Berufsbildungswerke als Power-Orte
Der gute Weg zum Top-Beruf
In Deutschland gibt es 52 Berufsbildungswerke, in denen behinderte junge Menschen eine vollwertige Ausbildung erhalten. Dadurch wird es ihnen ermöglicht, nach der Ausbildung ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In diesen Einrichtungen, wie beispielsweise dem BBW München, können junge Menschen unter mehreren Berufen wählen. Wenn sie sich noch nicht sicher sind, welcher Beruf ihrer Neigung entspricht, besteht sogar die Möglichkeit, die in Frage kommenden Berufe zunächst auszuprobieren. Ein Vorteil mit beachtlichem Gewicht, das Ausbildungsabbrüche auf ein absolutes Minimum reduziert. Diese für Menschen mit Behinderung wertvollen Einrichtungen sind nun durch eine kurzsichtige Politik in ihrem Bestand bedroht.
Tischler
Menschen mit Behinderung hatten es lange Zeit sehr schwer, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wer eine Behinderung hatte, konnte im Mittelalter und der frühen Neuzeit im besten Fall nur auf Almosen hoffen. Oft kam es jedoch schlimmer. Wer nicht den Vorstellungen vom menschlichen Ebenbild Gottes entsprach oder dessen Gebrechen an den hinkenden Satan erinnerte, war schnell verdächtig, vom Teufel besessen zu sein. Nicht selten war dadurch das Schicksal des Behinderten durch den Aberglauben der Menschen bereits besiegelt.
Erst im 16. Jahrhundert änderte sich die Einstellung zu den Behinderten zaghaft. 1784 beispielsweise gründete der französische Professor Valentin Hauy in Paris die erste Blindenanstalt. Erst 1854 wurde etwas Ähnliches in Nürnberg errichtet. Den Gehörlosen wurde bis ins 16. Jahrhundert die Bildungsfähigkeit vollständig abgesprochen, weshalb diese keinerlei Ausbildung erfuhren. Erst im Jahre 1779 wurde in Wien ein Institut für Gehörlosenunterricht gegründet, dem 1804 ein Institut in Freising folgte. Um 1900 gab es in Deutschland etwa 70 Gehörlosenschulen, die nun dafür sorgten, dass Bildung für Behinderte kein Fremdwort blieb. Auch in München war man aktiv und gründete 1901 den ›Verein zur Förderung der Taubstummen‹.
Orthopädietechnikerin
Ausbildung für alle
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde erkannt, dass es für Menschen mit Behinderung eigene Schulen für die Berufsausbildung geben muss, damit diese Menschen in die Lage versetzt werden, das für den jeweiligen Beruf nötige theoretische Wissen zu erwerben. Paradoxerweise ging von den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs ein positiver Schub für die Behindertenarbeit aus. Galt es doch, die vielen Kriegsbeschädigten wieder in Lohn und Brot zu bringen. 1920 wurde daher das ›Krüppelfürsorgegesetz‹ beschlossen und 1924 die gesetzliche Grundlage zur Schaffung geeigneter Anstalten für Körperbehinderte auf den Weg gebracht.
In Nürnberg gab es zu dieser Zeit eine Werkstätte, in der Behinderte das Schuhmacherhandwerk erlernen konnten. Dieser Einrichtung war an Wirtschaftlichkeit und Vermittlung der Beschäftigten auf dem freien Arbeitsmarkt gelegen. Die Nürnberger Schuhmacherinnung sah darin jedoch eine unliebsame Konkurrenz, weshalb diese Werkstätte von den Nationalsozialisten nach deren Machtergreifung im Jahre 1933 aufgelöst wurde.
Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurden unter den Behinderten im großen Stil Sterilisationen durchgeführt, damit diese keine Kinder mehr bekommen konnten. Auf diese Weise sollte die Zahl an Menschen mit Behinderung zurückgedrängt werden. Lediglich aus katholischen Kreisen kam verhaltene Kritik an diesem Tun, das nur wenige Jahre später in die Euthanasie mündete.
