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Mehr Mut zum Unternehmertum

Erfolgreich mit Entrepreneurship

Als rohstoffarmes Land ist Deutschland auf den Rohstoff ›Geist‹ angewiesen. Wünschenswert sind eine möglichst hohe Bildung der Bevölkerung sowie das kontinuierliche Entstehen einer Gründerschicht. Beides ist aktuell auf dem Rückzug. Professor Günther Faltin zeigt Wege aus der Misere.


Sehr geehrter Herr Prof. Faltin. Deutschland ist vom Können seiner Bewohner abhängig. Dies bedeutet, dass in den Schulen der Wissenserwerb im Vordergrund stehen sollte. Aktuell ist dies jedoch immer weniger der Fall. Selbst Abiturienten können im Vergleich zu früher wesentlich schlechter Rechnen und Schreiben. Sind wir dank einer verfehlten Bildungspolitik als Wirtschaftsnation auf dem absteigenden Ast?

Prof. Günter Faltin:
Rechnen und Schreiben, das heißt, die Vermittlung von – sagen wir „Fertigkeiten“ – ist das eine. Eine ganz andere Sache ist hingegen, in welchem Rahmen und mit welchem Ziel Bildung vermittelt wird. Schauen Sie, in der Realität des Marktes werden Entscheidungen immer unter Unsicherheit getroffen. Schule ist aber ein System von Sicherheit. Der Lernstoff ist vorgegeben, steht in Lehrbüchern, Aufgaben, Lösungswege und Lösungen sind den Lehrern bekannt. Die Abschlüsse und der Weg dorthin, die ›Scheine‹ oder ›credit points‹, zählen. Komplexe Wirklichkeit wird didaktisch reduziert und Fächern zugeordnet. Die Tatsache, dass das Modell der Qualifikation längst nicht mehr stimmt – dass das Bildungssystem weiß und lehrt, welche Qualifikationen im Berufsleben später gefragt sind –, ist bekannt, wird aber im schulischen Alltag beiseitegeschoben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Schule von heute immer noch auf eine Lebensperspektive zielt, die in abhängige Beschäftigung führt. Dabei müsste es unsere Absolventen in eine Lage versetzen, ihren eigenen Arbeitsplatz, oder, noch besser, neue Arbeitsplätze durch neue Unternehmen zu schaffen. Was wir brauchen, ist ein ökonomischer Aufklärungsunterricht, der uns die Welt des Geldes und des Marktes nicht vorenthält und die verschiedenen Möglichkeiten für Entrepreneurship vermittelt.

Sie setzen sich sehr für das Unternehmertum ein und haben darüber sogar ein Buch geschrieben. Was zeichnet einen guten Unternehmer aus?

Faltin:
Zunächst einmal unterscheide ich zwischen Unternehmer und Unternehmertum auf der einen und Entrepreneur und Entrepreneurship auf der anderen Seite. In dem Begriff ›Unternehmer‹ oder ›Unternehmertum‹ stecken im Deutschen drei sehr unterschiedliche Funktionen: Die Eigentumsfunktion, die Managementfunktion und die innovative Funktion. Dabei sind diese Aufgaben höchst verschieden und können in der modernen Welt arbeitsteilig angegangen werden. Wir verwirren also mehr als wir klären, wenn wir mit dem Begriff ›Unternehmer‹ operieren. Immer wieder hört man, dass der Unternehmer ganz besondere Eigenschaften haben muss. Da fallen dann Worte wie ›Durchsetzungsvermögen‹, ›kaufmännische Kenntnisse‹, ›rhetorisches Geschick‹. Doch Studien in den USA belegen, dass es gerade keine spezifischen Charaktermerkmale bei Gründern gibt – und damit meine ich jetzt die Entrepreneure, Gründer, die sich für ein Anliegen einsetzen, denen monetärer Erfolg meist zweitrangig ist – die über Erfolg oder Misserfolg einer Gründung entscheiden. Das eine oder andere mag sich im Laufe der Zeit herausbilden, aber eine Grundveranlagung ist es nicht. Das einzige, was viele Gründer gemeinsam haben, ist eine gewisse Hartnäckigkeit, ein Durchhaltevermögen, an ihre Idee zu glauben, sie zu verfolgen und an ihr zu arbeiten.

