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Sind Demographieprobleme lösbar?

Fragen an Univ.-Prof. Dr. Seeberger

Die Tiroler Landesuniversität (UMIT) wurde 2001 gegründet und hat ihren Sitz im Österreichischen Hall in Tirol. Die Universität widmet sich vorwiegend den Themen Gesundheit, Pflege und Biomedizinische Informatik. Das Institut für Gerontologie und demografische Entwicklung wird von Univ.-Prof. Dr. Bernd Seeberger geleitet, der wichtige Aussagen zu einer älter werdenden Gesellschaft getroffen hat.


Sehr geehrter Herr Prof. Seeberger, Statistiken zeigen, dass die Menschen immer älter werden. Hält hier auch deren Gesundheit Schritt oder geht das Älterwerden mit sinkender Lebensqualität einher?

Altern beginnt mit der Geburt. Vor dem Alter können wir uns nicht schützen. Es ist Lebensvollzug. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass wir immer älter werden. Ein neues Phänomen mit dem wir Alle lernen müssen umzugehen. Altern heißt demnach, die aufkommenden geistigen und körperlichen Einschränkungen zu akzeptieren. Jedoch hat das Alter auch Ressourcen und Fähigkeiten die bisher viel zu wenig benannt wurden. Erfahrungen, geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge erkennen sind nur zwei Beispiele für unsere älter werdende Gesellschaft. Gesundheit ist uns zum wichtigsten Gut geworden und viele Menschen möchten demnach auch gesund sterben. Dies ist jedoch nicht möglich, weil in der Endphase unseres Lebens wir oft von mehreren Krankheiten – gemeint körperlichen und geistigen Ausfallerscheinungen (Multimorbidität) geplagt werden.

Wie steht es mit dem Renteneintrittsalter? Wie viele Menschen schaffen es überhaupt, so lange zu arbeiten, um ohne Abschläge mit 65 beziehungsweise 67 in Rente gehen zu können?

In Deutschland liegt derzeit das durchschnittliche Renteneintrittsalter derzeit bei 61 Jahren (Männer), beziehungsweise 62 Jahren (Frauen). Wobei fast ein Drittel dieser Personen mit Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit in die Rente überführt wird. Natürlich gibt es sehr wenige Menschen, die wirklich bis 65 oder 67 in vollem Umfang im Erwerbsleben stehen. Dies liegt nicht an den älteren Arbeitnehmern, sondern an den Vorstellungen von Unternehmen. Demzufolge könnte der Anteil von älteren Arbeitnehmern durchaus deutlich anzuheben sein.

Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, das Rentenalter noch weiter zu erhöhen? Immerhin werden die älteren Menschen in diesem Alter körperlich viel mehr in Anspruch genommen, als junge Menschen. Besteht nicht die Gefahr, dass dadurch Krankenkassen noch viel mehr Mittel aufwenden müssen, um den körperlichen Raubbau abzufedern?

Die Erhöhung des Rentenalters auf 68 oder 70 wird sehr wohl hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Eben mit dem Ziel, die Rentensysteme länger zu schonen. Es gibt ältere Menschen, die gerne weiterarbeiten würden und sich oftmals in der Rente eine Tätigkeit suchen. Die erhöhten Kassenleistungen betreffen vor allem Berufsgruppen mit hohem körperlichen Einsatz.

Wo sehen Sie die Grenze des Zumutbaren in Sachen Renteneintrittsalter? Es ist bereits die Zahl 70 genannt worden. Der Zeitpunkt des Rentenbeginns ist aus Gesundheitsgründen doch sicher nicht beliebig ausweitbar, selbst wenn Statistiken zeigen, dass wir immer älter werden. Hinter dieser Zahl steht nicht, in welcher körperlichen Verfassung die alten Menschen sind. Gibt es also eine Altersgrenze, die für die meisten Menschen keine sinnvolle Beschäftigung mehr zulässt?