Zerspanungsmechaniker
Münchner Anfänge
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an die erfolgreiche Behindertenarbeit der Vorkriegszeit angeknüpft. So auch in München. In der Zeit von 1945 bis 1950 wurde der bereits 1901 gegründete ›Verein zur Förderung der Taubstummen‹ wiedergegründet. Diese Gründung mündete 1951 in den Aufbau einer berufsbildenden Einrichtung für Gehörlose, die an der Haydnstraße, unweit der Theresienwiese, residierte. Fortan konnten sich in der ›Berufsfachschule für Gehörlose‹ junge Behinderte zu Schreinern, Schneidern oder Schuhmachern ausbilden lassen.
Der große Zuspruch der Behinderten ließ diese Einrichtung rasch aus allen Nähten platzen, sodass nach größeren Gebäuden Ausschau gehalten und gleichzeitig ein Gartenbaulehrbetrieb im niederbayerischen Frontenhausen gegründet wurde. Als Zwischenlösung für die beengten Räumlichkeiten in München kam eine ehemalige Druckerei in der Nähe des Münchner Ostbahnhofs gerade recht, bis wenige Zeit später schließlich der heutige Standort in München Johanneskirchen bezogen werden konnte.
Das Berufsbildungswerk München ist heute eine Top-Anlaufstelle für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte, die einen angesagten Beruf lernen möchten. Egal, ob Holz-, Metall- oder Lederbearbeitung, ob Gestaltung oder Kraftfahrzeugtechnik, aus zahlreichen Berufen kann gewählt werden, damit das eigene Talent zum Vorschein kommt. Diejenigen Menschen, denen noch vor wenigen Jahrzenten jedes Lebensrecht abgesprochen wurde, können hier zeigen was in Ihnen steckt und das ist nicht wenig!
KFZ-Mechatroniker
Sehen und staunen
Es lohnt sich, etwa an einem Tag der offenen Tür, sich die Arbeit der Berufsbildungswerke näher anzusehen. Aus ihnen sind mittlerweile starke Dienstleistungszentren in Sachen Behindertenarbeit geworden, die viel Know-how vorzuweisen haben. Wer als Elternteil Angst hat, sein Kind in so eine Einrichtung zu stecken, aus Sorge, dass hier die Ausbildung nicht hochwertig wäre, wird danach beruhigt nach Hause fahren. Stellt sich diese Sorge doch rasch als völlig unbegründet heraus. Vielmehr wird die Erkenntnis wachsen, dass das eigene Kind dort bestens aufgehoben ist und hier optimale Startvoraussetzungen für ein langes Berufsleben bekommt.
Das kommt nicht von Ungefähr. Modernste CNC-Maschinen sind in Berufsbildungswerken ebenso selbstverständlich, wie CAD-Arbeitsplätze, Kfz-Prüfstände oder Multimediawände. So manches Unternehmen kann da nicht mithalten. Die Befürchtung, dass eine Ausbildung in einem BBW minderwertig und unzureichend wäre, weicht schnell der Erkenntnis, dass man hier den beruflichen Lottotreffer mit Zusatzzahl für seinen Sohn oder seine Tochter landet. Es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass eine Ausbildung in einem BBW der hochwertigen Ausbildung in einem mittelständischen Unternehmen mit eigener Ausbildungsabteilung entspricht.
Dies bestätigen auch immer wieder ehemalige Absolventen eines Berufsbildungswerks. Abgesehen davon, dass diese nicht selten hervorragende Prüfungen ablegen, hat sich schon so mancher nach seiner Gesellen- oder Facharbeiterprüfung zum Meister, Techniker oder Ingenieur weitergebildet und ist heute in der freien Wirtschaft in verantwortlicher Position tätig. Einige finden auch als Ausbilder ins BBW zurück und unterweisen dort Azubis, die die gleiche Behinderung haben, wie sie selbst. Das ist ein Glücksfall für Behinderteneinrichtungen, denn dadurch wird ihr Wert für die Gesellschaft so richtig deutlich. Ist es doch optimal, wenn Behinderte von Behinderten mitausgebildet werden, denn der behinderte Ausbilder kann sich sehr gut in seinen ebenfalls behinderten Schützling hineinversetzen und ihm auf seine spezielle Weise einen schwierigen Stoff beibringen.
Mediengestalter
Wird nun alles noch besser?
In jüngster Zeit werden Stimmen laut, die der Inklusion das Wort reden. Es sind Laute zu vernehmen, die vehement dafür eintreten, dass Behinderte mit Nichtbehinderten zu Beschulen sind und langfristig Einrichtungen, wie etwa Berufsbildungswerke, entfallen sollen. Man verspricht sich durch die gemeinsame Beschulung mehr Teilhabe und mehr Lernerfolg, während als Nebenprodukt die Ausbildungskosten für die öffentliche Hand sinken sollen.
