BBWs als 1A-Talentschmieden
Turbo für behinderte Menschen
Hinter dem Wort ›Inklusion‹ steht der Wunsch, dass Behinderte mit Nichtbehinderten zusammen beschult werden. Im Interview nimmt Ursula Haberkorn, Einrichtungsleiterin des Berufsbildungswerkes München dazu Stellung.
Sehr geehrte Frau Haberkorn, Berufsbildungswerke sind außerhalb von Fachkreisen noch wenig bekannt. Was ist ein BBW?
Ursula Haberkorn: Zentrale Aufgaben eines Berufsbildungswerkes sind die berufliche Rehabilitation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderung sowie die Qualifizierung und Unterstützung hörbehinderter Erwachsener für eine dauerhafte Teilhabe in Beruf und Gesellschaft. Im BBW München werden Fachkräfte in über 27 verschiedenen Berufen ausgebildet.
Die jungen Menschen können im BBW München die notwendige Fachkompetenz und Sozialkompetenz erwerben, die ihnen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben. Das BBW München ist mit seiner über 60-jährigen Erfahrung Spezialist für die Förderung im Bereich Hören und Sprache. Schwerhörige oder gehörlose Menschen finden im BBW München die besten Voraussetzungen für ihren Weg in ein erfolgreiches Berufsleben.
Welche Behinderung haben die jungen Menschen, die im BBW München ausgebildet werden?
Haberkorn: Das BBW München ist mir seiner über 60jährigen Erfahrung Spezialist für die Förderung im Bereich Hören und Sprache. Unsere Teilnehmer können folgende Diagnosen haben: Angeborene oder erworbene Schwerhörigkeit oder Taubheit; Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache; Entwicklungsstörung in der sozialen Interaktion und Kommunikation; auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung, Autismus, Usher-Syndrom sowie umschriebene Entwicklungsstörungen der schulischen Fertigkeiten wie Lese- und Rechtschreibstörung oder Rechenstörung. Die Auszubildenden im BBW München sind zum Teil gebärdensprachlich und zum Teil lautsprachlich orientiert. Beidem tragen wir Rechnung.
Viele angehende Auszubildende wissen bis kurz vor ihrem Schulabschluss nicht, welchen Beruf sie ergreifen sollen. Welche Möglichkeiten haben angehende Auszubildende im BBW München und welche Berufe werden angeboten?
Haberkorn: Angehende Auszubildende können sich in allen Berufsfeldern und Berufen erproben, die im BBW angeboten werden. Zusätzlich können sich Teilnehmer einer Berufsvorbereitungsmaßnahme auch in Berufen erproben, die Kooperationspartner anbieten. Zudem gibt es für Schüler die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren. Zu den vom BBW München angebotenen 27 Berufen gehören Industrieberufe wie Industriemechaniker, Medientechnologen und Kfz-Mechatroniker; Handwerksberufe wie Schreiner, Maler, Orthopädieschuhmacher und Friseur; Agrarberufe wie Gärtner verschiedener Fachrichtungen; kaufmännische Berufe wie Kaufmann für Bürokommunikation und Gestalter visuelles Marketing sowie Dienstleistungsberufe in Gastronomie, Hauswirtschaft und Pflege.
Die Ausbildungsbetriebe des BBW München sind mit hochwertigen Maschinen auf dem neuesten Stand ausgestattet. Die Auszubildenden werden entsprechend ihrem Leistungsstand in die Produktionsprozesse eingebunden. Eine auf die Hörbehinderung ausgerichtete Ausstattung, sowie Fach- und Gebärdenkompetenz bei den Mitarbeitern gewährleisten eine barrierefrei Kommunikation und Lernsituation.
Wie viele Jugendliche absolvieren aktuell im BBW-München ihre Ausbildung?
Haberkorn: Im Jahr 2012 haben im Schnitt 152 Teilnehmer im BBW München eine Berufsvorbereitung oder Ausbildung absolviert.
Die Auszubildenden machen am Ende ihrer Lehrzeit die gleiche Prüfung wie nichtbehinderte Prüflinge. Welches Know-how ist dazu von Seiten des BBW nötig, damit dies klappt?
Haberkorn: Ja, die Prüfungen, die unsere Jugendlichen absolvieren sind die gleichen wie bei anderen Absolventen. Wir setzen uns dafür ein, dass behindernde Kommunikationsbarrieren während der Prüfung beseitigt werden, sodass dem Prüfling kein Nachteil wegen seiner Behinderung entsteht.
Wie schneiden Ihre Schützlinge in den Abschlussprüfungen ab?
