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Versicherer auf der Anklagebank

Die Branche zu Recht in der Kritik?

Versicherungen leiden unter einem schlechten Image. Die Fachanwältin Beatrix Hüller erläutert, ob dieses zu Recht besteht.

Rechtsanwältin Beatrix Hüller

Rechtsanwältin Beatrix Hüller hat sich auf die Rechtsgebiete ›Berufsunfähigkeit‹ und ›Unfallversicherung‹ spezialisiert. Ihr Fachwissen hat schon vielen Mandanten zum Erfolg verholfen.


Sehr geehrte Frau Hüller. Versicherungen nehmen Jahr für Jahr Unsummen von ihren Beitragszahlern ein. Wenn einmal der Schadensfall eingetreten ist, beginnt jedoch nicht selten ein unwürdiges Spiel, damit die Versicherung so wenige Leistungen wie möglich erbringen muss. Was stimmt an dem System nicht mehr?

Beatrix Hüller:
Ich stelle in meiner Anwaltspraxis fest, dass es enorm schwierig geworden ist, Leistungen zu beziehen, wobei ich mich hauptsächlich mit der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Unfallversicherung beschäftige, also mit sehr teuren Sparten. Dahinter steckt natürlich zum ­einen, dass die Versicherten es auch einmal versuchen, Leistungen zu erschleichen. Auch der Versicherungsbetrug hat sicherlich zugenommen, allerdings nicht in den von mir hauptsächlich betreuten Sparten. Da die Versicherer aber früher großzügiger reguliert haben und die Kosten und die Rückstellungen auch vor den europarechtlichen Vorgaben immer höher werden, muss irgendwo der Geldhahn zugedreht werden. Das geht wirklich häufig zu Lasten der Versicherten. Man macht die Antragsteller mürbe, indem man ständig neue Fragen stellt und Hürden aufbaut, sodass diese letztendlich nicht mehr antworten und auf ihren begründeten Anspruch verzichten. Ich glaube aber auch, dass sich die Einstellung der Versicherten gegenüber den Versicherern generell geändert hat und nicht mehr ein so großer Respekt gegeben ist bei einer Ablehnung durch den Versicherer. Die Leute beschweren sich schneller bei der Versicherungsaufsicht oder beim Ombudsmann oder wenden sich an RTL beziehungsweise die Bildzeitung. Das schafft natürlich ein raueres Klima zwischen den Parteien. Hier gibt es eigentlich kein Miteinander, sondern eher ein Gegeneinander. Da hilft es, wenn ein versierter Fachanwalt dazwischen steht.

Versicherungen beklagen, dass sie häufig betrogen werden. Ist dies nicht auch darauf zurückzuführen, dass eben auch die Versicherungen viel zu oft ihre Kunden nicht korrekt behandeln und ihnen zunächst Leistungen vorenthalten, die erst in voller Höhe mit Hilfe eines Rechtsbeistandes gewährt werden?

Hüller:
Wie soeben erwähnt, ist der Versicherungsbetrug enorm angestiegen. In jedem Fall die Bereitschaft dazu. Es gibt mehrere Seminare, die sich mit diesen Themen beschäftigen und in denen die Mitarbeiter der Versicherungen geschult werden. Auch Detektivbüros schießen wie die Pilze aus dem Boden und bieten insoweit ihre Dienste an; diese wollen natürlich auch erfolgreich sein und müssen dann ein betrügerisches Verhalten aufspüren. Meines Erachtens liegt das viel eher an dem schlechten Geschäft, das ungeschulte Mitarbeiter eingefahren haben und das dazu führt, dass die Versicherer von den Anspruchsstellern betrogen werden oder daran, dass die Versicherten meinen, für ihre Beitragszahlung ein Äquivalent einfahren zu müssen.

Haben Sie ein prägendes Beispiel, das bestätigt, dass Versicherungen sich auch nicht immer vorbildlich und korrekt verhalten?