Wie sich jedoch in der Realität zeigt, sind derartige Modelle nur punktuell erfolgreich. In vielen Fällen tritt kein Gewinn ein. Weder für die Behinderten noch für die Nichtbehinderten. Die gut gemeinte Idee ›Inklusion‹ wirkt sich für beide Seiten in der Regel sogar eher nachteilig aus. Selbst die Lehrkräfte äußern hinter vorgehaltener Hand, dass sie vielfach nicht in der Lage sind, allen Schülern gerecht zu werden.
Es stellt sich hier die Frage, warum man bewährte Strukturen überhaupt aufbrechen will. Haben Berufsbildungswerke und Sonderschulen doch schon bisher auf überzeugende Weise bewiesen, dass sich ihre Arbeit mehr als lohnt. Selbst der Hinweis auf die hohen Ausbildungskosten überzeugt nicht. Wurden doch bereits Gutachten veröffentlicht, die nachweisen, dass die Kosten, die zunächst durch die Ausbildung von behinderten Menschen entstehen, binnen zehn Jahren durch Steuern und Abgabenzahlungen des arbeitenden Behinderten wieder zurückfließen.
Auf diese Weise entsteht bei einem 40jährigen Arbeitsleben ein satter Gewinn für die öffentliche Hand. Ganz abgesehen von der Lebensfreude der Behinderten, die dank einer hochwertigen Ausbildung nicht von Almosen, wie etwa Hart IV, abhängig sind und sich dank dieser Unabhängigkeit bestens in der Gesellschaft verwurzeln.
Die gesellschaftliche und berufliche Inklusion wird durch dieses Bildungsmodell also optimal umgesetzt. Wird dagegen der zweite vor dem ersten Schritt getan, ist die Gefahr groß, diese Errungenschaft wieder zu verlieren. Zudem kann jetzt schon abgeschätzt werden, dass die Kosten für die volle Umsetzung der schulischen Inklusion unbezahlbar sind, wenn alleine schon ein Gehörlosendolmetscher für eine Klasse monatlich 11000 Euro kostet.
Inklusion ist für Menschen mit Behinderung also schon heute dank der hervorragenden Arbeit der Bildungseinrichtungen kein Fremdwort mehr. Daher ist der Erhalt von Sonderschulen und Berufsbildungswerken eine Notwendigkeit, damit dies so bleibt. Sollten diese Einrichtungen wegfallen, besteht die Gefahr, dass die Behindertenarbeit wieder in die Zeit vor 1800 zurückfällt. Und das kann wohl niemand ernsthaft wollen.
Vielmehr sollte alles getan werden, die großen Chancen, die Berufsbildungswerke bieten, auch anderweitig zu nutzen. Ideal wäre es, Inklusion einmal andersherum zu betreiben und arbeitslose Nichtbehinderte in Berufsbildungswerken auszubilden. Dies wäre sicher machbar, zumal die BBWs teilweise sowieso noch Ausbildungsreserven haben. Die aufgewendeten Summen wären hier optimal angelegt, zumal die Wirtschaft händeringend nach Facharbeitern sucht.
Es ist wirklich an der Zeit, alle Ressourcen unseres Landes zu nutzen, damit Deutschland auch weiterhin ein wirtschaftlich starkes Land bleibt, in dem sich alle Menschen mit und ohne Behinderung wohlfühlen.
Feintäschnerin
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Links zu weiteren Artikeln
Ein Interview mit Ursula Haberkorn, Leiterin des BBW-München, zur Inklusions-Problematik finden Sie hier.
Einen diesbezüglichen Gastkommentar von Thomas Harlander, Schumacher-Ausbilder und Vorsitzender des Schwerhörigenvereins München Obb e.V. finden Sie hier.
Mehr Informationen zum BBW München:
Berufsbildungswerk München für Hör- und Sprachgeschädigte | |
Musenbergstraße 30 - 32 | |
81929 München | |
Telefon: 089 / 95728 - 0 | |
Fax: 089 / 95728 - 4000 | |
E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@bbw-muenchen.de | |
www.bbw-muenchen.de |
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