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Warum Europa eine andere Politik braucht

Klartext von Hans-Olaf Henkel zum Euro

Die Politik der Bundesregierung ist auf vielen Feldern ein einziges Desaster. Was nottut ist eine starke Opposition, die die Regierung auf Irrwege aufmerksam macht. Mit der Partei ›Die Alternative‹ gibt es nun berechtigte Hoffnung, dass starke Wortmeldungen in naher Zukunft nicht mehr nur außerhalb des Parlaments erschallen. Der ehemalige BDI-Chef und jetzige Europaparlamentsabgeordnete Hans-Olaf Henkel legt in seinen Gastkommentar dar, was etwa in Sachen Euro zu tun ist.


Die von der Politik getroffenen Entscheidungen zur „Stabilisierung des Euro“ haben Europa entscheidend verändert: Aus einer Wettbewerbsgemeinschaft ist eine Transfergemeinschaft geworden. Für derartige Einrichtungen besitzen wir in Deutschland mit dem sogenannten Länderfinanzausgleich das beste negative Beispiel: Gegenwärtig gibt es bei uns von insgesamt 16 Bundesländern nur noch drei Geberländer. Wenn etwa Berlin einen Euro ausgibt, bekommt es von den Geberländern 97 Cent zurück. Wenn dagegen Bayern einen Euro spart, muss es davon 97 Cent anderen abgeben. Seltsamerweise hat das für Bremen und für Bayern die gleiche Konsequenz: Sparen lohnt sich nicht.

Schon bevor Europa auf den Weg in eine Transfergemeinschaft gebracht wurde, hat Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit die Absurdität einer solchen Regelung vor Augen geführt. Er hat nämlich entschieden, dass den Berlinern freie Kindergartenplätze angeboten werden sollen, was die Eltern freuen und umso geneigter stimmen wird, ihn und seine Partei zu wählen. Nicht freuen wird es jene, die für die Millionen aufkommen müssen, nämlich Bayern und die anderen Geberländer, die sich im Würgegriff des Finanzausgleichs befinden.

Die absurde Konsequenz: Da die Sozialpolitiker in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg feststellen, dass Herr Wowereit sich auf ihre Kosten einen wählerfreundlichen Luxus leistet, beschließen sie desgleichen zu tun, weil auch sie an ihre Wähler denken müssen. Nun kann man sich leicht vorstellen, wie dieser Mechanismus, den man auch als System organisierter Verantwortungslosigkeit bezeichnen könnte, bei unseren europäischen Nachbarn wirken wird. Aus dem System dieser Ausgabeasymmetrien wird bald eine Leistungs- und Kostenspirale, an der jeder mit der Gewissheit teilnehmen kann, dass nur die letzten die Hunde beißen.

Die letzten, das werden diejenigen sein, die die anderen an Fleiß, Sparsamkeit und haushälterischer Disziplin übertreffen. Und keiner wird den Mut haben, die Wahrheit auszusprechen, dass eine solche „Gemeinschaft“ aus Teilnehmern besteht, deren jeder sich, so gut er eben kann, auf Kosten der anderen zu bereichern sucht.

War die EU einst als eine Wettbewerbsgemeinschaft konzipiert, in der jeder den anderen an Produktivität und Lebensqualität zu übertreffen suchte, wird sie nun zur Umverteilungsgemeinschaft, bei der es eine neue Wettbewerbsdisziplin geben wird – nämlich, wer den anderen das meiste abknöpft.

Daran wird weder die Wettbewerbsrhetorik der Bundeskanzlerin noch die diversen „Pakte für Wettbewerbsfähigkeit“, für den „Euro“ oder für den „Euro plus“ etwas ändern. Kurz gesagt: Die Frage ist nicht mehr, wer leistet am meisten, sondern wer leistet sich am meisten. Man kann sich denken, dass der Tugendhafte, auf dessen Kosten sich die anderen etwas leisten, die längste Zeit tugendhaft gewesen ist.

Für Deutschland wird dies auf Dauer die Konsequenz zeitigen, dass es sich immer weniger von den anderen unterscheiden wird, statt, zusammen mit Holland, Österreich, Finnland, Luxemburg die Felsen in der Brandung abzugeben, die Stabilitätskultur über Bord werfen und den Abwärtstrend verstärken wird. Mit ihrer Zustimmung zu einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ wird nun endgültig die Angleichung innerhalb Europas statt der Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents gegenüber anderen außerhalb Europas im Vordergrund stehen.

War es nicht die Rot-Grüne Bundesregierung, die „ohne Not“, will sagen ohne Rekurs auf eine Naturkatastrophe und ohne eine weltweite Finanzkrise die von Deutschen durchgesetzte Maastricht-Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent durchbrach? Was das für Europa bedeutet, lässt sich leicht ausmalen: Der Kontinent, einst Lokomotive und Ideenlieferant der ganzen Welt, wird hoffnungslos hinter die anderen großen Regionalblöcke zurückfallen.

Ich glaube an Europa, aber nicht an die fixe Idee der Technokraten, die alles über einen Leisten schlagen möchten und jede nationale Abweichung als Bedrohung empfinden, ich glaube an das Europa der Vielfalt. Wir brauchen die Nationalstaaten, die sich durch Wettbewerb untereinander profilieren, aber auch gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Nur wenn die europäischen Staaten ihre marktwirtschaftliche Wettbewerbskultur weiterentwickeln, können sie in der globalen Konkurrenz mit den anderen Weltteilen mithalten. Europa hat seinen Glanz dem Wettbewerb der Nationen zu verdanken – eine Transfergemeinschaft wird dagegen für schnelle Abstumpfung sorgen: man strebt nicht nach oben, sondern orientiert sich nach unten.

Die Gemeinschaftswährung hat unbemerkt diesen Verfall noch beschleunigt. Denn das Privileg, an der Währungsstabilität der Starken teilhaben und diese als geldwerten Vorteil einstreichen zu dürfen, ist vielen schwachen Ländern nicht bekommen. Und weil die EU der Erhaltung des Gemeinschaftsgefühls mehr Gewicht beimaß als der Erhaltung ihrer Geldwertstabilität, ist der Euro auch den starken Ländern nicht bekommen.

Weil ich keine Chance mehr für den Einheitseuro sehe, es sei denn zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Kontinents, habe ich mir die Devise „Abkehr vom Schuldenstaat! Abschied vom Einheitseuro!“ zu eigen gemacht. Will Europa von einem zentral geregelten Transferverbund zu einer kreativen Wettbewerbsgemeinschaft zurückkehren, weil es seine Stabilität und zugleich seine globale Konkurrenzfähigkeit behalten will, so braucht es ein Währungssystem, welches den in Europa vorherrschenden kulturellen und wirtschaftlichen Unterschieden Rechnung trägt. Mit unserem Einzug ins Europäische Parlament wollen wir nun im Interesse Europas daran arbeiten.

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