Auch Sie haben Ihre Ideen umgesetzt und sind mittlerweile ein erfolgreicher Unternehmer mit Ihrer Idee, Spitzentee zu sehr günstigen Preisen anzubieten. Gab es am Anfang eine Zeit, wo Sie dachten, wieder aufzuhören?

Faltin:
Aufhören kam nicht in Frage. Da hatte ich die oben genannte Hartnäckigkeit. Aber jeder Gründer kommt irgendwann an einen Punkt, an dem er ein mulmiges Gefühl bekommt. Das war bei mir so, als die erste Tonne Tee unterwegs nach Deutschland war. Auch wenn ich mein Geschäftskonzept überzeugend fand, war der letzte Beweis, dass es auch tatsächlich funktioniert, noch nicht erbracht. Diese Zweifel oder auch Rückschläge sind bis zu seinem gewissen Grad normal. Denken Sie an Henry Ford. Er wurde mit seinen Autos weltberühmt. Die fruchtlosen Anfänge jedoch fehlen in den späteren Büchern und auch in den Autobiographien.

Welche Unternehmer sind heute gefragt?

Faltin:
Im postindustriellen Zeitalter werden Ideen und Konzepte immer wichtiger. Kopf schlägt Kapital. Vor allem sind Konzepte erfolgreich, die im Einklang mit den Werten der Gesellschaft stehen. Die wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ist angewiesen auf unternehmerische Initiativen, die nicht ständig neue Bedürfnisse herauskitzeln, sondern auf vorhandene Probleme mit ökonomischer, sozialer und künstlerischer Fantasie antworten. In seiner Vorgehensweise ist der Entrepreneur dem Künstler sehr viel näher als dem Manager. Es ist nicht nur selbstbestimmtes Arbeiten, sondern auch eine künstlerische Tätigkeit des Neuentwurfs, des Überwindens von Konventionen, kreative Zerstörung.

Viele Menschen haben irgendwann mal einen Einfall für eine Unternehmensgründung. Woran erkenne ich, dass meine Idee auch tragfähig ist?

Faltin:
Wir müssen deutlich unterscheiden: Das eine ist der Einfall, den man plötzlich und vermutlich auch öfter hat. Eine tragfähige Idee ist weitaus mehr: Hier steht ein Proof of Concept dahinter. Ein Einfall muss in vielerlei Hinsicht überprüft werden, um das Potenzial der Idee zu hinterfragen. Dies ist übrigens das, was mir in der klassischen Gründerberatung zu kurz kommt, wo es vorrangig um Marktanalysen, Businesspläne oder Finanzierungen geht. Aber eben nicht um das Herausschälen der eigentlichen Unternehmensidee. Im besten Falle wird es vorausgesetzt – leider gibt es nicht wenige Stimmen, die immer wieder behaupten, es käme allein auf die Umsetzung an und weniger auf die Idee.

Was kann ich tun, um nicht in diese Falle zu tappen?

Faltin:
Es gibt Techniken: Vor allem muss ich meine Annahmen hinterfragen. Die meisten gründen à la Roulette und hoffen, dass ihre Idee aufgeht. Dabei kann man viele dieser Annahmen sehr früh auf Tragfähigkeit abklopfen und an der Realität testen. Ein Beispiel: Wenn ich ein ägyptisches Restaurant eröffnen will, dann stecken da jede Menge Annahmen drin. Etwa, dass sich Menschen für Ägypten interessieren oder das Essen mögen. Doch schaut man genauer, dann wird es spannend. Was genau interessiert denn meine potenziellen Kunden: Das alte Ägypten, das eigentliche Land wie es heute ist oder wirklich das dort heimische Essen? Die Antworten auf diese Fragen verändern mein Konzept. Außerdem sollte das Konzept auf mehreren Beinen stehen: Was ist etwa, wenn das originale ägyptische Essen nicht ankommt? Muss ich dann schließen oder funktioniert das Restaurant trotzdem noch? Grundsätzlich gilt: Auf je mehr Beinen ein Konzept steht, desto erfolgreicher wird es.

