Welt der Fertigung
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Blepp Christoph: Ein Plädoyer für Brasilien

Warum Brasilien nicht gleich Brasilien ist

Unterhält man sich mit US-Amerikanern über Europa, wird unser Kontinent meist als “black box” dargestellt. Als ein großes Land mit der Hauptstadt Paris, einer alten Kultur mit Burgen und Menschen, die sich ungern duschen und ihre Autos lieben. Die Unterschiedlichkeit der europäischen Kulturen und Volkswirtschaften wird kaum oder gar nicht wahrgenommen. Dieser Umstand wird auf dem alten Kontinent oft belächelt, auch wenn diese Darstellung oft nur von weniger gebildeten Menschen geteilt wird. Denn ein Norweger und ein Spanier unterscheiden sich in ihrer Kultur und ihrem Wesen, ein schwäbischer Werkzeughersteller wird anders geführt als eine griechische Olivenöl-Fabrik, ja sogar Niederbayern und Brandenburger weisen doch manchmal stark unterschiedliche Wesenszüge auf. Natürlich ist diese These sehr polemisch und gespickt mit Stereotypen, aber sie soll aufzeigen, dass Wirtschaftsregionen von großen kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Unterschieden geprägt sind. So auch im Falle Brasiliens.

Regionen Brasiliens

(Quelle: Wikipedia)


Das Land am Zuckerhut ist dreimal so groß wie Europa und hat fast zweieinhalb so viele Einwohner wie Deutschland. Trotzdem wird das Land, gerade durch Unternehmen, Politik, Organisationen und Berater des Öfteren ebenfalls als “black box” beschrieben, in der die gleichen Regeln und Voraussetzungen für Investitionen und Marktstrategien gelten.

Doch dies ist eine fatale Fehleinschätzung, denn Brasilien lässt sich grob mindestens in fünf große Regionen einteilen, die alle getrennt voneinander betrachtet und analysiert werden müssen. Im Folgenden werden diese fünf Hauptregionen vorgestellt, um dann einen kurzen Überblick über die Chancen deutscher Unternehmen zu geben.

Der Süden

Der Süden Brasiliens besteht aus den Staaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Traditionell ist die kleinste Region des Landes landwirtschaftlich geprägt und wichtiger Produzent von Getreide und Fleisch. Doch auch die metallverarbeitende Industrie ist, besonders in Rio Grande do Sul, sehr stark ausgeprägt. Dazu hat der Süden die höchsten Bildungsraten und niedrigsten sozialen Ungleichheiten ganz Brasiliens.

Besonders der große Anteil der europäischen Einwanderer hat seine Spuren hinterlassen: so ist die Region kulturell sehr stark an Europa angelehnt, in Blumenau findet jährlich gar das zweitgrößte “Oktoberfest” der Welt statt. Durch die fortschreitende Technologisierung in der Landwirtschaft und der metallverarbeitenden Industrie und dem hohen Bildungsstandard ergeben sich viele Kooperationsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen. Die geringeren kulturellen und sozialen Unterschiede ermöglichen ebenfalls vergleichsweise einfache Zugänge zu Vertriebsnetzwerken.

Rodovia dos Imigrantes

(Quelle: Wikipedia)

Der Südosten

Der Südosten ist traditionell die Wachstums- und Industrie-Lokomotive des Landes. Über 54 Prozent des BIPs Brasiliens werden in den Staaten Minas Gerais, Espirito Santo, Rio de Janeiro und Sao Paulo erwirtschaftet, allerdings wird der Anteil zu Gunsten des Nordens und des Nordostens in den letzten Jahren stets geringer. Während in Sao Paulo die Schwer-, Auto- und Chemieindustrie beheimatet ist, liegt der wirtschaftliche Schwerpunkt in Rio de Janeiro eher im Service-Sektor und seit Kurzem in der Ölindustrie.