Hüller:
Ich habe zahlreiche Beispiele aus meiner Berufspraxis, die zeigen, dass die Versicherer unter dem Druck der Öffentlichkeit oder auch nur des Ombudsmannes Zahlungsbereitschaft signalisieren oder aber bei Prominenten. Man wägt versicherungsintern ab, wie viel Ungemach entsteht im Verhältnis zu einer Regulierung. Ein besonders ärgerlicher Umstand ist für mich, wenn ein Versicherer durch ein Urteil in einem einzelnen Fall gezwungen wird zu regulieren und diese Gerichtsentscheidung nicht auf den Bestand überträgt, auch wenn er noch so genau weiß, dass seine Vorgehensweise falsch ist. Das beziehe ich beispielsweise auf unwirksame Klauseln in einem Versicherungsvertrag. Wenn es keine Unterlassungsklage ist, sondern in einem einzelnen Rechtsstreit eines Versicherten zum Thema wird und das Gericht dem Versicherer die rote Karte vorhält wegen der Unwirksamkeit einer Klausel, drückt sich der Versicherer gerne vor einer Entscheidung und reguliert. In diesen Fällen meine ich aber, dass der Versicherer dann gehalten wäre, den ganzen Bestand gleich zu behandeln. Das passiert aber häufig nicht. Wer sich wehrt und davon erfährt, kann Honig daraus saugen, andere nicht.

Nicht selten müssen Versicherte den Klageweg beschreiten, wenn es gilt, Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung durchzusetzen. Wie es scheint, spielen Versicherer bei hohen Versicherungsansprüchen auf Zeit, um so ihren Kunden wirtschaftlich zu ruinieren. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Hüller:
Diesen Eindruck kann ich in der Tat bestätigen. Das Problem bei den Berufsunfähigkeitsversicherungen ist darüber hinaus auch, dass die Versicherer wissen, wie viel schwieriger es wird mit dem Nachweis der Berufsunfähigkeit je länger das Verfahren dauert. Natürlich haben Versicherer, finanziell gesehen, den längeren Arm und sind auch in der Lage, sich teuren ärztlichen Beistand zu leisten, was der durchschnittliche Versicherungsnehmer eben nicht kann.

Ist es dann nicht an der Zeit, wie in den USA den Gesellschaften mit Strafzahlungen zu drohen, wenn sie mutwillig die Regulierung eines Schadens verzögern?

Hüller:
Die Pressekampagne aus dem letzten Jahr, an der ich auch intensiv mitgewirkt habe, hat immerhin bewirkt, dass die Landesjustizverwaltungen angehalten wurden, bei den Gerichten nachzufragen und zu eruieren, ob diese die mutwillige Verzögerung oder schleppende Bearbeitungsweise der Versicherer bestätigen können. Hierzu gab es eine Pressekonferenz beim GDV. Es tut sich also etwas. Ob man nun unbedingt eine Sanktion in Form einer Strafzahlung benötigt, wage ich sehr zu bezweifeln. Das zieht ja dann nur neuen Streitstoff nach sich und belastet dann auch wieder unnötig die Gerichte. Im Übrigen würden die Strafzahlungen auch aus Versichertenbeiträgen gezahlt werden.

Was beobachten Sie noch für ein Gebaren bei den Versicherungen im Fall der Schadensregulierung?

Hüller:
Die Versicherer versuchen leider sehr häufig, gerade in Bereichen der BU- und Unfallversicherung, die Versicherten mit einer Vergleichs- oder Abfindungszahlung abzuspeisen etwa dahingehend, dass sie an den Versicherten, der berufsunfähig geworden ist, Leistungen erbringen für 1 bis 2 Jahre. Die Versicherer versuchen also, kostengünstig aus den Fällen rauszukommen. Viele Versicherte trauen sich nicht, diese Leistung abzulehnen und auf ihr Recht einer endgültigen Leistungsentscheidung zu bestehen.

Bekommen Versicherungs-Mitarbeiter eine Prämie, die sich an der gedrückten Schadenssumme orientiert?

Hüller:
Mir ist es nicht bekannt, dass Versicherungsmitarbeiter Prämien bekommen.