Was raten Sie jemandem, der sich mit einer Idee selbstständig machen möchte?

Faltin:
Wichtig ist, nicht zu schnell mit einem unüberlegten Konzept zu starten. Ich sage in meinem Buch ›Kopf schlägt Kapital‹, dass der Gründer drei Schritte gehen muss: Erstens, Entrepreneurship von Business Administration unterscheiden. Das ist recht einfach. Zweitens, eine Ausgangsidee finden und daran so lange immer wieder arbeiten, bis ein Ideen­konzept vorliegt, das deutlich überzeugender ist als die existierenden Konventionen. Das ist sehr schwierig. Und drittens sollte der Gründer aus vorhandenen Komponenten gründen, statt alles selbst aufzubauen. Das ist der Schritt, der von Kapital fast unabhängig macht.

Denken Sie, dass in Deutschland genug für Gründer getan wird? Immerhin haben wir zwar Migrationsbeauftragte, jedoch keinen Beauftragten für das Managen von Jungunternehmern. Wie denken Sie darüber?

Faltin:
Gründern wird suggeriert, sie müssten Alleskönner sein, sich im Rechnungswesen, in der Finanzierung gleichermaßen auskennen wie mit Management, Marketing, Personalfragen, Arbeitsrecht, Vertragsrecht, Steuerrecht. Mit Banken sollen sie verhandeln können, mit Kunden und mit Lieferanten. Die Mitarbeiter sollen sie führen und die Öffentlichkeitsarbeit gestalten. Die Bilanz müssten sie verstehen und auch das Controlling. Dabei ist das wichtigste, dass Gründer neue Trends und Veränderungen im Markt rechtzeitig erkennen, ihr unternehmerisches Konzept immer wieder auch neuen Marktbedingungen anpassen. Sie müssen ihre Ideen den eigenen Mitarbeitern plausibel machen und sie damit begeistern können. Sie müssen ihr Unternehmen führen. Das ist etwas anderes, als den Geschäftsalltag zu organisieren und zu verwalten. Das bringt Ihnen kein Beauftragter für das Managen von Jungunternehmen bei.

Da muss ich angesichts zahlreicher Pleiten von Jungunternehmen in den ersten Jahren nach der Gründung noch einmal nachfassen. Wäre es nicht besser, die öffentliche Hand würde den Unternehmensgründern mehr zur Hand gehen, bis das Unternehmen erfolgreich Fuß gefasst hat? Es fehlt doch eigentlich an ­einer Task-Force-Einrichtung, wo man sich rasch und kostenlos professionelle Hilfe holen kann.

Faltin:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die öffentliche Hand mit ihren Regularien ein guter Berater bei ökonomischen Fragen ist. Was sicherlich helfen würde, wären einfachere Bedingungen, unter denen es möglich ist, ein Unternehmen zu gründen. Es würde enorm helfe, wenn man Gründer beim Start von bürokratischen Auflagen freistellen würde. Dazu ist es nicht nötig, Gesetze außer Kraft zu setzen, sondern es würde genügen, eine Regelung zu finden, die diese Zeit auf ein Jahr begrenzt. Dies hätte den Vorteil, dass der Gründer, gerade zu Beginn seiner Gründung, einen größeren Freiraum erhält, an seinem Konzept zu feilen und es weiter zu verbessern.


Jungunternehmen werden immer gerne Darlehen für ihre Wachstumspläne angeboten. Ein Grund für viele Pleiten? Schließlich lassen Fixkosten für Zinszahlungen wenig Luft für Durststrecken. Was raten Sie diesbezüglich den Unternehmensgründern?