Minas Gerais bedeutet so viel wie “allgemeine Minen”. In diesem Bundesstaat werden in den zahlreichen Minen verschiedenste Erze, Edelmetalle und Gesteine gefördert. Zudem ist der Anbau von Baumwolle Voraussetzung für die große Textilindustrie des Staates. Insbesondere Sao Paulo und Rio de Janeiro sind sehr international geprägt. Die industrielle Agglomeration hat viele globale Konzerne in den Südosten gelockt, was zu einer Fülle an Beratungsfirmen, Organisationen, Regimes und Strukturen geführt hat, die einen Markteinstieg sehr erleichtern können.

Je weiter man sich jedoch von den Staaten im Süden nordwärts bewegt, desto größer werden die kulturellen und sozialen Unterschiede. Gerade die urbanen Gebiete sind von Armut, sozialer Ungleichheit, Kriminalität und Umweltverschmutzung geprägt. Weiterhin sind die Unterschiede im Vertrieb beispielsweise viel größer. Die persönliche Beziehung zwischen Geschäftspartnern besitzt einen hohen Stellenwert und wird oft von deutschen Unternehmen unterschätzt. Trotzdem sind die meisten Unternehmen international ausgerichtet und wirtschaften nach nahezu westlichen Standards. Kehrseite der Medaille sind allerdings Korruption und die Tatsache,dass in den meisten Marktsegmenten bereits Unternehmen aus aller Welt etabliert sind.

Der Zentralwesten

Knapp sieben Prozent der brasilianischen Bevölkerung lebt in der Region rund um die Hauptstadt Brasília, die sich aus den Staaten Goiás, Mato Grosso do Sul und dem Bundesdistrikt (Distrito Federal) zusammensetzt. Obwohl die Region - bis auf den Bundesdistrikt - relativ schlecht erschlossen ist, ist sie geprägt von einer großen Bergbau-Industrie in Goiás und der größten Sojabohnenproduktion Brasiliens in Mato Grosso do Sul. Neue infrastrukturelle Großprojekte locken weiterhin große Bauunternehmen an, die entweder Versorgungsstandorte für Bauprojekte im Amazonasgebiet aufbauen oder Straßen- und Eisenbahnausbau durchführen.

Boom

Die Nachfrage der Brasilianer nach kapitalintensiven Gütern steigt.

Der Norden

Die Staaten Acre, Amapá, Amazonas, Pará, Roraima und Tocatins bilden den flächenmäßig größten Teil des Landes im Norden, obwohl hier nur weniger als acht Prozent der Bevölkerung leben. Die wirtschaftliche Erschließung der Region durch die Holzindustrie, die Viehzucht, Landwirtschaft und Bergbau hat zwar zu einem Zuwachs an Bevölkerung und deren Wohlstand geführt, gleichzeitig aber auch zur zunehmenden Zerstörung des Amazonas-Gebietes. Deshalb versucht die brasilianische Regierung seit Jahren, einen Spagat zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum im Norden vorzunehmen, allerdings mit mäßigem Erfolg aus Sicht verschiedener Umweltschutz-Organisationen.

Der Nordosten

Knapp ein Drittel aller Brasilianer lebt im Nordosten, der Region, die bis vor der Jahrtausendwende eher als Armenhaus des Landes bekannt war. Die Abwanderung aus den Staaten Alagoas, Bahia, Ceará, Maranhao, Paraíba, Pernambuco, Piauí, Rio Grande do Norte und Sergipe in die wohlhabenderen Regionen im Südosten und Süden waren hoch und eine zusammenhängende Industrie war praktisch kaum vorhanden.

Durch Strukturanpassungsprogramme in Bildung, Infrastruktur und Industrie der Regierung von President Lula seit 2002 hat sich im Nordosten jedoch einiges geändert: die Kriminalität wurde erheblich eingedämmt, steigende Bildungs- und Wohlstandsraten locken die Fertigungsindustrie in die Region und neue Häfen, Autobahnen und Flughäfen ermöglichen schnellere und größere Vertriebsnetze. Im Bundesstaat Pernambuco, der bis vor zwanzig Jahren seinen Ertrag fast ausschließlich aus der archaisch geprägten Landwirtschaft erwirtschaftet hatte, boomt die Bau- und Transportbranche.