Haberkorn: Unsere Bestehensquote liegt bei 88 Prozent und damit oft über dem Kammerschnitt. Die BBW- Auszubildenden vollbringen immer wieder außergewöhnliche Leistungen bei Abschlussprüfungen. 2007 legte beispielsweise eine Auszubildende im Buchbinderhandwerk die Prüfung als Drittbeste in Bayern ab und wurde dafür von der Handwerkskammer ausgezeichnet. Mit einem sehr guten Prüfungsergebnis hat im Jahr 2011 eine Auszubildende im Friseurhandwerk abgeschlossen. Sie legte die Prüfung als drittbeste von 250 Auszubildenden ab und wurde dafür von der Friseurinnung München ausgezeichnet.
Eine beachtenswerte Leistung brachte 2011 eine weitere BBW- Teilnehmerin fertig. Als erste Maler-Auszubildende des BBW München schaffte sie in der theoretischen Abschlussprüfung die Note 1. Ihr Abschlusszeugnis der Berufsschule ist ebenfalls herausragend, die Durchschnittsnote beträgt 1,0. 2012 hat ein Auszubildender der Schreinerei für seine eindrucksvolle Leistung in der praktischen Prüfung von der Innung-München eine Auszeichnung erhalten. Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Gibt es bei der Vermittlung der Absolventen Hindernisse?
Haberkorn: Betriebe verfügen teilweise nicht über die Erfahrung und das Wissen im Umgang mit der Behinderung, die der jeweilige Absolvent hat. Dadurch entstehen Unsicherheit und auch Vorbehalte. Zum Teil führen diese Informationsdefizite speziell über Hörschädigung auch zu gravierenden Missverständnissen in der Kommunikation. Das BBW München unterstützt die Absolventen bei der Arbeitssuche, stärkt die Jugendlichen im Umgang mit ihrer Hörschädigung, informiert und schult Betriebe. In Betriebspraktika und betrieblichen Ausbildungsphasen haben die Betriebe die Möglichkeit die Teilnehmer kennenzulernen und damit mögliche Nachwuchskräfte zu erhalten. Die Teilnehmer können ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Häufig finden unsere Jugendlichen eine Arbeitsstelle im Rahmen eines Vermittlungspraktikums.
Wie kommen ihre ehemaligen Schützlinge später im Berufsleben zurecht? Immerhin wird argumentiert, dass in BBWs die Azubis in Watte gepackt werden und diese dann in der realen Arbeitswelt Probleme hätten. Ist das so?
Haberkorn: Dies ist keineswegs so, vielmehr holen wir unsere Azubis dort ab, wo sie stehen und sorgen durch die geeigneten Rahmenbedingungen dafür, dass sie genauso leistungsfähig sind wie Jugendliche auf dem ersten Arbeitsmarkt. Unsere Absolventen lernen im BBW München von Anfang an den betrieblichen Alltag kennen. Alle Ausbildungsbetriebe im BBW produzieren für Kunden und arbeiten nach dem Motto ›Lernen im und am Kundenauftrag‹.
Die Auszubildenden lernen dabei, Arbeits- und Kundenaufträge selbstständig durchzuführen und zu bearbeiten. Für die Jugendlichen gelten die gleichen Rahmenbedingungen und Vereinbarungen wie für die BBW-Mitarbeiter. Sie nehmen zum Beispiel an der elektronischen Zeiterfassung teil, müssen Befreiungsgründe bei Krankmeldung liefern und ihre Urlaubsplanung mit dem Meister abstimmen. Alle Azubis verbringen einen großen Teil (circa 26 Wochen bei einer 3-jährigen Ausbildung) ihrer Ausbildungszeit bei Kooperationsbetrieben. Wir erhalten durch die betrieblichen Phasen eine Rückmeldung über den Leistungsstand unserer Auszubildenden. Dadurch sind wir in der Lage, mittels einer gezielten Ausbildungsplanung die Jugendlichen auf den 1. Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Unternehmen wiederum haben die Gelegenheit, motivierte Jugendliche kennenzulernen und sie eventuell in Arbeit zu übernehmen. Darüber hinaus wissen unsere Jugendlichen, dass sie sich jederzeit am BBW München kompetente Hilfe holen können, egal ob bei fachlichen, beruflichen oder privaten Schwierigkeiten oder bei Themen der Barrierefreiheit.
Welchen Mehrwert bieten Einrichtungen, wie das BBW München, den behinderten Jugendlichen, wenn sie sich für eine Ausbildung in einem BBW und nicht bei einem Unternehmen entscheiden?