Faltin:
Ich empfehle jedem Gründer, sein Ideenkonzept so zu durchdenken, dass er mit möglichst wenig Fremdkapital auskommt. Ein gutes Mittel dafür ist das Gründen aus Komponenten. Das Einsetzen von Komponenten, man könnte sie auch ›eingekaufte Leistungspakete‹ nennen, verändert das Problem der „Umsetzung“ des Geschäftskonzepts radikal. Dadurch verringern sich die Gründungsrisiken wesentlich, denn der Gründer greift mit ihnen auf etablierte, routinierte Einheiten zu, die bereits mit großen, effizienten Betriebsgrößen und hoher Professionalität arbeiten. Auch profitiert er von deren Wissen. Das eigene Unternehmen kann wachsen, aber der vom Gründer selbst betriebene Kern bleibt klein – und damit überschaubar und bewältigbar. In den Komponenten ist die Umsetzung professionell delegiert und „Umsetzung“ reduziert sich auf die Kombination von Komponenten. Dies erhöht die (bisher geringen) Überlebenswahrscheinlichkeiten von Neugründungen ganz erheblich. Es sind fast keine Investitionen erforderlich; damit entfällt die aufwändige Suche nach Kapitalgebern. Variable Kosten treten im Grundsatz nur auf, wenn auch wirklich Bestellungen eingehen.

Muss man für eine Selbstständigkeit immer eine besonders raffinierte Erfindung vorweisen, um Erfolg zu haben? Welche Ideen haben nach Ihrer Erfahrung Aussicht auf langfristige Marktpräsenz?

Faltin:
Die Erfahrung zeigt, dass Erfinder oftmals gar keine guten Entrepreneure sind. Gute Aussichten auf Erfolg haben Start-ups, die versuchen, auf ein Ideenkonzept zu bauen, statt der herrschenden Lehre zu folgen. Sie starten mit einfachen, aber durchdachten, ausgearbeiteten Ideen, die nur relativ geringe finanzielle Mittel erfordern. Sie gehen arbeitsteilig vor und setzen das unternehmerische Konzept möglichst aus bereits vorhandenen Komponenten zusammen. Diese neuen Unternehmen kann man als eine Art ›experimentelles Entrepreneurship‹ ansehen, das dem vorherrschenden Verständnis von Gründung praktische Alternativen gegenüberstellt. Ich nenne diese Start-ups ›Konzept-kreative Gründungen‹.

Viele an einer Selbstständigkeit Interessierte haben Bedenken, den Schritt zu machen, da sie befürchten, zu wenig von Betriebswirtschaft zu verstehen beziehungsweise neben der Beschäftigung mit dem Produkt zu wenig Zeit für Dinge, wie etwas die Buchhaltung zu haben. Können Sie diese Bedenken zerstreuen?

Faltin:
Anita Roddick, die Gründerin des ›Body Shop‹ sagte »Wäre ich auf eine Business School gegangen, hätte ich das Unternehmen nie gegründet«. Ein wesentlicher Punkt, um als Entrepreneur erfolgreich zu sein ist, die Unternehmensverwaltung vom kreativen Part des Entrepreneurs zu trennen. Diese Kreativität geht selten Hand in Hand mit Betriebswirtschaftslehre. Daher sollte man die Bereiche ›Entrepreneurship‹ und ›Business Administration‹ als Gründer voneinander trennen und die Verwaltung abgeben. Zu schnell reibt man sich sonst im Alltagsgeschäft – sprich: Der Unternehmensverwaltung – auf und verliert das unternehmerische Konzept aus den Augen. Moderne Gesellschaften sind arbeitsteilig. Warum verlangen wir also vom Gründer, dass er nach wie vor in allen betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Funktionen beschlagen sein soll?

Oft hören potenzielle Unternehmensgründer, dass sie von der Praxis des von ihnen auserkorenen Produkts doch überhaupt keine Ahnung haben und daher scheitern müssten. Haben Sie Beispiele, die der Meinung widersprechen?

Faltin:
Ich selbst bin so ein Beispiel. Ich war immer Kaffeetrinker gewesen, hatte von Tee keine Ahnung. Und dennoch war mir aufgefallen, das Tee in Deutschland exorbitant teuer ist, selbst im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Aus dieser Beobachtung heraus gründete ich die ›Teekampagne‹. Auch wenn ich erst einmal lernen musste, was einen guten Tee ausmacht, bin ich überzeugt, dass gerade der Blick von außen, zum Erfolg der Teekampagne beigetragen hat. Ich war nicht vorbelastet durch konventionelle Bilder, wie Teehandel bis dahin funktionierte.