Als Bismarck um 1870 die Sozialgesetze einführte, hat er einen Arzt gefragt: Wie lange können Menschen leben. Der gab ihm damals die Antwort: Bis 72. Daraufhin beschloss Bismarck, dass bis 70 gearbeitet werden soll. Eine Situation, die heute so nicht mehr vorstellbar wäre. Allerdings ist es ebenso wenig vorstellbar, dass die Zeit des Rentenbezugs auf mehrere Jahrzehnte ausgedehnt wird, denn dies können die sozialen Sicherungssysteme nicht bewältigen. Menschen möchten, solange sie es können, etwas zu haben bzw. sich mit etwas beschäftigen. Natürlich mit zunehmendem Alter zeigt der Körper Abnutzungs- oder Verschleißerscheinungen und dies wird individuell unterschiedlich sein, abhängig eben von der körperlichen Verfassung des Einzelnen. Ich kenne Menschen, die über 80 sind und Tätigkeiten vollziehen, die ihrem Alter entsprechen. In Japan gibt es jetzt schon Menschen über 80, die in Unternehmen noch mitarbeiten: Sie bestimmen Tätigkeit, Zeitdauer und ihre Pausen. Dies muss vorstellbar sein und all diese alt gewordenen arbeitenden Menschen sind dankbar, dass sie gebraucht werden. Der beste Schutz vor Einsamkeit, Isolation und Alltagsverwirrung.

Sind heutige Rentner fitter, als noch vor wenigen Jahrzenten? Ist daher der spätere Rentenbeginn berechtigt oder ist dies nur eine Maßnahme, um das Rentensystem finanziell zu stabilisieren?

Ja natürlich, beides ist richtig. Wir sprechen hier vom Altersstrukturwandel. Dieser besagt zwei Besonderheiten: a) unser Alter ist entberuflicht. Menschen gehen zu früh in Rente und haben dann Freizeit, besser gesagt: leere Zeit! Dies kennen wir aus der Philosophie. Wenn wir etwas Zuviel haben, dann wird es uns zur Last. b) so jung wie heute waren wir noch nie im Alter gewesen. Will heißen, dass sich die heutigen Alten zwischen 12 bis 17 Jahre jünger, gesünder und fitter erleben als z.B. ein 70-Jähriger vor 30 Jahren.

Kann man statistisch nachweisen, dass durch ein übermäßig langes Erwerbsleben bei anstrengenden Berufen die Lebensqualität in der Rente durch rasch nachlassende körperliche Fitness leidet?

Nein, das kann man nicht nachweisen. Wir wissen, dass körperliche Aktivität die Leistungsfähigkeit des Gehirns jung hält. Diese Menschen, die körperlich aktiv sind, benötigen kein Ausdauertraining oder Koordinationsübungen. Jedoch wissen wir auch, dass Menschen mit jahrzehntelangem körperlichen Einsatz früher altern als ihre anderen Altersgenossen.


Welche Krankheiten sind am häufigsten der Grund, wenn Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen?

Ihre Frage kann man hinterfragen. Wir haben nach wie vor keine guten Daten, weshalb Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen. Wir haben Vermutungen, wie Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, Ärger mit Vorgesetzten, innere Ablehnungen von neuen Arbeitsprozessen, et cetera. Wenn wir dies wüssten, könnten wir entsprechend entgegenwirken. Viele Frühverrentete suchen sich dann oftmals zusätzliche Tätigkeiten und das ist das interessante Phänomen daran. Natürlich sind Krankheiten ein Anlass oder Grund, die Arbeitstätigkeiten aufzugeben. Die wichtigsten Krankheiten des Alterns sind vorwiegend Erkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Osteoporose und COPD. Bedenken Sie bitte, dass Krebs vorwiegend eine Alterskrankheit ist. Die häufigsten Krebsarten in Bayern 2010 waren bei Männern: Prostata, Darm, Lunge und Harnblase. Bei Frauen Brust, ebenfalls Darm und Lunge und Gebärmutterkörper.

Ist es, wirtschaftlich gesehen, überhaupt sinnvoll, Ältere so lange wie möglich in Arbeit zu halten? Immerhin fallen sie dadurch lange Jahre als Konsumenten einer bestimmten Industrie aus. Zu nennen wäre etwa die Tourismusindustrie.

