangenangriff durch das Rheinland von der einen und Polen von der anderen Seite vorsah. Ab 1935 erarbeitete der französische Generalstab anlässlich des Besuchs des sowjetischen Marschalls Tuchatschewski in Paris einen weiteren Eventualplan, der einen französischen Einmarsch durch das ungeschützte Rheinland und einen Vormarsch in Richtung Tschechoslowakei vorsah, wo sich die französischen Truppen mit den dort einmarschierten, verbündeten Russen vereinigen sollten.

Seit ein paar Jahren ist außerdem bekannt, dass die USA ihre ersten Kriegsstudien gegen Deutschland 1935 und 1936 auf der Annahme eines erfolgreichen französischen Angriffs über die ungeschützte Rhein-Grenze aufgebaut hatten. So war die Entsendung von zunächst nur drei Bataillonen, die den Rhein 1936 nach Westen überquerten, wohl kaum eine Demonstration von Macht. Sie war ein Gebot der deutschen Sicherheit. Die zweite Achillesferse war übrigens die ungenügende Verteidigungsstärke des 100.000-Mannn-Heeres, das den Heeren Frankreichs und der mit Frankreich gegen Deutschland verbündeten Staaten 1 zu 12 unterlegen war.

Der Einmarsch der deutschen Armee ins Sudetenland ist eigentlich ein Vorgang, dessen Ursache in Versailles zu suchen ist. Dort hatten die Tschechen 1918 falsche Angaben zu den im Sudetenland lebenden Ethnien gemeldet und das Gebiet für sich beansprucht, obwohl dort überwiegend Deutsche wohnten. Wäre das Gebiet korrekterweise Deutschland zugeschlagen worden, hätte sich die Geschichte sicher nicht so ereignet. Wie sehen Sie das?

Schultze-Rhonhof:
Zunächst hätten die deutschsprachigen Teile Böhmens bei Österreich bleiben müssen, wozu sie auch vor 1918 gehört haben. Deutschland kam nur deshalb ins Spiel, weil die Sudetengebiete direkt an Deutschlands Grenzen lagen, und weil sie durch die Abtrennung Böhmens von Österreich keine Grenzberührung mehr mit dem Mutterland Österreich hatten. Die Tschechen haben sich durch Betrug gegenüber den Slowaken und falsche Angaben gegenüber den Siegern, was die Bevölkerungszahl und die Siedlungsgebiete der Sudetendeutschen betraf, ihren neuen Staat Tschechoslowakei in Versailles erschwindelt.

Anschließend haben sie das Land, in dem sie nur die Hälfte der Bevölkerung stellten, als Selbstbedienungsladen behandelt, sodass schon Mitte der 30er Jahre die Slowaken, die Ungarn, die Karpato-Ukrainer und die Sudetendeutschen diesen Staat verlassen wollten, also 50 Prozent der Einwohner der Tschechoslowakei, der CSR. Die Slowaken und die Karpato-Ukrainer haben deshalb auch 1939 ihre Unabhängigkeit erklärt, und der Staat Ungarn hat sich seine ungarische Minderheit zurückgeholt, wie es das Deutsche Reich mit den Sudetendeutschen getan hat.

Es ist ein Jammer und war ein großes Unrecht, dass Hitler im März 1939 auch den Rest der CSR hat besetzen lassen. Damit hat er den USA, England und Frankreich einen Grund geliefert, eine anschließende friedliche Danzig-Lösung zwischen Polen und Deutschland zu blockieren. Daran hat sich sechs Monate danach der 2. Weltkrieg entzündet.


Zum Ende des 1. Weltkriegs wurde von US-Präsident Wilson ein 14-Punkte-Plan vorgelegt, den Deutschland akzeptierte. Die kriegsmüde Armee war unbesiegt und stand noch in Frankreich und Belgien. Vertrauend auf Wilson wurde die Armee zurückgezogen und aufgelöst. Warum hat sich Deutschland dann trotz der Wilson-Versprechen auf den Friedensschluss mit dem für Deutschland absolut vernichtenden Versailler Vertrag eingelassen?