Wie sollten sich Unternehmensgründer ihrer Idee nähern, um langfristig erfolgreich zu sein? Sind etwa umfangreich ausgearbeitete Business-Pläne der Weg zum Erfolg?

Faltin:
Es mag Gründer geben, denen Businesspläne, helfen um Gedanken zu sortieren. Für die Ausarbeitung der Idee halte ich sie für wertlos. Businesspläne konzen­trieren sich sehr stark auf die wirtschaftliche Dimension, stellen Projektionen auf, die beim besten Willen niemand vorherberechnen kann. Statistisch gesehen treffen 70 Prozent der Annahmen in der Praxis nicht zu. Außerdem verhindern sie oft Flexibilität.

Sie sprechen in Ihrem sehr lesenswerten Buch vom ›Entrepreneurship‹, wenn es um Gründer geht. Was drückt dieser Begriff aus, was im Deutschen Wort ›Unternehmensgründer‹ nicht zum Ausdruck kommt?

Faltin:
Entrepreneurship benennt den kreativen, innovativen Teil einer Neugründung. Sorgfältig etwas zu durchdenken, zu einer neuen Lösung zu kommen und dieses Neue durch die Gründung eines Unternehmens auch praktisch umzusetzen ist Aufgabe des Entrepreneurs. Viele Start-ups von heute sind von der Kreativität und den Ideen ihrer Gründer geprägt, weniger von Kapital und Technologie. Letztere sind Begriffe, die man gern mit den Worten ›Unternehmer‹ und ›Unternehmertum‹ in Verbindung bringt und nichts mit den Konzept-kreativen Gründungen zu tun haben, von denen ich spreche.

Was muss gutes Entrepreneurial-Design leisten, damit man damit erfolgreich ist?

Faltin:
Ein gutes Entrepreneurial-Design ist ein Gesamtkunstwerk. Wenn Sie Arbeitskraft, Energie, Transportwege, Kapital und Materialien einsparen, wenn Sie Ihr Konzept möglichst einfach halten, haben Sie gute Voraussetzungen. Je klarer und einfacher das Ergebnis, desto mehr Arbeit war im Vorfeld nötig: Meist sind Tausende von Informationsbausteinen notwendig, bevor eine Idee Konzeptreife erlangt. Das Nachdenken über Möglichkeiten zur Komplexitätsreduktion erfordert eine enorme geistige und kreative Leistung. Erfolgreiche Gründer sind oft Jahre mit einer Idee „schwanger gegangen“ und haben enorm viel Zeit und Energie in die Gedankenarbeit investiert. Es ist wie bei der Arbeit eines Künstlers: Auch hier gilt es, seinen eigenen Stil und sein eigenes Thema zu finden. Dafür braucht man Zeit. Im Englischen sagt man ›Go for your cause‹ – man braucht eine Passion für die eigene Unternehmung. Schließlich geht es nicht in erster Linie um den wirtschaftlichen Erfolg, es geht um ein geglücktes Leben. Wenn Sie zum Beispiel den ersten Copy-Shop in ihrer Kleinstadt aufmachen und die Bewohner dort ihn auch nutzen würden – also die wirtschaftlichen Kennzahlen stimmen – dann wissen Sie noch nicht, ob Sie Ihr restliches Berufsleben in so einem Copy-Shop stehen wollen. Erfolgreich wird der Entrepreneur, wenn er das wirklich will. Und zu guter Letzt: Die Aufgabe, ein gutes Entrepreneurial Design auszuarbeiten, endet nicht mit der Gründung. Selbst wenn es hervorragend ist, ist es kein Ruhekissen. Marktsituationen verändern sich, neue technologische Entwicklungen treten auf – die Arbeit am Entrepreneurial Design ist eine permanente Aufgabe, der sich der Gründer dauerhaft stellen muss. Davon hängt der Erfolg ihres Unternehmens maßgeblich ab.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch darüber, dass Könner, die das Prinzip verstanden haben, gleich mehrere Unternehmen erfolgreich führen können. Wie kann das sein, wo doch die Arbeitszeit und Kraft jeden Menschen begrenzt ist? Haben Sie Beispiele dafür, wo das geklappt hat?