Freie Versicherungsvertreter wurden von der Ergo-Versicherungsgruppe mit „Lustreisen“ für ihren Einsatz belohnt. Bordelle auf Mallorca und Swinger-Clubs auf Jamaika waren als Belohnung im Portfolio. Ein Ausdruck der Verkommenheit der Branche?

Hüller:
Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Vermittler von den Versicherungen belohnt werden für gutes Geschäft. Jedoch dürfen nicht zu Lasten der Versicherten die Vermittler überhäuft werden mit teuren Geschenken, Luxusveranstaltungen und solchen Ausreißern wie bei der ehemaligen Hamburg-Mannheimer Versicherung; das schadet dem Image der Versicherung enorm. Auf der anderen Seite leben aber die Versicherungen (außer den Direktversicherungen) von den Vermittlern. Der Kreislauf muss aber gesund gestaltet werden. Bei dem, was hier bekannt geworden ist, ist der Ausdruck ›Verkommenheit‹ durchaus angebracht. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Das darin zum Ausdruck kommende Prämiensystem verführt zu Fehlsteuerungen und damit in der Tat zu den von Ihnen genannten Folgen. Der Ruf nach einem gesetzlichen Verbot geht mir dennoch zu weit. Hier strafen die Öffentlichkeit mit dem Reputationsschaden und der Kunde die betroffenen Unternehmen ab, und das ist viel nachhaltiger als ein gesetzliches Verbot,

Wüstenrot-Vertreter wurden mit Prämien von 1300 Euro pro Vertrag geködert, wenn diese es schaffen, Kunden zu überzeugen, hochverzinste Bauspar-Verträge aufzulösen und das Guthaben daraus in anderen Anlageformen überzuführen. Manche Vertreter weigerten sich, hier mitzumachen und sprachen von Kundenverrat. Warum leisten wir uns eigentlich ein Verbraucherschutzministerium, wenn Kunden derart über den Tisch gezogen werden können? Ist hier eine Mauschelei zwischen Politik und Versicherung zu sehen?

Hüller:
Mauschelei ist hier nach meiner Einschätzung nicht im Gange. Niemand aus dem Verbraucherschutzministerium wird so verwegen sein und die von Ihnen dargestellte Praxis rechtfertigen. In dem konkreten Fall kann das Verbraucherschutzministerium aber auch nicht viel unternehmen. Die Kunden sind falsch beraten worden. Es ist letztlich Sache der Gerichte und der Versicherungsaufsicht, das zu korrigieren.

Sollte das Provisionsgeschäft verboten werden, um solche Exzesse zu beenden? Wenn der Versicherungsangestellte keinen Anreiz mehr hat, seinen Kunden übers Ohr zu hauen, sollte doch wieder Seriosität in diese Kreise einziehen. Was meinen Sie?

Hüller:
Einfache Lösungen gibt es hier nicht. Versicherungen schützen auch vor existentiellen Bedrohungen. Denken Sie etwa an eine Haftpflichtversicherung. Wenn es dafür keine Provisionen geben soll, sondern der Versicherungsnehmer seinem Berater ein Honorar für die Beratung bezahlen soll, dann werden erheblich weniger Leute gegen existentielle Risiken abgesichert sein. Das wäre eine Entwicklung, die man sich nicht wünschen sollte.

Die Versicherungen führen oft die gestiegenen Schäden der jeweiligen Kfz-Typklasse ins Feld, um Beitragserhöhungen zu begründen. Diese Daten sind für Außenstehende nicht einsehbar. Sind hier Mauscheleien möglich, um mehr Beiträge zu begründen?

Hüller:
Ich habe zwar keinen Zugriff auf die Zahlenwerke der einzelnen Versicherer. Aber meine Beobachtung ist, dass gerade der Bereich der Kfz-Versicherung sehr wettbewerbsintensiv ist. Jeder hat die massiven Werbebemühungen der Versicherer immer im letzten Quartal eines Jahres vor Augen, bei denen immer der Wechseltermin zum Ende des Jahres beworben und zum Umstieg zu einem anderen Versicherer aufgefordert wird. Es mag die Versuchung geben, auf einem solchen Weg Gewinne zu erzielen, um an anderer Stelle eingetretene Verluste aufzufangen. Aber auch hier muss man jedes Unternehmen für sich betrachten. Wenn es diesbezüglich Absprachen der Versicherer gäbe, dann hätte das die Kartellbehörden schon längst auf den Plan gerufen..
Früher war es nicht entscheidend, welche Laufleistung ein Kfz hatte und wo es bei Nichtnutzung stand. Heute werden Prämien abhängig von Laufleistung und Standort festgelegt. Was hat eine Garage mit einer Schadenregulierung im Fall eines Unfalls zu tun?