Bedenken Sie: Die Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme werden ein Vielfaches dessen an Wertschöpfung generieren, als das, was einzelne Industriesparten an sehr geringer nachlassender Nachfrage erkennen werden. Die Tourismusindustrie brummt so und so, da immer mehr Bevölkerungsschichten verreisen, speziell die Personen über 50, die ja nach wie vor im Berufsleben stehen.

Während jüngere Personen keinen Arbeitsplatz finden, müssen ältere Personen ihre stets weiter sinkende Rente aufstocken. Ist dies nicht ein klarer Hinweis auf die nicht gegebene Funktion des Umlagesystems?

Nach wie vor ist unser Rentensystem an ein generationenorientiertes Umlagesystem gebunden. Seit vielen Jahren versucht die Politik die aufkommende demografische Verlagerung durch einen Demografiefaktor aufzufangen. Vielversprechend war der Erfolg bisher nicht. Die gesetzliche Rente wird sinken, Betriebsrentensysteme und private Vorsorge sind eh schon etabliert und werden als Verpflichtung angenommen.

Durch den Facharbeitermangel wird jeder zu früh eingetretene Rentenfall zu einer Belastung für Unternehmen. Was müssen Arbeitgeber in der Metallindustrie beachten, um ältere Arbeitnehmer fit zu halten?

Als Personal-Betreuungsprogramm gibt es das Age-Management. Gemeint ist damit der Ansatz, um ältere Mitarbeiter möglichst lange im Unternehmen zu halten. Inhalt ist unter anderem die Reduzierung von Schichtarbeitszeiten, Verzicht auf Nachtschichten, Veränderung des Pausenrhythmus und vor allem dem Mitarbeiter die Wahl lassen, ob er nach einem Vollzeit- oder Teilzeitsystem arbeiten will. Gerade in der Schwer- oder Fertigungsindustrie wäre es sinnvoll, wenn solche Altersbindungsansätze mit beruflichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Betrieb gekoppelt werden könnten.

Wie ist Ihre Erfahrung zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer? Haben Arbeitssuchende ab dem 50. Lebensjahr überhaupt eine Chance auf Anstellung oder ist der Facharbeitermangel gar keiner?

Älteren Arbeitssuchenden wird der Fachkräftemangel zugutekommen. Mittlerweile stellen sich immer mehr Branchen auf die Suche nach älteren Arbeitnehmern ein. Wiederentdeckt werden Erfahrungen, bisherige Berufskenntnisse, breite Lösungsansätze und ein vernetztes Denken, dass sich oft in Form von Solidarität und einem vergangenen Pflichtbewusstsein äußert. Zunehmende Beschäftigung älterer Menschen geht überhaupt nicht auf Kosten jüngerer. Dies ist ein politisch geprägtes Vorurteil und verliert derzeit an Bedeutung. Die Frühberentung wurde bisher als Recht aufgefasst; dies war ein Fehler, denn die Anreizeffekte haben sich letztendlich ins Negative verkehrt. Denn Frühberentung reduziert zugleich Lebenszufriedenheit.

Warum werden dann ältere Arbeitssuchende nicht priorisiert eingestellt? Zählen lange Praxisjahre nichts?

Doch. Erfahrungswissen wird künftig mehr an Bedeutung gewinnen. Sinnvoll wäre es, wenn in der Belegschaft eines Unternehmens alle Generationen vertreten wären. Dadurch wäre ein generationenübergreifendes Lernen möglich. Jüngere können Älteren Techniken vermitteln, gegen die Ältere oftmals Vorbehalte haben. Umgekehrt könnten Ältere den Jüngeren Erfahrungswissen, vernachlässigte Techniken und vieles mehr vermitteln. Dies können wir als betrieblich orientierte Generativität bezeichnen; ein Denkansatz, der ab 2020 zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.

Pflegeheime sind sehr teuer. Dennoch werden Pflegekräfte nicht besonders gut bezahlt. Entsprechend wenige Menschen sind daher bereit, in diesem Sektor zu arbeiten. Die Folge ist eine schlechte Pflege durch die Arbeitsüberlastung. Was kann man dagegen machen?