Haberkorn: Wir bieten eine breitgefächerte Ausstattung und ein hohes Niveau der Ausbildung. Ein Netzwerk von Ausbildungswerkstätten, Berufsschule und Fachdienste kümmert sich um die optimale Ausbildung des jungen Menschen. Dazu besitzen wir eine geeignete Infrastruktur wie etwa Räume mit Höranlagen und Visualisierungen. Unsere Mitarbeiter sind speziell ausgebildet und können durch den Unterricht in kleinen Klassen eine individuelle Förderung umsetzen. Dadurch ergibt sich eine hohe Chance auf einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss. Auf diese Weise ist es Menschen mit Behinderung möglich, einen höheren Ausbildungsabschluss als in regulären Betrieben zu erringen..
Einrichtungen wie Berufsbildungswerke und Förderschulen sind sicher zunächst einmal teuer. Wie finanziert sich das BBW-München?
Haberkorn: Kostenträger für die einzelne Maßnahme, zum Beispiel der Berufsvorbereitung oder Ausbildung, ist zu circa 95 Prozent die Bundesagentur für Arbeit. Träger der Einrichtung ist der Bezirk Oberbayern. Der Bezirk Oberbayern trägt die Kosten, die durch die Maßnahmepreise nicht gedeckt sind. Kostenanteile werden auch von weiteren Bayerischen Bezirken getragen.
Kann man sagen, dass sich Einrichtungen wie das BBW München für die öffentliche Hand als Geldgeber lohnen, da Menschen mit Behinderung in die Lage versetzt werden, ein selbstbestimmtes Leben durch ein gesichertes eigenes Einkommen zu führen? Schließlich werden auf diese Weise durch Steuer- und Abgabenzahlungen des ehemaligen Auszubildenden die aufgewendeten Ausbildungskosten Stück für Stück zurückgezahlt.
Haberkorn: Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, die 2010 veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass eine positive Rendite der Ausbildung in einem Berufsbildungswerk bereits nach zehn Jahren erreicht wird. Danach wachsen mit jedem weiteren Jahr der Berufstätigkeit des Absolventen die Erträge für die öffentliche Hand. Dazu kommt, dass Absolventen von Berufsbildungswerken deutlich häufiger erwerbstätig sind als behinderte Menschen ohne Berufsabschluss, die darüber hinaus auch noch deutlich mehr verdienen. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass eine berufliche Rehabilitation zu einer verbesserten Teilhabe beiträgt und die Lebensqualität der Rehabilitanden damit höher ist.
BBWs als Wegbereiter
In jüngerer Zeit werden Stimmen laut, die davon sprechen, dass die sogenannte Inklusion sowohl für Behinderte, als auch für Nichtbehinderte der bessere Weg ist. Stimmen Sie zu?
Haberkorn: Das Ziel ist eine inklusive Gesellschaft auf allen Ebenen. Dies setzt nicht nur die finanziell notwendigen Rahmenbedingungen wie zum Beispiel geeignete Unterrichtsformen oder ausreichend qualifiziertes Personal voraus, sondern auch gegenseitiges Verstehen und Verständnis von behinderten und nichtbehinderten Menschen.
Hier setzt das BBW München an und fungiert als Wegbereiter: Durch die jahrelange Erfahrung der Mitarbeiter mit Menschen mit einer Hörschädigung, wirken die Mitarbeiter sowohl als Berater den Betrieben gegenüber als auch als Lehrer, Ausbilder und Coach den behinderten Teilnehmern gegenüber und schaffen somit eine Brücke und die notwendiger Offenheit und Rücksicht, um sich auf das „Fremde“ einzulassen. Das BBW München leistet damit einen wichtigen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft.
Ein Argument für die Inklusion ist, dass Jugendliche, die Schulen zur sonderpädagogischen Förderung besuchen, diese zum großen Teil ohne Abschluss und Berufsperspektiven verlassen. Dies ist zumindest das Ergebnis einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung. Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Haberkorn: Für Menschen mit einer Hörschädigung können wir das so nicht beobachten. Etwa 80 Prozent unserer Teilnehmer bringen einen Hauptschulabschluss mit, circa zehn Prozent einen Realschulabschluss.
Bereits jetzt wird Inklusion durchgeführt und Behinderte mit Nichtbehinderten beschult. Könnten behinderte Kinder nicht eher einen guten Schulabschluss erreichen, wenn sie, wie bisher, eine Förderschule besuchen?
Haberkorn: Das Thema ›Inklusion‹ wird meines Erachtens zu kurz gefasst, wenn man damit nur die Beschulung von behinderten Menschen in Regelschulen betrachtet. Die Behindertenrechtskonvention fordert, dass ein Wahlrecht besteht, sodass der behinderte Mensch entscheiden kann, ob er zum Beispiel mit Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers ein Regelgymnasium besuchen möchte, oder ob er eine auf seine Behinderung spezialisierte Schule und Ausbildung besuchen möchte. Die Wahlfreiheit ist das Entscheidende und dafür ist es notwendig, dass es das gesamte Angebot gibt.