Hüller:
Die beiden von Ihnen angeführten Beispiele kann ich nachvollziehen: wer 10 000 Kilometer pro Jahr zurücklegt, wird statistisch vermutlich weniger Schäden verursachen als jemand, der 100 000 zurücklegt. Wenn das so ist, dann finde ich es gerecht, dass derjenige, der 10 000 Kilometer fährt, weniger Haftpflichtprämie zahlt als der Fahrer mit 100 000. Wenn bei einer Garage die Diebstahlprämie beziehungsweise die Kaskoversicherung preiswerter ist als bei einem Fahrzeug, das immer auf öffentlichen Wegen abgestellt ist, dann erscheint mir das auch plausibel. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Garage und Unfall sehe ich allerdings auch nicht.

Die Mercedes-Benz-Bank hat für einen ihrer LKWs ein neues Versicherungsmodell angeboten. Diese richtet sich danach, wie der LKW eingesetzt wird. Ein Telematik-System registriert die Belastungen, wonach die Versicherungsprämie berechnet wird. Demnach wird es günstiger, wenn der LKW leichte Lasten im Flachland transportiert und teurer, wenn schwere Lasten auf bergigen Strecken bewegt werden. Auch hier die Frage, was es eine Versicherung angeht, welcher Belastung ein Fahrzeug ausgesetzt ist. Entscheidend muss sein, was zu einem Unfall geführt hat, den es zu regulieren gilt. Wie ist ihre Meinung dazu?

Hüller:
Ich kenne das Modell nicht, das Sie beschreiben. Aber ich würde es anders interpretieren als Sie: man muss als Spediteur ein solches Modell nicht abschließen. Ich gehe davon aus, dass es genügend andere Modelle auf dem Markt gibt. Gerade der Flottenbereich ist nach meiner Kenntnis sehr diversifiziert. Daher betrachte ich ein solches Modell als zusätzliches Angebot eines Versicherers. Grundsätzlich finde ich so etwas in einer marktwirtschaftlichen Ordnung eher positiv.

Die Allianz beteiligt Kunden mit Riester-Vertrag, dessen Garantiekapital unter 40 000 Euro liegt, nur eingeschränkt an Überschüssen. Summen, die später fehlen. Dies kommt im Vertrag nicht klar zum Ausdruck. Der Bund der Versicherten schätzt, dass damit ein Betrag von bis zu 3 500 Euro zu Rentenbeginn nicht zur Verfügung steht. Liegt hier nicht der Tatbestand eines Betrugs und der Bereicherung vor?

Hüller:
Das Problem ist hier dass es kaum Riester-Verträge geben dürfte, bei denen das Kapital aktuell in der Größenordnung von 40 000 Euro liegt. Trifft das zu, dann ist die Regelung durchaus irreführend. Dass die Verwaltungskosten bei einem Vertrag mit hohem Kapital proportional niedriger sind als bei einem Vertrag mit niedrigem Kapital, dürfte der Sache nach zutreffen. Belastet man beide Verträge proportional gleich, dann finanzieren die Verträge mit hohem Kapital die mit niedrigem Kapital. Das soll dann hier durch die Überschussbeteiligung ausgeglichen werden. Ob das gerecht ist oder so sein soll, ist dann eher eine sozialpolitische Frage, nicht so sehr eine rechtliche.

Kann man die Riester-Rente überhaupt jemandem empfehlen oder ist das eher ein Konjunktur-Programm für Versicherungen?