Schultze-Rhonhof:
Hier war Deutschland tatsächlich von seinen Kriegsgegnern betrogen worden. Vor dem Waffenstillstand von 1918 hatten die amerikanische und die deutsche Regierung je fünf mal Noten ausgetauscht und sich gegenseitig auf die 14-Punkte-Friedensregelungen von Wilson festgelegt. Wilson hatte auch den Eindruck vermittelt, er spreche ebenfalls für seine Alliierten, die Engländer und Franzosen. Damit hatte der Wilson-Vorschlag den Charakter eines Friedens-Vorvertrags. Kaum hatten sich die deutschen Truppen aus Frankreich und Belgien zurückgezogen und begonnen zu demobilisieren, war von Wilsons 14 Punkten keine Rede mehr.

Es gab keine Friedensverhandlungen, sondern die Reichsregierung wurde gezwungen, die alleinige Schuld Deutschlands am Kriegsausbruch anzuerkennen und den furchtbaren Versailler Vertrag zu unterschreiben. Der Vertrag hatte die Abtretung von 7,8 Millionen Deutschen an Nachbarstaaten, Sachwert-Reparationen ohne Ende und Geld-Reparationen bis ins Jahr 2010 zur Folge. Warum Deutschland das damals akzeptiert hat, liegt auf der Hand. Mit der als Vorleistung erbrachten Demobilisierung seiner Truppen war Deutschland erpressbar geworden.

Die USA schickten ständig neue, frische Truppen und Waffen in den Krieg, sodass er für Deutschland nicht mehr zu gewinnen war. England blockierte völkerrechtswidrig alle deutschen Häfen und ließ keine Nahrungsmittel-Importe mehr ins Land, wodurch hier eine Hungersnot mit 800 000 Hungertoten ausbrach, und in Deutschland war inzwischen die Revolution ausgebrochen. Deutschland stand in Versailles mit dem Rücken zur Wand und hatte keine andere Wahl.

Nun ist der 2. Weltkrieg schon 70 Jahre vorbei und immer noch hat Deutschland keinen Friedensvertrag. Sollte es nicht endlich soweit sein, dass dieser abgeschlossen wird?

Schultze-Rhonhof:
Es war ein geschickter Schachzug der zwei deutschen Regierungen von 1990, sich auf keine Verhandlungen zu ­einem Friedensvertrag mit allen Kriegsgegnern von 1945 einzulassen. Bei den dazu nötigen Verhandlungen hätten die meisten ehemaligen Kriegsgegner „alte Rechnungen“ mit uns aufgemacht und wir hätten Reparationen ohne Ende zahlen müssen. Auch hätten zahllose deutsche Parlamentarier, Teile der eigenen Presse und Persönlichkeiten, die wie unser jetziger Bundespräsident veranlagt sind, gefordert, dass wir diesen Reparationsforderungen nachkommen. Wir hätten die Büchse der Pandora zu Lasten des deutschen Volks geöffnet. Auch der Abzug aller ehemaligen Besatzungstruppen aus Deutschland ist problematisch. Es sollten nur so viele fremde Soldaten auf deutschem Boden zugelassen werden, wie auch wir deutsche Soldaten ständig in verbündeten Staaten unterhalten.

Die Bundeswehr wurde seit den 1990er Jahren massiv vernachlässigt. Das Material ist komplett veraltet und kriegsuntauglich. Zudem wurden in die Bundeswehr Menschen aufgenommen, die heute in der Unkraine oder beim Islamischen Staat kämpfen. Was läuft falsch?

Schultze-Rhonhof:
Dass einzelne, ehemalige BW-Soldaten in der Ukraine oder beim Islamischen Staat mitmachen, ist zwar ein „Medien-Aufreger“, aber kein Problem der BW. Das Problem der BW ist, dass sich weder die Politik noch die Bevölkerung in ihrer Mehrheit für die Soldaten und für deren Ausrüstung interessieren. Politiker aller Parteien sind seit 1990 mit Konversionen, Friedensdividenden, Outsourcen von Militäraufgaben, „Friedenserziehung“, Abschaffung der Wehrpflicht und Ächtung der Wehrmacht auf Stimmenfang gegangen.

