Welt der Fertigung
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Kugelhaufenreaktoren als Chance

Energieerzeugung auf sichere Art

Kernkraft hat es in Deutschland nicht immer schwer gehabt. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Form der Energiegewinnung forciert. Mit dem Kugelhaufenreaktor ist sogar ein Reaktortyp ersonnen worden, der selbst bei Ausfall der Kühlung beherrschbar bleibt. Unverständlich, dass dieser Reaktortyp nun ein Fall für das Endlager geworden ist.

Kugelhaufenreaktoren sind inhärent sicher


Die Erzeugung günstiger Energie ist ein wichtiger Grundpfeiler für Industrienationen. Wird Energie zu teuer, suchen sich energieintensive Unternehmen neue Produktionsstandorte mit günstigeren Energiekosten. Dieses Handeln ist verständlich, da eine durch hohe Energiepreise sinkende Wettbewerbsfähigkeit das betreffende Unternehmen in seiner Existenz bedroht. Sobald jedoch systemrelevante Unternehmen einen Standort verlassen haben, kommen auch in der Wirtschaftskette nachgelagerte Unternehmen in die Schieflage.

Diesen Zusammenhang hat man in der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders erkannt und daher den Ausbau der Kernenergie forciert. Bundeskanzler Helmut Schmidt, der von 1974 bis 1982 regierte, plante sogar den Bau von 60 Kernkraftwerken, um der Industrie genug Energie für weiteres Wachstum zur Verfügung zu stellen. Schließlich werden in Deutschland hochwertige Stähle erschmolzen, weltweit begehrte Chemikalien erzeugt, exzellente Kraftfahrzeuge gebaut und hochpräzise Werkzeugmaschinen ersonnen.

Durch das Aufkommen der Anti-Atomkraftbewegung konnte dieser Plan nicht umgesetzt werden. In der Folge der Energiewende ist Energie mittlerweile so teuer geworden, dass erste Abwanderungs- und Verlagerungsbewegungen von energieintensiven Unternehmen erkennbar werden. So produziert beispielsweise das Unternehmen ›SGL Carbon‹ seine CFK-Produkte für die Fertigung der BMW-Modelle ›i3‹ und ›i8‹ nicht in Deutschland, sondern in den USA, wo die Stromkosten zur Fertigung von CFK-Fasern wesentlich geringer sind.

Ein Umstand, der nicht sein müsste, da es auch in Deutschland möglich wäre, Energie zu sehr günstigen Preisen bereitzustellen. Doch gelingt das nicht mit den sogenannten ›erneuerbaren Energien‹, da diese alleine schon aus Platzgründen ausscheiden. Seriöse Berechnungen haben ergeben, dass bei einem Mischbetrieb von Wind- und Solaranlagen alleine die Windkraftanlagen etwa 18 Prozent der Fläche Deutschlands belegen würden, um den aktuellen Gesamtenergiebedarf zu decken.

In diesen Berechnungen sind noch nicht einmal die Flächen für die nötige Energiespeicherung enthalten, um die Versorgung auch im Fall von Flauten aufrechtzuerhalten. Ganz abgesehen davon, dass die Rotoren eine Gefahr für Vögel und Fledermäuse darstellen und darüber hinaus der durch die Rotoren erzeugte Infraschall zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der Anwohner führen kann.

Der AVR in Jülich wird aktuell abgebaut

Forschen für mehr Sicherheit


Die große Chance einer sicheren und günstigen Energieversorgung liegt in der vom deutschen Chemiker Otto Hahn und seinem Assistenten Fritz Straßmann entdeckten Kernspaltung. Leider ist diese Technik mit großen Gefahren verbunden, wie die Reaktorunglücke von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima zeigten. Zeitgeschichtlich gesehen ist die Kerntechnik jedoch noch in den Kinderschuhen, weshalb diese Technik dringend weiterer Forschung bedarf, um sicherer zu werden.

Diesbezüglich einen gewaltigen Schritt nach vorne ermöglichte der von Prof. Dr. Rudolf Schulten ersonnene Kugelhaufenreaktor, dessen Grundsteinlegung im Jahre 1959 in Jülich erfolgte und der bis 1988 in Betrieb war. Wären die eben genannten verunglückten Reaktoren in dieser Technik erstellt worden, wäre es niemals zu den schwerwiegenden Unfällen gekommen, da ein Kugelhaufenreaktor bis zu ­einer Maximalleistung von 200 MW (thermisch) inhärent sicher ist. Dies bedeutet, dass es selbst nach dem Ausfall der Kühlung dank dessen physikalischen Eigenschaften niemals zu kritisch ansteigenden Temperaturen, daher auch nicht zur so sehr gefürchteten Kernschmelze kommen kann.