Hüller:
Die Riester-Rente ist durch die gesetzlichen und vor allem steuerlichen Vorgaben als allererstes ein bürokratisches Monstrum. Durch ihren Erfolg ist es sicherlich auch eine Art Konjunkturprogramm für die Versicherer. Aber man darf bei alledem nicht vergessen, dass es auch ein Konjunkturprogramm für die staatliche Bürokratie ist. Da hat sich die Politik meines Erachtens gewaltig verrannt. Altersversorgung muss mit so wenig Bürokratie wie möglich betrieben werden. Man kann nicht pauschal sagen, dass man eine Riester-Rente empfehlen kann oder nicht. Es kommt sehr auf die persönlichen Verhältnisse an. Eines scheint mir aber gewiss. Die Rendite kommt bei einer Riester-Rente eher aus der steuerlichen Förderung als aus dem insgesamt eingesetzten Kapital. Das ist ein System, das im Grunde verfehlt ist.

Hat der Staat durch die neu eingeführte Besteuerung der Kapitallebensversicherung nicht selbst dafür gesorgt, dass zum einen Versicherungen immer weniger attraktiv sind und zum anderen Rentner weniger Geld zum Leben in der Tasche haben?

Hüller:
Es ist nicht die Besteuerung. Kapitallebensversicherungen sind immer noch steuerlich privilegiert, wenn bestimmte Rahmenbedingungen eingehalten werden. Der Staat sorgt vielmehr durch die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen und dadurch, dass Versicherer kein Eigenkapital vorhalten müssen, wenn sie in Staatsanleihen investieren, dafür, dass Kapitallebensversicherungen unattraktiv geworden sind. Das halte ich für völlig verantwortungslos. Es gilt im Übrigen nicht nur für die Kapitallebensversicherung, sondern auch für die private Krankenversicherung und darüber hinaus für alle Formen des Sparens für die Altersvorsorge.

Haben Kunden, die vor Jahrzehnten eine Lebensversicherung abschlossen, um diese zur Tilgung einer Hypothek zu nutzen, Grund zur Sorge? Immerhin wird davon geredet, dass die garantierte Überschussbeteiligung kräftig geringer ausfallen soll, um die Versicherung nicht in eine Schieflage zu bringen. Damit auch Altfälle problemlos beschnitten werden können, ist sogar eine Gesetzesänderung geplant.

Hüller:
Die Kunden, die vor Jahren eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen haben und damit eine Hypothek tilgen wollen, müssen sich in der Tat Sorgen machen, wenn die Versicherung den Betrag der Hypothek nur mit den Überschüssen erreicht. Die geplante Gesetzesänderung, die Sie ansprechen, ist bekanntlich gescheitert. Ich mache mich möglicherweise unbeliebt, wenn ich sage, dass die Änderung im Grundsatz richtig wäre. Immerhin hat hier die Versicherungsaufsicht, die ja auch den Auftrag hat, die Versicherungsnehmer zu schützen, massiv diese Gesetzesänderung gefordert. Die Generation der jetzt ablaufenden Verträge erhält noch hohe Beträge zulasten der Generation der später ablaufenden Verträge. Hier ging es ausnahmsweise nicht um die Maximierung von Gewinnen der Versicherer. Man muss eher Sorge darum haben, ob nicht der eine oder andere Versicherer irgendwann seine garantierte Verzinsung nicht mehr zahlen kann und ein Fall für die Auffanggesellschaft ›Protektor‹ wird. Die hat aber auch nur begrenzte Mittel, um Versicherer aufzufangen. Diese Gefahr halte ich für sehr ernsthaft. Tritt sie ein, ist die Lebensversicherungswirtschaft dann sozusagen das Griechenland Deutschlands, nur geht es dann um noch viel höhere Milliardenbeträge.

Ein absoluter Skandal ist es, dass der Gesetzesentwurf zur geplanten Kürzung der Auszahlung von Lebensversicherungen passagenweise sich gleichlautend in der Stellungnahme des Versicherungsverbandes wiederfindet. Sollte nicht spätestens jetzt die Erkenntnis reifen, ein Verbot der Ausarbeitung von Gesetzen durch sogenannte Lobbyisten oder externe „Fachleute“ auszusprechen?

