Hitlers Geheimwaffenschmiede
Peenemünde: Wo Raketen Wirklichkeit wurden
Die Deutsche Wehrmacht erkannte früh, dass die Auflagen des Versailler Vertrages nicht auf Raketen zutrafen. Daher wurde ab 1936 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde an Waffen geforscht, denen man nichts entgegenzustellen hatte. Unter der Leitung Wernher von Brauns wurden dort Raketen entwickelt und gebaut, die in der Lage waren, den Rand des Weltraums zu erreichen. Heute ist dieses Gelände ein riesiges Museum.
Wer zum ersten Mal das auf der Ostseeinsel Usedom gelegene ehemalige Fischerdorf ›Peenemünde‹ besucht, um die Geburtsstätte der modernen Raumfahrt zu erkunden, kann zunächst das gebotene Panorama nicht richtig einordnen. Bereits auf dem Autoparkplatz präsentiert sich dem Betrachter der Nachbau einer A4-Rakete, weiter hinten steht ein Modell der V1-Waffe, rechts davon eine Art Bahnbus und in unmittelbarer Nähe erblickt man die riesigen Überreste eines ehemaligen Strom-Stellwerks. Diese Exponate werden im Hintergrund von einem riesigen Gebäude dominiert, dessen Funktion zunächst unklar bleibt.
Auf dem Weg zum Eingang flaniert man an historischem Gemäuer vorbei, überquert Bahngleise, die von hier aus ins Landesinnere des Deutschen Reichs führten und kommt schließlich zu einem Hochbunker, dessen früheren Zweck eine Info-Tafel preisgibt: Hier befindet man sich vor der ehemaligen Bunkerwarte des Peenemünder Kohlekraftwerks. Heute befindet sich dort der Eingang in das Museum, nach dessen Durchschreitung man sich auf einem riesigen Gelände befindet, das in der Ferne sogar von einem Hafen begrenzt wird.
Hier erhält man nun Antworten auf diejenigen Fragen, die auf dem Parkplatz noch unbeantwortet blieben. Das zunächst rätselhafte Gebäude entpuppt sich als Kohlekraftwerk, an dessen Leitstand man soeben vorbeimarschiert ist. Die imposante Größe des Gebäudes lässt erahnen, dass damit riesige Mengen an Strom erzeugt werden konnten. Eine gewaltige, 214 Meter lange und 13 Meter hohe Krananlage schaufelte unermüdlich Tonnen von Kohle in eine Aufbereitungseinheit, wo diese zerkleinert und direkt in die Lagerbehälter für die Öfen transportiert wurde.
In der Spitze konnte das Kraftwerk bis zu 100 Tonnen Kohle pro Stunde verheizen und dabei mit zwei Turbinen 30 MW Leistung liefern. Unter dem Kran war daher ein Lagerplatz für bis zu 22 000 Tonnen Kohle, was jedoch gerade einmal für einen Betrieb von etwa neun Tagen bei Vollast reichte. Bei Normalbetrieb wurden jedoch lediglich 400 Tonnen Kohle pro Tag verheizt, sodass die Kohle entsprechend länger reichte. Die gigantischen Mengen hochwertiger Steinkohle kamen direkt von den Bergwerken des damals deutschen Schlesiens und wurden per Schiff an den eigens gebauten Hafen angeliefert. Natürlich fallen beim Verbrennen derartig großer Kohlemenge auch gigantische Mengen von Asche an, die in einen nahegelegenen See verklappt wurde.
Alleine schon an diesem Kraftwerk, das übrigens nach dem Krieg weiterbetrieben wurde und bis 1991 arbeitete, kann man ersehen, dass die Planer von Peenemünde an alles dachten, um eine effiziente Raketenforschung zu betreiben. Immerhin galt es, nicht nur gewaltige Energiemengen für die Herstellung von flüssigem Sauerstoff zu erzeugen, sondern auch die Infrastruktur zu erstellen, um 15 000 Menschen mit Wohnungen, Strom, Wärme und Lebensmitteln zu versorgen. Hinzu kommt, dass das Gebiet entwässert werden musste, da es anfangs ein reines Sumpfgebiet war, was den Bau schwerer Baukörper ausschloss. Ein weitverzweigtes Energieversorgungsnetz spannte sich vom Kraftwerk zu den einzelnen Betriebsstätten, dem Flughafen und den Wohnungen des Personals. Die Abwärme des Kraftwerks wurde genutzt, um alle umliegenden Gebäude per Fernwärme zu heizen.
Moderne Infrastruktur
Beim Rundgang über das Freigelände sollte man unbedingt auch den dort stehenden S-Bahn-Zug aufsuchen, denn dieses modernisierte Original war damals im Einsatz und hat über das eigens angelegte Schienennetz die damals hier wohnenden 15 000 Menschen zuverlässig an ihr Ziel gebracht.
Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass „nur“ etwa 5 000 Menschen hier beschäftigt waren und der Rest sich aus Familienangehörigen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen zusammensetzte. Diese Kriegsgefangenen wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und mussten beispielsweise Hilfsarbeiten beim Kraftwerksbau verrichten, Blindgänger nach Bombenangriffen räumen oder das Katapult der Startrampe für die ›V1‹ nach deren Abheben aus dem sumpfigen Gelände bergen.
Heute kann man leider nur noch einen kleinen Teil der damals vorhandenen Anlagen besichtigen. Frei zugänglich sind beispielsweise der Peenemünder Flugplatz, der zuletzt auch von der NVA genutzt wurde, der Bahnsteig des S-Bahnhofs ›Nord‹, das Wasserwerk und das eben schon erwähnte Kohlekraftwerk mit seinem Filterhaus für die Kühlwasseraufbereitung. Die Ruine des Sauerstoffverflüssigungswerks ist ebenso wenig zu besichtigen wie die Raketen-Startrampe, das Raketen-Montagewerk oder die Wohnanlage der damals Beschäftigten.