Sie haben die BW verantwortungslos zum Skelett heruntergewirtschaftet. Von unseren ehemals 14 Kampftruppendivisionen ist eine einzige geblieben. Das Heimatschutzheer ist aufgelöst. Luftwaffe und Marine sind ebenfalls zu einem Rest geschmolzen. In den anderen Staaten der EU sieht es nicht anders aus. Wer kein angemessenes Militär besitzt, ist erpressbar und kann zur Beute werden. Wenn es wieder zu Konflikten kommt, muss Westeuropa nach der Pfeife anderer Mächte tanzen.

Was für den Zustand der Truppe gilt, gilt genauso für ihre Bewaffnung und die deutsche Rüstungsindustrie. Nur die Bürger, die hinter Deichen wohnen, wissen, dass die Deiche immer halten müssen, und sie halten sie instand. Die Inländer glauben, sie könnten militärisch auf Dauer ohne Deiche leben.

Die Wiedervereinigung Mittel- und Westdeutschlands war nur deshalb friedlich möglich, weil damals mit Michail Gorbatschow ein umsichtiger Lenker im Kreml saß. Damals war der Frieden in Europa mit Händen zu greifen. Heute jedoch ist dieser so unsicher wie schon lange nicht mehr. Was sind die Hauptgründe für diese Entwicklung?

Schultze-Rhonhof:
Die Hauptgründe für die derzeitige Tendenz zur internationalen Unsicherheit sehe ich in vier Entwicklungen. Zum Ersten wollen sich viele ehemalige Satellitenstaaten und Teilrepubliken der Sowjetunion verständlicherweise an den Westen anlehnen. Zum Zweiten nutzen das die EU, die NATO und mit ihr die USA aus, indem sie ihre Vertragsgebiete oder zumindest ihre Einfluss- und Interessengebiete ständig weiter in Richtung auf Russland und China ausdehnen, ohne dabei Russlands Interessen zu respektieren. Zum Dritten versuchen die USA und ihre „Koalitionen der Willigen“ in vielen Staaten Asiens und Nordafrikas Regierungen durch sogenannte Systemwechsel auszutauschen.

Sie erzeugen dabei in der Regel Bürgerkriege und Flüchtlingsströme. Zum Vierten erstarken Russland und China und zahlen dem Westen seine Expansionsbemühungen zum Teil in ähnlicher „Münze“ heim. Wo sich Einflusszonen verschieben und wo man zwischen Großmächten keine neutralen Pufferstaaten lässt, wird es immer wieder Bürgerkriege und heiße Kriege geben. Die EU-Staaten lassen sich diesbezüglich leider in den Sog der USA ziehen.

Bezüglich der Ukraine besteht der Verdacht, dass von Seiten des „Westens“ eine massive Destabilisierung inszeniert wurde, um das Land in die EU beziehungsweise in die Nato zu zwingen. Hier werden die Interessen Russlands massiv missachtet. Die Geschichte erinnert ein wenig an den Beginn des 2. Weltkriegs, wo auch fremde Nationen verhindert haben, dass es zu einer Einigung zwischen Deutschland und Polen in ­einer wichtigen Frage kommt. Werden wir in dieser Sache einen größeren Waffengang sehen, der auch Westeuropa betreffen wird?

Schultze-Rhonhof:
Die Gefahr eines großen Waffengangs ist nicht vom Tisch, wenn auch derzeit nicht groß. Aber die Verwüstungen in der Ostukraine und die Flüchtlingsströme sind jetzt schon genug an Elend. Die Ukraine ist ein fragiler Staat gewesen und zudem der Puffer zwischen den Großmächten EU und Russland. Hier hätten EU und USA die Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Russlands achten müssen. Stattdessen haben sie mit ihrer Ostexpansion Reaktionen ausgelöst.