Derzeit ist der Fachkräftemangel in der Pflegewirtschaft schon unterschiedlich regional zu spüren. Die noch vorhandenen Pflegekräfte werden derzeit von Krankenhäusern aufgesaugt. In der Altenpflege und Betreuung werden in den nächsten Jahren immer mehr Hilfskräfte hineingedrückt. Da die älteren betroffenen Menschen oftmals selbst keine Lobby mehr bilden können, ist es meines Erachtens erforderlich, dass die Angehörigen sich zusammenschließen und entsprechenden Protest öffentlich kundtun. Deutlich wird bei der jämmerlichen Situation in den Heimen, dass wir zwar eine Gesellschaft des Alters werden, dafür jedoch noch keine Kultur oder ähnliche Ansätze des Alterns gesellschaftlich vereinbart haben.

Zuwanderung ist sicher eine Möglichkeit, an mehr Pflegekräfte zu kommen. Diese fehlen jedoch in den Herkunftsländern, denn auch dort wollen Menschen gepflegt werden. Ist diese egoistische Politik nicht abzulehnen?

Auf der einen Seite ist diese Art von Menschenpolitik oder Menschenwerbung abzulehnen, auf der anderen Seite sind wir zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden und immer mehr Menschen aus anderen Ländern wollen mit der Absicht, wirtschaftlichen Erfolg zu haben, nach Deutschland kommen. Sinnvoll ist diese Politik nicht. Irgendwann müssen wir in Richtung der türkisch-orientierten GUS-Staaten gehen und Menschen aus einem fremden Kulturkreis bitten, dass sie unsere alten Menschen pflegen oder betreuen. Es wird eine Art von Völkerwanderung werden, die es in der Geschichte der Menschheit schon immer gegeben hat; Menschen ziehen dorthin, wo es Arbeit und Brot gibt.


In einem Vortrag haben Sie erwähnt, dass Menschen erst dann bereits sind in ein Heim zu ziehen, wenn gesundheitlich nichts mehr geht. Sie also nicht mehr selbst für sich sorgen können. Vielfach wurden früher die Großeltern von der jüngeren Generation mitversorgt. Umgekehrt kümmerten sich diese auch um die Enkel. Heute sind diese Bande aus Wohnungsgründen oft nicht mehr möglich. Wurde durch die einseitige Ausrichtung auf die Arbeitswelt in dieser Frage eine teure Sackgasse befahren?

Mit zunehmendem Alter verlassen Menschen die oft selbstgewählte Ausrichtung auf ihre Arbeitswelt und überlegen, wie und wo sie im Alter leben und wohnen möchten. Jung und Alt leben heute in getrennten Wohnungen und wir können hier von einer „distanzierten Nähe“ sprechen, das heißt, die Kinder oder nächsten Angehörigen leben im Durchschnitt eineinhalb Stunden von den Eltern entfernt. Durch die moderne Telekommunikation und vereinfachte Mobilität können Jüngere oft schneller bei den Eltern sein. Nach wie vor leben 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause und von diesen werden wiederum zu 2/3 von Angehörigen versorgt. Bei den restlichen 1/3 kommen täglich professionelle Hilfs- und Betreuungsdienste (Sozialstationen) vorbei. Trotz aller Mängel finden viele ältere Menschen ihre Wohnung als passend und geeignet und möchten diese auch nicht verlassen.

Im Alter wohnen nicht selten viele Menschen in viel zu großen Wohnungen. Viele wären gerne bereit, eine kleinere Wohnung zu beziehen, wenn am neuen Wohnort eine gute Verkehrsinfrastruktur, Ärzte und erreichbare Einkaufsmöglichkeiten vorhanden wären. Das ist jedoch oft nicht der Fall. Im Gegenteil, wurden doch Verkehrsverbindungen in den letzten Jahren abgebaut, während ältere Ärzte keine Nachfolger für ihre ländliche Praxis finden. Hat hier die Politik in den zurückliegenden Jahren grobe Fehlentscheidungen getroffen?