Das Gelände ist teilweise extrem verwildert und bewaldet. Man kann sich aus dem heutigen Zustand nur schwer vorstellen, wie gepflegt und wohlüberlegt angelegt es damals war. Man sollte sich unterstehen, auf eigene Faust durch das Dickicht zu marschieren, um die Stätten der Vergangenheit aufzusuchen. Überall warnen Hinweisschilder vor Kampfmitteln, die noch nicht von Experten aufgespürt und unschädlich gemacht wurden.
Es lohnt sich jedoch auf jeden Fall, per Fahrrad, das man sich übrigens vor Ort ausleihen kann, oder per Inlineskater die geteerten Straßen entlangzufahren, um die frei zugänglichen geschichtsträchtigen Orte aufzusuchen. Wer will, kann heute auf dem Flughafen einen Flug buchen, um von oben einen Überblick über die Raketenversuchsanlage zu bekommen.
Ein wenig weitergeradelt trifft man auf den Bahnsteig ›Werk Ost‹, der damals von den Mitarbeitern des Entwicklungswerkes sowie von den Bewohnern des Gemeinschaftslagers auf der gegenüberliegenden Straßenseite genutzt wurde. Der Bahnhof bestand aus Betonfertigteilen, war 181 Meter lang und ähnelt denjenigen Bahnhöfen der Berliner und Hamburger S-Bahn.
In den zugänglichen Waldteilen an der Straße finden sich weitere Zeugnisse vergangener Zeit. Unter anderem kann man kleine Hochbunker erkennen, die wohl der Bewachung des KZ-Arbeitslagers ›Karlshagen I‹ dienten. Wer weiterradelt, kommt zur Hauptwache, die gemäß des Potsdamer Abkommens komplett gesprengt wurde. Die weiterführende Hauptstraße lotst den Besucher wieder zum eigentlichen Museum zurück.
Erstaunliche Technik
Neben dem Besuch des Kraftwerks sollte nicht versäumt werden, das ehemalige Kraftwerks-Verwaltungsgebäude aufzusuchen, da hier die eigentliche Museumsausstellung untergebracht ist. Hier lassen sich Originalstücke aus damaliger Zeit bewundern und der Übergang in das moderne Raketenzeitalter auf der Grundlage Peenemünder Forschung nachvollziehen. Wer die Exponate genau betrachtet, zieht den Hut vor dem Einfallsreichtum der damaligen Wissenschaftler, die mit relativ einfacher Steuerungstechnik Flugkörper und Raketen stabil in die Luft beförderten.
So wurde beispielsweise eine A4 am 3. Oktober 1942 gestartet, die während einer Flugzeit von knapp fünf Minuten eine Geschwindigkeit von 4824 km/h erreichte, eine Gipfelhöhe von 84,5 km erklomm und dabei 190,6 km weit flog. Die Steuerung der Flugbahn erfolgte über in den Abgasstrom ragende Graphitruder, die von einer Lageregelung bewegt wurden. Auf diese Weise war eine Lenkung der Rakete möglich, ohne auf Luft angewiesen zu sein, wie es bei Flugzeugen der Fall ist.
Kein Flugzeug könnte von modernen Flugzeugträgern abheben, wenn es keine Dampfkatapulte gäbe, die diese in extrem kurzer Zeit auf die nötige Abhebegeschwindigkeit beschleunigen könnten. Mit der Walter-Schlitzrohr-Schleuder wurde dieses Prinzip schon lange vorher verwendet, um die Fi 103, die später unter dem Namen ›V1‹ bekannt wurde, auf 430 km/h zu beschleunigen.
Ab dieser Geschwindigkeit war das eingebaute Verpuffungsstrahltriebwerk dieses Fluggeräts selbsttätig in der Lage, den nötigen Schub zum Weiterflug zu erzeugen, woraufhin eine Geschwindigkeit von bis zu 700 km/h erreicht wurde und 830 kg Nutzlast bis zu 300 km weit transportiert werden konnte. Im Museum gibt es dazu viele Filme zu sehen, die Interessantes zu diesem Fluggerät zeigen.
Auch die wenigen erhaltenen Exponate von Triebwerken, Messgeräten und Lageregeleinheiten zeigen, dass in Peenemünde zwischen 1936 und 1945 das modernste Technologiezentrum seiner Zeit stand, von dem im Oktober 1942 der erste Start einer Rakete ins All gelang und von dem aus auch die Raketenangriffe gegen Europas Städte begannen.
Nach 1945 trugen Peenemünder Erkenntnisse maßgeblich zur Weiterentwicklung der Raketentechnik und zur Entstehung der Raumfahrt bei. Die dort beschäftigten Wissenschaftler und Handwerker wurden später von den Alliierten umworben, bei Ihnen weiterzumachen, wo sie gezwungenermaßen aufhören mussten. Unter der Führung Wernher von Brauns wurde das Unmögliche möglich: Geniale Techniker vieler Nationen brachten 1968 die ersten Menschen zum Mond. Ein guter Grund für Interessenten der Weltraumfahrt, Peenemünde als Wurzel dieses Erfolgs aufzusuchen. Dabei sollten auch nicht diejenigen vergessen werden, die für die Erreichung dieses Ziels nicht nur in Peenemünde ihr Leben ließen.
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Mehr Informationen:
Historisch-Technisches Museum Peenemünde GmbH | |
Im Kraftwerk | |
17449 Peenemünde | |
Tel.: +49 38371 505 0 | |
Fax: +49 38371 505 111 | |
E-Mail: htm@peenemuende.de | |
www.peenemuende.de |
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