Steigende Lohnkosten in der Landwirtschaft und soziale Projekte der Regierung führten ebenfalls zu effizienzsteigernden Maßnahmen und Technologisierung der landwirtschaftlichen Produktion. Das BIP des Staates hat sich zwischen 2002 und 2010 verdreifacht und wächst zwischen 8-12 Prozent pro Jahr. Trotzdem stellt sich der Markteintritt für viele Unternehmen als schwierig dar. Zwar sind die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen stark verbessert worden, aber dennoch noch keinster Weise vergleichbar mit denen im Süden des Landes.

Korruption ist weit verbreitet und es besteht weiterhin ein großer Bedarf an fähigen Ingenieuren. Besonders der kulturelle Aspekt im B2B Geschäft bereitet vielen Managern und Vertriebschefs Kopfzerbrechen: die Mentalität Nordestinos, der Brasilianer aus dem Nordosten, unterscheidet sich stark von der der Süd- und Südostbrasilianer. Verspätungen von 30-60 Minuten zu einem Geschäftstermin sind keine Seltenheit und die persönliche Beziehung zwischen Geschäftsleuten ist von allergrößter Wichtigkeit. Oft werden Verträge nach persönlichen Präferenzen anstatt nach Qualitätsvorteilen oder Preis-Leistungsverhältnis geschlossen.

Frauen sind zwar fest etabliert in der Geschäftswelt, doch besonders im Vertrieb tuen sie sich schwer, da vor fast jedem geschäftlichen Thema zuerst über Fußball und Frauen philosophiert wird. Dennoch ergeben sich aus diesen Regionalen Unterschieden verschiedene Chancen für deutsche Unternehmen: im Süden, Norden und Nordosten für Produzenten von landwirtschaftlichen Maschinen und die Chemiebranche, im Südosten, Zentralwesten und Teilen des Südens für Tiefbau- Spezialisten und Produzenten von Bergbaumaschinen.

Im Nordosten ergeben sich ebenfalls große Wachstumschancen für den Werkzeug- und Maschinenbau sowie Baumaschinenhersteller und Logistikunternehmen. Dabei sind jedoch folgende Regeln zu beachten , um Reibungsverluste oder gar ein Scheitern zu verhindern:

  • Jede Region muss separat betrachtet werden, eine Gießkannenlösung für den brasilianischen Markt gibt es nicht.
  • Eine zielorientierte Marktanalyse, aus der die individuellen Wachstumstrategien für jedes Produkt und jede Region hervorgehen, ist Grundvoraussetzung jedes weiteren Schrittes.
  • Das Vertriebspersonal und die Geschäftsführung müssen eingehend geschult werden, um ein Verständnis der Markteigenheiten zu schaffen.
  • Eine Kenntnis über Steuerrecht, Handelsschranken und politische Strukturen ist aufgrund der Komplexität unerlässlich.
  • Ein Joint Venture oder eine Kooperation mit einem brasilianischen Unternehmen sind anzustreben, um die Kosten niedrig zu halten und auf ein bestehendes Vertriebsnetzwerk vor Ort zugreifen zu können.
  • Wer zu lange wartet, bleibt zurück. Die Chancen auf dem brasilianischen Markt sind anderen Unternehmen in anderen Staaten der Erde nicht verborgen geblieben. Gerade Großprojekte wie die FIFA Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 sind Pull-Faktoren für Unternehmen aller Branchen weltweit.


Obwohl bereits viele deutsche Mittelständler Vertriebspartner in der südamerikanischen Volkswirtschaft haben, sind die Umsätze meist mager. Mit dem richtigen Wissen, gutem Personal und einem effektiven Netzwerk kann dies geändert werden und Brasilien -jeweils geordnet nach Regionen - zu einem profitablen Markt machen.

 

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Christoph Blepp
Führung, Planung, Organisation
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E-Mail: info@christoph-blepp.de
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