Deutschland wird ab dem Jahr 2035 beim abschwingenden der großen Alterungswelle weniger werden. Bis Ende des 21. Jahrhunderts werden wir ca. nur noch bis zu 60 Millionen Personen Bevölkerung sein. Gesellschaftlicher Umgang mit der demografischen Verschiebung heißt auch: die Schrumpfung positiv organisieren. Das von Ihnen beschriebene Phänomen der regionalen Ausdünnung und das Nachlassen von infrastrukturellen Angeboten zeigt deutlich auf, dass die demografische Veränderung sich regional verschieden zeigt.

War es nicht ein Fehler, in Sachen Bevölkerungsentwicklung und Rentenberechnung von einer Pyramide auszugehen? Zum einen hat es doch noch nie stabile Verhältnisse gegeben, die dazu führten, dass in jedem Jahr ein bestimmtes Kontingent an Kindern geboren wird. Zum anderen würde eine Pyramide bedeuten, dass jedes Jahr eine bestimmte Menge Menschen stirbt, damit sich eine Pyramide ausbilden kann. Wie sieht in Ihren Augen ein gesundes Bevölkerungswachstum aus?

Die Bevölkerungspyramide im Sinne einer Pyramide gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um das Jahr 1910 war das Durchschnittsalter in den deutschsprachigen Ländern 22,5 Jahre. Heute sprechen wir von einer Urne oder von einer Zigarre. Das Jahr 1964 wird als das letzte mit dem sogenannten Bestandserhaltungsniveau bezeichnet. Bedingt durch die Einführung der Pille und eines neuen Scheidungsrechts kam es zu deutlich weniger Kindern. Die angebotenen Lösungen und demografischen Aktivitäten von unterschiedlichen Organisationen werden kurzfristig nicht dazu betragen die Bevölkerung zu nähern. Wir müssen in Generationenepochen denken; das heißt, nach 50 Jahren können wir sehen, ob bestimmte gesellschaftliche Aktivitäten heute, dann Erfolg haben werden. Im negativen Sinne können wir von einer Überalterung der Gesellschaft sprechen, aber wir können auch sagen wir haben eine Entjüngung. Unsere Gesellschaft bekommt weniger Kinder. Dies hängt auch damit zusammen, dass nach dem sogenannten Pillenknick weniger Menschen geboren wurden, somit in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auch weniger Frauen, die in den letzten 15 bis 20 Jahren demnach auch keine Kinder gebären konnten. Ein gesundes Bevölkerungswachstum muss künftig politisch geplant werden und wird auch teilweise schon mit familienfinanziellen Unterstützungsmaßnahmen gestärkt. Aber kurzfristige Ergebnisse sagen dazu noch wenig aus.

Um für mehr Kinder zu sorgen, werden alle möglichen und insbesondere teure Programme aufgelegt. Doch wie sollen die Menschen für Kinder sorgen, wenn sie sich eine entsprechend große Wohnung gar nicht leisten können und womöglich sogar zu zweit Geld verdienen müssen, um über die Runden zu kommen? Darüber hinaus gleiten die Eltern nach dem großziehen der Kinder wieder in nachteilige Steuerklassen ab. Wäre es nicht sinnvoller, teure Strohfeuerprogramme zu beenden und Eltern für das Aufziehen der Kinder auf Dauer in der günstigeren Steuerklasse zu lassen? Dies wäre womöglich ein stärkerer Anreiz, Kinder großzuziehen, als Programme wie etwa „Herdprämien“.

Teilweise geben sie mit Ihrer fortführenden Fragen schon eine Antwort auf das Problem. Unser Steuersystem ist wenig demografieorientiert. Bezüglich der Demografie und ihrer Auswirkungen, vor allem auf die Familienstrukturen, gilt uns Frankreich hier als Vorzeigeland. Frankreich aber auch Finnland oder Island. Dort ist es möglich, dass sowohl Vater als auch Mutter trotz Kleinkind arbeiten gehen können. Dies wollen zurzeit in Deutschland alle Parteien, entsprechende Einrichtungen und familienentlastende Angebote zu schaffen. Die aus dem Osten übernommene Kindergrippe ist nur ein Element einer künftigen Angebotspalette.