Faltin:
Serial Entrepreneurs, also Menschen, die gleich eine ganze Reihe von Unternehmen gegründet haben, sind der beste Beweis dafür, dass man Entrepreneurship ganz praktisch und erfolgreich von Business Administration trennen kann. Während die Unternehmer = Manager mit einem einzigen Unternehmen völlig ausgelastet und oft überlastet sind, gelingt es der Spezies der Mehrfachgründer, die hohe Belastung durch Delegation von sich abzuleiten. Holger Johnson ist ein solcher Mehrfachgründer. Neben der Ebuero AG hat er rund 20 Firmen gegründet, mitgegründet oder ist Business Angel bei aktiver Mitarbeit am Aufbau der Unternehmen. Wie schafft er das? Er konzentriert sich auf das Entrepreneurial-Design, formuliert daraus Ziele und Aufträge und kontrolliert die Durchführung. Damit setzt er seinen Kopf und seine Zeit dort ein, wo er am besten ist. Er weiß auch sehr genau, dass er bei der Arbeit am Entrepreneurial-Design darauf achten muss, nicht zu viel Komplexität entstehen zu lassen. Hohe Komplexität würde die Fehleranfälligkeit vergrößern, häufiger Chefentscheidungen verlangen, sprich mehr Energie und Aufmerksamkeit von dem abziehen, wo seine besten Talente liegen und was ihm großen Spaß macht.

Kann das nicht zur Sucht werden? Können erfolgreiche Gründer noch abschalten oder werden Sie ein Opfer ihres Erfolgs?

Faltin:
Das denke ich nicht. Im Gegenteil: In keinem anderen Beruf haben Sie die Möglichkeit, ihre Tätigkeit so exakt nach ihren Stärken und Vorlieben zu gestalten wie als Entrepreneur.

Sind daher Universitäten auf dem falschen Dampfer, die rauf und runter betriebswirtschaftliche Formeln pauken, die man als Entrepreneur sowieso nie brauchen kann? Was sollte stattdessen gelehrt werden?

Faltin:
Betriebswirtschaft ist wichtig und muss professionell betrieben werden. Aber sie soll Entrepreneure nicht verscheuchen. Das heißt: Wenn ein Studiengang ›Entrepreneurship‹ heißt, sollte dort nicht BWL gelehrt werden. Die ›Master of Business Administration‹ werden an anderer Stelle ausgebildet. Im Entrepreneurship findet man eher die ›Master of New Concepts‹.

Warum werden erfolgreiche Unternehmer so oft angefeindet? Wenn Sie es nach entbehrungsreicher Zeit geschafft haben, mutieren Sie oft zum Feind von Gewerkschaften. Diese meinen, dass es unverdient ist, viel Vermögen zu haben. Wäre es nicht besser, ehrliche, erfolgreiche Unternehmer mit Respekt zu behandeln, da diese mit ihrem Fleiß schließlich dafür sorgen, dass Arbeitsplätze entstehen?

Faltin:
In Ihrer Frage schwingt das Bild eines weitgehend überholten Unternehmerbildes mit. Aus diesem Grund ziehe ich den Begriff ›Entrepreneur‹ auch vor. Viele erfolgreiche Gründer werden nie so groß oder sind strukturell so aufgestellt, dass sie mit Gewerkschaften zu tun haben. Erfolgreiche Menschen, und davon sind Entrepreneure nicht allein betroffen, rufen wahrscheinlich Neid hervor, weil sie es geschafft haben, ihr Leben nach ihren Vorlieben zu gestalten und damit glücklich sind.

Herr Prof. Faltin, vielen Dank für das Interview.

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Mehr Informationen:

Kontakt  Herstellerinfo 
Stiftung Entrepreneurship – Faltin Stiftung
Prof. Dr. Günter Faltin
Niedstrasse 28
12159 Berlin-Friedenau
Tel.: +49 30 34646191
E-Mail: stiftung@entrepreneurship.de
www.entrepreneurship.de
 

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