Japan wäre das aktuelle Desaster erspart geblieben, das nur deshalb seinen Lauf nahm, weil infolge der durch den Tsunami verursachten Schäden kein Notkühlwasser durch die Reaktorkerne gepumpt werden konnte. Ein Kugelhaufenreaktor hingegen benötigt in seinem Inneren kein Wasser zur Kühlung, da das Edelgas ›Helium‹ diesen Part übernimmt. Dieses Gas ist zugleich das Transportmedium, um die im Kugelhaufen entstehende Hitze aufzunehmen und diese zu einem Wärmetauscher transportiert. Hier wird die Wärme auf wassergefüllte Rohre übertragen. Das Wasser wird zu Dampf, der eine Dampfturbine antreibt. Diese treibt den Generator, der Strom erzeugt.

Frische Brennelemnte sind völlig harmlos

Beherrschbare Risiken


In Jülich wurde in einem Versuch nachgewiesen, dass vom dort installierten AVR selbst nach Ausfall des Heliumkreislaufes sowie dem gleichzeitigen, sogar noch unwahrscheinlicheren Ausfall der schwerkraftbetätigten Abschaltstäbe keine Gefahr ausgeht. Auch für Kugelhaufenreaktoren vom Typ ›Modul‹, die für eine thermische Leistung von 200 MW geplant waren (der AVR in Jülich hatte 46 MW Leistung), wurde in einer Simulation dieses Verhalten festgestellt.

Der Grund: Die nach dem Ausfall des Heliumkreislaufes vorhandene Nachwärme lässt in ­einem Kugelhaufenreaktor vom Typ ›Modul‹ die Temperatur auf lediglich etwa 1 600 Grad Celsius ansteigen, die danach langsam absinkt. Beim AVR ist diese Maximaltemperatur während des besagten Versuchs wegen der geringeren Leistung natürlich noch geringer gewesen. Die Temperatur im Reaktorbehälter kann daher beim Kugelhaufenreaktor unter 200 MW Leistung niemals in gefährliche Bereiche vordringen. Sie gehen, ohne Schaden zu stiften, einfach aus.

Natürlich ist Kernkraft mit Störungen verbunden. So war im Jahr 1978 im AVR-Versuchsreaktor ein Wassereinbruch aus dem Dampferzeuger zu beklagen, dessen Folgen von interessierter Seite unnötig dramatisiert wurden. Man muss sich immer vor Augen halten, dass es sich beim AVR um einen Versuchsreaktor handelte, der dazu diente, die damit gesammelten Erfahrungen in kommerzielle Kraftwerke umzusetzen. Unter anderem wurden diese Erkenntnisse im Kernkraftwerk ›THTR-300‹ konstruktiv derart umgesetzt, dass besagter Vorfall in diesem AVR-Nachfolger wesentlich besser beherrscht worden wäre.

Ein Vergleich mit einem Kohleofen ist gar nicht so weit hergeholt, da hier wie dort eine identische Art der Nachfüllung des Brennmaterials stattfindet: Frisches Brennmaterial wird oben eingefüllt und die „Asche“ wird unten dem Sammelbehälter entnommen. Natürlich steht der Vergleich auf wackligen Füßen, denn mitnichten wird das Reaktorbrennmaterial einfach einem „Aschebehälter“ entnommen und anschließend entsorgt. Doch das Funktionsprinzip ist so sehr schön plastisch darzustellen.

Kühlausfall stecken Kugelhaufenreaktoren weg

Clevere Technik

Der Kugelhaufenreaktor ist ein raffiniertes Kernkraftwerk, das sogar während des Betriebs von seinen abgebrannten Brennelementen befreit werden kann, was bei herkömmlichen Kernkraftwerken nicht möglich ist. Diese müssen komplett heruntergefahren werden, um einen Austausch des Brennmaterials vornehmen zu können. Im Kugelhaufenreaktor hingegen befinden sich die Brennelemente in einem Kreislauf. Frische Kugeln fallen von oben auf den Kugelhaufen – den Reaktorkern – während unterhalb des Kerns die gleiche Menge an Kugeln entnommen wird.

Diese werden automatisch auf Beschädigung und „Restheizkraft“ untersucht. Nur Kugeln am Ende ihrer Lebensdauer werden durch frische Exemplare ersetzt, während noch weiterverwendbare Elemente erneut in den Brennraum geschleust werden. Auf diese Weise wird das Brennmaterial optimal genutzt, was in herkömmlichen Kernkraftwerken ebenfalls nicht der Fall ist. Durch dieses System muss zudem der Reaktor zu Beginn des Betriebs nicht mit übermäßig viel spaltbarem Material versorgt werden, da Brennstoff bei Bedarf problemlos zugegeben werden kann.