Ist das Umlage-Rentensystem nicht ungerecht? Immerhin erreichen unzählige Menschen nicht das Rentenalter, da sie vorher versterben. Sie haben aber über Jahrzehnte in das System eingezahlt. Die einbezahlten Summen sind für diese Person verloren und auch die Familie bekommt, abgesehen von der Frau in der späteren Rente, nichts davon.

Nach wie vor haben wir in Deutschland den sogenannten Generationenvertrag. Bedingt durch die zunehmende Alterung leeren sich die Rentenkassen. Es bleibt m.E. eine Frage der Zeit, bis Renten abgesenkt werden, die Diskussionen über Mindestrente laufen schon längst bei den Parteien. Die einbezahlte Summe werden wir alle nie mehr bekommen.

Trotz Zuwanderung wird es in Deutschland einen massiven Bevölkerungsrückgang geben. Worauf müssen sich Unternehmen bis zum Jahr 2035 und danach einstellen?

Der sogenannte Fachkräftemangel wird alle Wirtschafts- und Dienstleistungsbranchen erfassen. Ab dem Jahr 2020 wird sich dieses Phänomen verstärkt zeigen. Dann geht die Gruppe der Babyboomer, das heißt Menschen, die noch vor dem Pillenknick 1964 geboren wurde, in den Ruhestand. Deutschland ist ein Exportland. Wir werden in den nächsten Jahren unsere Charmeoffensive und Kulturpolitik, das heißt auch z.B. Sprachförderung durch Goethe-Institute, ausweiten müssen und Menschen nach Deutschland einladen, um hier zu arbeiten.

Kann die Produktivität trotz zurückgehender Bevölkerungszahlen gesichert werden? Muss überhaupt eine hohe Produktivität sein? Weniger Menschen brauchen schließlich auch weniger Konsumgüter.

Dem ist so! Aber, wir wissen, dass die sogenannten jungen Alten oder ›best ager‹ bis zu derzeit 75 Prozent ihres freien verfügbaren Einkommens für sogenannte Konsumgüter ausgeben. Ob es Autos sind, Möbel, Freizeitartikel oder Reisen. Der Gruppe der derzeitigen Alten bis 75 geht es trotz steigender Altersarmut noch relativ gut. Trotz all dem können auch kleiner werdende Gesellschaften produzieren und auf diesem Gebiet sind wir eh schon Weltmeister, da das meiste unserer Produktion eh schon ins Ausland geht.

An welchen Standorten in Deutschland werden Fachkräfte künftig nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen? Was für einen Rat haben Sie für Unternehmen in diesen Gegenden, langfristig für Arbeitskräfte zu sorgen und den Standort attraktiv zu halten?

Das bayrische Landesamt für Statistik hält jetzt schon auf ihrer Homepage Informationen vor, wie sich die regionale Verteilung künftig zeigt. Die IHKs halten jetzt schon kostenlos vorbildliche Informationsmaterialen und Broschüren bereit wie es gelingen kann; zum Beispiel ›Gemeinsam für Fachkräfte - bilden, beschäftigen, integrieren‹. Des Weiteren sind bei den IHKs Demografierechner – etwa ›Wie demografiefest ist Ihr Unternehmen?‹ – abzurufen. In Niederbayern leben derzeit knapp 1,2 Mio. Menschen; bis zum Jahr 2030 wird diese Zahl leicht abnehmen. (circa 1,2 Prozent). Bis 2010 ist die Bevölkerung in den letzten 20 Jahren um circa 8,8 Prozent gewachsen. Jedoch gilt für Niederbayern auch das, was für viele andere Regionen in Deutschland gilt: Die Zahl der Todesfälle ist größer als die der Geburten, sodass aufgrund dieses Geburtsdefizits nur durch Zuzüge Bevölkerungswachstum in den Regionen entstehen kann. Nach meinen persönlichen Erfahrungen ist Niederbayern eh schon eine Musterregion, die dies erkannt hat und Fachkräfte aus dem europäischen Nahraum bewirbt und einlädt.

Vielen Dank für das Interview!

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