Nachdem der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch ein Assoziierungs- und Handelsabkommen mit der EU ausgeschlagen hatte und stattdessen einen milliardenschweren Gas-Rabatt und einen Groß-Kredit mit Russland ausgehandelt hatte, setzte eine Besucherflut von amerikanischen und EU- Politikern und Wirtschaftsleuten nach Kiew ein. Dann wurde der gewählte Präsident in ­einem Staatsstreich entmachtet, und ein Aufstand mit ausländischer Unterstützung inszeniert. Inzwischen haben die USA auch Waffen und eigene Soldaten ins Land geschafft. Es geht in dieser Auseinandersetzung nicht nur um den Anschluss der Ukraine an den freiheitlichen Westen.

Es geht vor allem um die Anpassung der Ukraine an die Industrie- und Handels-Standards der EU, um die Umorientierung des Bankenwesens, um die Privatisierung von Staatsbetrieben und ihre Verfügbarkeit für westliche Investoren. Es geht um die Abschaffung von Zöllen auf Waren aus der EU. Janukowitsch hatte die Konkurrenzfähigkeit der Ukraine bezweifelt und die nötigen Reformkosten auf 160 Milliarden Euro geschätzt, die sein Land nicht hat. Es geht letztlich um die Ausdehnung des Marktes und der Macht- und Interessensphäre Europas und der USA zu Lasten der Macht- und Interessensphäre Russlands.

Die EU spielt hier im Verein mit den USA dasselbe Spiel, wie im 1. und im 2. Weltkrieg England und die USA gegenüber Deutschland. Auch damals wurden von Amerika und England idealistische und moralische Kriegsgründe vorgegeben. Doch es ging vor allem um Wirtschaftsfragen und um die Vorherrschaft in Westeuropa.


Am 3. Oktober 2007 hielt Ex-US-General Wesley Clark eine öffentliche Rede, in der er mitteilte, dass man ihm schon im Jahre 2001 im Pentagon mitteilte, dass die USA in fünf Jahren die Regierung von sieben Staaten, nämlich die vom Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran, stürzen wollen. Die heute beobachtbaren Szenaren zeigen, dass die Pläne offenbar bereits zum Teil umgesetzt wurden. Sind die USA zu einer Bedrohung für die Welt geworden?

Schultze-Rhonhof:
Die Antwort hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Wer Demokratie für wichtiger als Frieden hält, sieht die Amerikaner als Heilsbringer und nicht als Bedrohung. Wer Frieden auf der Werteskala höher einordnet als Demokratie, muss die USA zwangsläufig als Bedrohung für einige Regionen der Erde ansehen. In allen von Ihnen aufgezählten Staaten, außer dem Iran, haben die USA keine funktionierenden Demokratien hinterlassen sondern Bürgerkriege, Destabilisierung, Chaos, Verelendung, Verwüstungen, und Flüchtlingsströme. Eine traurige Bilanz. In dem Zusammenhang ist das Buch des amerikanischen Juristen John Denson interessant: „Sie sagten Frieden und meinten Krieg, die US Präsidenten Lincoln, Wilson und Roosevelt“.

Ist Russland mit seiner Annexion der Krim und seiner Unterstützung der Ostukraine nicht zu weit gegangen? Auch unsere Wirtschaft hat jetzt unter den Folgen des rabiaten russischen Vorgehens zu leiden. Es gibt ein Embargo und das trifft inzwischen auch uns selbst.

Schultze-Rhonhof:
Die Krim-Bevölkerung war 1954 ohne Volksbefragung der Ukraine zugeschlagen worden. Nun ist sie mit Volksabstimmung zu Russland zurückgekehrt. Hier ist Putin dem Völkerrechtsprinzip des Selbstbestimmungsrechts gefolgt und hat gleichzeitig das andere Völkerrechtsprinzip der Unverletzbarkeit von Grenzen gebrochen. Dass wir Deutsche so kritisch darauf reagieren, liegt daran, dass man uns nach dem 2. Weltkrieg für genau jenes legitime Verhalten furchtbar bestraft hat.