Viele Lehrkräfte, die bereits mit Inklusion Erfahrung haben, berichten, dass alle überfordert sind und sie den Kindern mit Förderbedarf nicht gerecht werden können. Es wird nur nicht offen darüber geredet, da niemand in den Verruf der Diskriminierung geraten möchte. Was tun?
Haberkorn: Im BBW München liegt die Kompetenz für die Ausbildung und Beschulung von Menschen mit einer Hör- oder Sprachbehinderung. Diese Kompetenz von Fördereinrichtungen sollte nicht im Zuge einer falsch verstandenen Inklusionsdebatte aufgegeben werden. Dies wäre meines Erachtens zum Nachteil der Menschen mit Behinderung. Die Frage sollte sein, wie kann eine Gesellschaft diese Kompetenz nutzen als Beitrag für eine inklusive Teilhabe.
Manche Lehrkräfte an Regelschulen klagen darüber, dass es ihnen aus Zeitgründen nicht gelingt, auf jeden Schüler individuell einzugehen, was angesichts der Klassengrößen nicht verwundert. Wie punktet hier ein BBW?
Haberkorn: Die Gruppen in Ausbildung und Schule sind bei uns viel kleiner als in Regelschulen. Das ist für Menschen mit Hörbehinderung eine notwendige Voraussetzung. Die Gruppengröße ist ein Aspekt von vielen für eine behindertengerechte, individuelle Förderung. Das BBW München legt großen Wert auf die Kompetenz der Mitarbeiter und auf die barrierefreie Infrastruktur. Fachkompetente Meister, Reha-kompetente und gebärdenkompetente Ausbilder und Sozialpädagogen, Therapeuten und Psychologen, sonderpädagogisch ausgebildete Lehrer, auf die Hörschädigung ausgerichtete Infrastruktur wie eben kleine Gruppen, aber auch technische Anlagen, Verwendung einfacher Sprache et cetera sind Beispiele unserer Fachlichkeit.
Die BBWs in Deutschland haben sich auf unterschiedliche Behinderungsarten spezialisiert. Selbst in diesen Einrichtungen ist es nicht ohne weiteres möglich, junge Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungsarten auszubilden. Wie soll das erst in normalen Schulen aussehen? Ist Inklusion im großen Stil überhaupt ein verantwortungsbewusster Weg, Menschen mit Behinderung auszubilden.
Haberkorn: Ich befürworte es sehr, Menschen mit und ohne Behinderung im Alltag zusammenzubringen. Wichtig ist dabei, dass der individuelle Bedarf des Einzelnen dabei nicht zu stark vernachlässigt wird. Das gilt sowohl für behinderte als auch für nichtbehinderte Menschen. Derzeit sind die Rahmenbedingungen sowohl in Schulen als auch in Betrieben (noch) nicht gegeben, um dies ausreichend zu realisieren. Ich halte es für richtig hier schrittweise vorzugehen, in der Freizeit, in gemeinsamen Projekten, mit Teilen der Schul- und Ausbildungszeit. In den Berufsbildungswerken und in den Fördereinrichtungen gibt eine umfassende Kompetenz für die Förderung behinderter Menschen, die in diesem Prozess genutzt werden sollte. Hier ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen zu schaffen.
Manche behinderte Jugendliche machen eine Ausbildung in einem externen Betrieb und besuchen die Berufsschule im BBW. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Modell?
Haberkorn: Externe Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf profitieren definitiv beim Besuch einer Berufsschule in einem BBW von den guten fachlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen wie etwa kleine Klassen, individuelle Betreuung, sonderpädagogische Kompetenzen et cetera. Auch im BBW München werden Auszubildende beschult, die keine BBW – Ausbildung absolvieren. Externe Schüler können sich mit Jugendlichen in ihrem Förderschwerpunkt und in ihrem Berufsfeld vernetzen. Außerdem ist dies eine Bereicherung für die BBW – Azubis, da sie auch an der Erfahrungswelt der externen Schüler teilnehmen können.
Ausbilder großer Unternehmen berichten, dass sie „auf Anweisung von oben“ verpflichtet werden, trotz aller Schwierigkeiten behinderte Menschen auszubilden. Ist diese Vorgehensweise hilfreich?