Nicht zuletzt sind die Kugeln ein Stück besonderer Technik. In den Kugeln stecken bis zu 40 000 kleine Brennstoffkörner, auch ›Coated Particles‹ genannt. Diese sind fest in Graphit eingebettet, sodass Kernmaterial nicht unbeabsichtigt freigesetzt werden kann. Zudem sind die Kugeln sehr robust, sodass ein Bruch nahezu ausgeschlossen ist. Interessant auch ein Blick auf die Coated Particles: Hier schlummert das eigentliche Wissen zum Betrieb des Kugelhaufenreaktors. Obwohl diese Körnchen nur etwa 0,5 bis 1,0 Millimeter im Durchmesser messen, haben Sie einen staunenswerten Aufbau, der sowohl den Betrieb des Reaktors sicherstellt, als auch der Sicherheit dient.

Die Brennelemente sind sicher in Graphit verpackt

Staunenswerte Winzlinge


Der eigentliche Kern besteht aus Uranoxid oder Urankarbid, an das sich eine erste Beschichtung aus pyrolytisch abgeschiedenem Kohlenstoff (Pyrokohlenstoff) anschmiegt. Sie ist porös, von geringer Dichte und wirkt als Pufferschicht. Sie umgibt eine feste, hochdichte Pyrokohlenstoffschicht, in die eine weitere Schicht aus Siliziumkarbid eingebettet ist. Diese erschwert die Diffusion von radioaktiven Stoffen. Durch die Kernspaltung schwillt der Brennstoffkern an, was zum Teil durch die Pufferschicht aufgefangen wird. Trotzdem entsteht in der Beschichtung ein hoher Druck, nicht zuletzt durch bei der Spaltung entstehende Gase. Drücke von 100 bis 200 bar sind möglich. Die Coated Particles können daher als kleine Druckbehälter betrachtet werden. Eine staunenswerte Erfindung also.

Der Kugelhaufenreaktor hat noch weitere Vorteile: Die erreichbare Arbeitstemperatur von beispielsweise 950 Grad Celsius ermöglicht es, in einem Röhrenspaltofen Kohlenwasserstoffe kostengünstig in Wasserstoff und Nebenprodukte aufzuspalten. Zudem war mit diesem Reaktortyp die Kohlevergasung geplant. Ziele, die einen großen Schritt in die Energieunabhängigkeit vieler Länder bedeutet hätten. Darüber hinaus wäre mit dem preiswert erzeugten Wasserstoff der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft gelungen. Ein lachender Profiteur wäre nicht zuletzt die Automobilindustrie gewesen.

Diese innovative Technik wurde nun in Deutschland aufgegeben. In anderen Ländern, wie etwa in China, wird der Kugelhaufenreaktor weiter erforscht. Aktuell wird die Anlage in Jülich demontiert. Das Ziel ist die „Grüne Wiese“. Nicht minder bedauerlich ist, dass damit auch die Atomforschung in Deutschland nahezu nicht mehr stattfindet, denn Ideen gibt es genug, die Atomkraft für den Menschen nutzbar zu machen.
Zu nennen wäre beispielsweise der Schnelle Brüter, der sogar mit abgebranntem Kernbrennstoff funktioniert hätte, was die Reichweite des verfügbaren Urans gewaltig gesteigert hätte.

Ein Reaktor mit ähnlichem Funktionsprinzip ist übrigens vor Russland in Betrieb gegangen. Doch gibt es noch mehr erstaunliche Ideen in Sachen Kernkraft. Zu nennen ist etwa der Dual-Fluid-Reaktor, der als Brennstoff flüssige Salze benötigt und in dem flüssiges Blei als Kühlmittel zum Einsatz kommt. Auch bei diesem Typ ist ein schwerer Unfall durch Kühlungsausfall physikalisch und technisch unmöglich. Zudem beträgt der Wirkungsgrad 60 Prozent, im Gegensatz zu etwa 42 Prozent bei üblichen Reaktoren.

Mit diesem Reaktortyp könnten Wasserstoff und synthetische Treibstoffe, wie etwa Hydrazin, kostengünstig dank der hohen Prozesswärme von 1 000 Grad Celsius hergestellt werden. Unverständlich, dass von Regierungsseite solche Ideen ausgeblendet werden. Dabei wäre dieser Reaktortyp sogar ein „grüner Reaktor“, wie das Berliner Kammergericht 2014 urteilte, das diesem Reaktortyp eine besondere Umweltfreundlichkeit bescheinigte. Egal ob Kugelhaufen oder Dual Fluid, es wird die Zeit kommen, wo sich diese Ideen durchsetzen werden, denn am Ende hat bisher immer die Vernunft gesiegt.

Funktionsaufbau eines Kugelhaufenreaktors

Ein Kugelhaufenreaktor besitzt einen Reaktorkern (1), der aus den Kugeln gebildet wird. Darüber befand sich beim AVR der Wärmetauscher (2), dem die Hitze bei der Kernspaltung per Heliumgas zugeführt wurde. Umgewälzte Kugeln werden über ein Abzugsrohr (6) aus dem Reaktorkern herausgeführt.

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Fax: 038354 22458
E-Mail: : poststelle@ewn-gmbh.de
www.avr-juelich.de
 

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