Man hat uns die nach dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker vollzogenen Anschlüsse der Deutsch-Österreicher und der Sudetendeutschen im Nürnberger Prozess als Kriegsverbrechen angelastet. Das hat sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Beide Anschlüsse waren übrigens sofort nach dem 1. Weltkrieg von der österreichischen Nationalversammlung und den Abgeordneten der Deutschböhmen beschlossen, nach Vollzug in Volksabstimmungen von der Bevölkerungen beider Länder bestätigt und anschließend von England und Frankreich als völkerrechtskonform gebilligt worden. Soweit zur Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

Und das jetzige Embargo gegen Russland war von Anfang an eine große Dummheit. Jeder, der einen Bumerang wirft, weiß, dass er zurückkommt. Es tröstet wenigstens, dass die europäischen Regierungen die USA in ihrem Embargo-Drang bremsen.

Angeblich ist der IS von den USA gegründet worden, um den Nahen Osten zu destabilisieren. Ist dies plausibel? Wenn ja, ist der IS mittlerweile nicht mehr unter der Kontrolle der USA?

Schultze-Rhonhof:
Das Gerücht von der Gründung der IS durch US-Dienste ist zumindest glaubwürdig. Die USA, England und Frankreich haben auf der Südseite des Mittelmeers und im Nahen Osten alle Regierungen, die ihre Wirtschaftsinteressen störten oder die ihnen anders unangenehm geworden waren, stürzen lassen. Regimewechsel nennen sie das.

Zu diesem Zweck erfinden und veröffentlichen die drei Genannten falsche Beschuldigungen, lassen verfeindete oder konkurrierende Ethnien, Konfessionen und Interessengruppen durch ihre Geheimdienstleute gegeneinander aufbringen, finanzieren Oppositionen, schleusen Söldner ein und inszenieren Aufstände. Die Beispiele dazu reichen vom Umsturz in Persien 1953 bis zum Umsturzversuch in Syrien dieser Tage. Angeblich ging es dabei immer um die Einführung der Demokratie und um Menschenrechte, in Wirklichkeit ausschließlich um Machtpolitik und Wirtschaftsinteressen, und das Ergebnis waren jedes Mal Destabilisierung, Chaos, Verwüstungen und Flüchtlingsströme. Der IS als ursprünglich westliches Erzeugnis und Werkzeug passt genau in dieses Bild, auch wenn er derzeit scheinbar der Kontrolle der USA entglitten ist.

Wie wird Ihrer Meinung nach der Krieg der Zukunft aussehen? An der Grenze zwischen Nord- und Südkorea wurde ein automatisches System installiert, das Menschen erkennen kann und diese selbsttätig ins Visier nimmt. Zudem haben die USA einen offiziell als Lastenträger vorgestellten Laufroboter entwickelt, der problemlos mit automatischen Waffensystemen und einer Gesichtserkennung ausgestattet werden kann. Werden künftig Maschinen auf Menschen, Flugzeuge und Panzer schießen?

Schultze-Rhonhof:
Der Krieg der mit Menschen bemannten Panzer und Flugzeuge ist schon vor 40 Jahren totgesagt worden, und es wird ihn trotzdem so lange geben wie ärmere Staaten damit Krieg führen werden. Wohin Kriege von Nationen führen, die sich allein auf den neuesten Stand der Technik verlassen, haben die USA in Vietnam erlebt. Es ist wichtig, Kriege auf allen Stufen der Waffentechnik und mit soldatischem Geist führen zu können.

Das heißt für uns, dass wir den Anschluss an „High Tech“ nicht verpassen dürfen, aber auch die Fähigkeit zur konventionellen Kriegführung zum Beispiel in Städten, Wäldern, in Häfen und im Gebirge nicht verlieren dürfen. Wir müssen daneben den Anschluss an die Cyber-Kriegführung, an Roboterwaffen, an neue Energieträger und an die Weiterentwicklung herkömmlicher Kriegsmittel halten.

Herr Schultze-Rhonhof, vielen Dank für das Interview.

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