Haberkorn: Das BBW München arbeitet intensiv mit Betrieben zusammen. Unsere Auszubildenden absolvieren – entsprechend dem individuellen Entwicklungsstand – große Teile der Ausbildung im Betrieb. Wir haben durchaus auch positive Erfahrungen gemacht, wenn bei großen Unternehmen auch die Leitung beziehungsweise der Vorstand dahinter stehen und die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung befürworten. Betriebe haben in der Regel aber kein rehabilitationspädagogisch geschultes Personal und oftmals nicht die Zeit, um sich adäquat um die Jugendlichen kümmern zu können.
Die möglichen Folgen sind, dass das häufig vorhandene große Potential der behinderten Jugendlichen nicht ausgeschöpft wird und sie zum Teil sogar in einem Beruf ausgebildet werden, der nicht ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Eine gezielte und optimale Förderung wie in einem BBW ermöglicht behinderten Jugendlichen, dass sie Berufsabschlüsse in Berufen mit einem sehr hohen Niveau schaffen können. Die Begleitung durch das BBW München hilft daher den Betrieben und den Auszubildenden.
Viele Nichtbehinderte finden aus verschiedenen Gründen trotz vieler freier Lehrstellen keinen Ausbildungsplatz. Könnten BBWs nicht auch Jugendliche ausbilden, die kein Handicap haben?
Haberkorn: Es wäre durchaus eine Bereicherung, wenn auch nichtbehinderte junge Menschen im BBW München eine qualifizierte und breitgefächerte Ausbildung erhalten könnten. Diese jungen Menschen hätten eine Perspektive und würden gute Startchancen für ihren weiteren beruflichen Weg erhalten. Gleichzeit wird in der Ausbildung durch das Zusammenwachsen der hörbehinderten und nicht behinderten Auszubildenden ein weiterer Grundstein für eine inklusive Gesellschaft gelegt.
Leider gibt es derzeit keine Fördermöglichkeiten für nichtbehinderte junge Menschen in einem Berufsbildungswerk. Was bereits möglich ist und in Einzelfällen umgesetzt wird, ist die Beschulung von nichtbehinderten Schülern in der Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung.
Haben Sie schon einmal versucht, diesen unhaltbaren Zustand zu ändern?
Haberkorn: In vielen Gesprächen mit möglichen Kostenträgern wurde bereits nach Möglichkeiten gesucht.
Warum scheiterten Ihre Bemühungen?
Haberkorn: Die Politik ist klar darauf ausgerichtet, dass Jugendliche nicht in einem sogenannten „Übergangssystem“ eine Ausbildung absolvieren, sondern eine betriebliche Ausbildung. Dafür werden auch Fördergelder zur Verfügung gestellt.
Sehen Sie das BBW München durch diese Politik und einer verstärkten Inklusionsbewegung in seinem Fortbestand bedroht?
Haberkorn: Wie ich bereits erwähnt habe, sehe ich das BBW München als einen Wegbereiter für eine zunehmend inklusive Gesellschaft. Eine Bedrohung entsteht dann, wenn Inklusion zu kurz gefasst wird in dem Sinn „Es braucht keine Fördereinrichtungen mehr!“ „Alle Menschen – behindert und nicht behindert, ungeachtet der Art der Behinderung gehen zusammen in eine Schule, in eine Klasse, in eine betriebliche Ausbildung.“ Ich werde mich dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderung auch künftig ein Wahlrecht haben und dass das BBW München mit seiner Kompetenz hier seinen Beitrag zur Teilhabe leisten kann.
Hat man überhaupt schon einmal die Behinderten gefragt, welchen Weg sie in ihrer Ausbildung gehen möchten und welche Einrichtungen sie benötigen?
Haberkorn: Menschen mit Behinderung können erst dann selbst entscheiden, wenn sie die Wahlfreiheit haben, also zwischen betrieblicher Ausbildung und Ausbildung in einem Berufsbildungswerk frei wählen können. Dazu gehört, dass ein Angebot an Kompetenzzentren für Menschen mit Behinderung erhalten bleibt und dass diese Maßnahmen finanziert werden. Dies gilt nicht nur für Erstausbildung, sondern auch für Weiterbildung und alle anderen Aspekte des Lebens. Die Menschen sind unterschiedlich. Somit ist es notwendig, entsprechend unterschiedliche, individuell nutzbare Angebote für Menschen mit Behinderung zu fördern.
Frau Haberkorn, vielen Dank für das Interview.
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Mehr Informationen zum BBW München:
Berufsbildungswerk München für Hör- und Sprachgeschädigte | |
Musenbergstraße 30 - 32 | |
81929 München | |
Telefon: 089 / 95728 - 0 | |
Fax: 089 / 95728 - 4000 | |
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