Hüller:
Das ist in der Tat problematisch. Man kommt aber nicht umhin, dass der Gesetzgeber ein derart komplexes System in nahezu allen Lebensbereichen geschaffen hat, dass er es selbst nicht mehr überblickt und daher auf Experten angewiesen ist. Das ist etwas, was jedem verantwortungsbewussten Staatsbürger eigentlich große Sorge bereiten müsste. Es wird zwar viel geredet von Bürokratieabbau; aber davon ist nichts zu spüren. Dass Lobbyisten Gesetze schreiben, kann am wirkungsvollsten durch Vereinfachung der gesetzlichen Rahmenbedingungen verhindert werden. Dass sie Gesetze schreiben, ist außerordentlich beschämend für den Gesetzgeber.

Während Selbständige keinerlei finanzielle Unterstützung beim Start in die Selbständigkeit erhalten, plant die Bundesregierung eine Rentenversicherungspflicht für diese Gruppe. Ist dies nicht wieder lediglich ein Konjunkturprogramm für Versicherer und ein Strohfeuer für die Gegenwart, von dem spätere Generationen nichts haben werden, da schlicht die Beitragszahler in einer schrumpfenden Bevölkerung fehlen werden?

Hüller:
Ja, da ist viel politischer Aktionismus und Populismus dabei. Die meisten Selbständigen sind in Versorgungswerken pflichtversichert, so etwa jeder Anwalt, Arzt, Architekt et cetera. Das Ergebnis wäre hier nur, dass es einen großen Topf gibt, in den alle einzahlen. Es würde also weiter zentralisiert. Ich bin kein Freund von monopolistischen Einheiten. Solche Systeme sind am Ende immer ein großer Moloch, der anfällig ist für Missbrauch, der nicht mehr effektiv überwacht werden kann. In der gesetzlichen Krankenversicherung versucht man ja seit Jahren den gegenteiligen Weg zu gehen, weg von der völligen Vereinheitlichung der Leistungen hin zu größerem Wettbewerb. Wieso in der gesetzlichen Rentenversicherung der umgekehrte Weg plötzlich richtig sein soll, will mir nicht einleuchten.

Wer in die private Krankenversicherung wechselt, kann später nicht mehr zurück. Die Folge ist, dass die teure Krankenversicherung mit einer mageren Rente sich nur mit Mühe aufbringen lässt. Was raten Sie den Menschen, die in jungen Jahren mit einer privaten Krankenversicherung liebäugeln?

Hüller:
Das ist so nicht ganz richtig; es gibt bis zum 55. Lebensjahr immer ein Rückfahrticket. Man muss nur wissen wie. Wer das verpasst und deshalb in der privaten Krankenversicherung bleibt, kann später allerdings nicht mehr zurück. Die Folge ist, dass die teure Krankenversicherung mit einer mageren Rente sich nur mit Mühe aufbringen lässt. Ich würde eher dazu raten, in der gesetzlichen Versicherung zu bleiben und sich privat zusätzlich abzusichern.

Was raten Sie generell im Umgang mit Versicherungen? Was sollte jeder machen und was nicht?

Hüller:
Man sollte die Korrespondenz mit dem Versicherer schriftlich machen und nicht am Telefon, weil man keine Beweismöglichkeit hat. Die Versicherer dokumentieren zwischenzeitlich alle Telefonate sehr sorgfältig; der Mitarbeiter der Versicherung steht auch als Zeuge zur Verfügung wohingegen man selber alleine ist. Ab dem Moment, in dem man das Gefühl hat, man wird über den Tisch gezogen oder kommt nicht weiter, sollte man tunlichst aufhören, alleine an dem Fall zu arbeiten und sich lieber einen Fachmann suchen. Bei der Anwaltswahl muss man aufpassen, dass man nicht eine Kanzlei erwischt, die hauptsächlich für Versicherungen arbeitet. Es ist nicht ganz einfach, hier Kollegen zu finden, die nur für Versicherte arbeiten.
Frau Hüller, vielen Dank für das Interview.

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