Gläubiger werden noch länger auf ihr Geld warten
Pfändungsfreigrenzen: Erhöhung zum 1. Juli 2017
Seit dem 1. Juli 2015 galt ein pfändungsfreier Grundbetrag für den Schuldner von 1.073,88 EUR. Dieser Betrag wird nun zum 1. Juli 2017 auf 1.133,88 EUR erhöht. Das entspricht einer Erhöhung um 5,58 Prozent. Die Inflationsrate dagegen lag im März 2017 lt. Statistischem Bundesamt bei 1,6 Prozent in Relation zum Vorjahr.
Nach § 850c Abs. 2a Zivilprozessordnung (ZPO) verändern sich die unpfändbaren Beträge gemäß § 850c Abs. 1 und 2 ZPO alle zwei Jahre jeweils zum 1. Juli. Ausgehend von der ersten Anpassung in 2003, sind es die ungeraden Jahre, in denen eine Dynamisierung stattfinden kann. Kann -- sie erfolgt nicht zwingend alle zwei Jahre. Die Entwicklung des am 1. Januar des jeweiligen (ungeraden) Jahres geltenden steuerlichen Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetze [EStG]) ist entscheidend – und dieser wurde eben im relevanten Zeitraum bis zum 1. Januar 2017 um 5,58 Prozent auf 8.820 EUR angehoben.
Kostenausgleich einseitig?
Die Tabellen, die im Anhang der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 7. April 2017 veröffentlicht wurden, zeigen, was dem Schuldner, abhängig von Einkommen und Anzahl unterhaltsberechtigter Personen, bei einer Lohnpfändung bleibt bzw. auf welchen Betrag zugegriffen werden kann.
„Dem Schuldner werden die steigenden Lebenshaltungskosten ‚automatisch ausgeglichen‘“, so Bernd Drumann, Geschäftsführer der Bremer Inkasso GmbH. „Der Gläubiger wird durch die Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen zu noch ‚längerem Atem‘ gezwungen und schon manchem ist dabei die Puste ausgegangen.“
Die Tabelle -- des einen Freud, des andren Leid
„Der Schuldner wird sich beim Blick in die neue Pfändungstabelle über mehr Euro in der Tasche freuen, so manchem Gläubiger wird es dabei (wieder einmal mehr) die Tränen in die Augen treiben“, weiß Bernd Drumann zu berichten. „Mit der Erhöhung des Pfändungsfreibetrages zum 1. Juli 2017 verringert sich nämlich der pfändbare Anteil beim Schuldner, und der Gläubiger muss noch länger auf die Befriedigung seiner Forderungen warten - wenn die Pfändung für ihn nicht sogar gänzlich ergebnislos bleibt. Lag der pfändbare Nettolohn eines Schuldners ohne unterhaltsberechtigte Person monatlich z. B. bei 1.580,- EUR, so erhielt der Gläubiger in der zurückliegenden Zeit davon 354,28 EUR. Ab dem 01. Juli 2017 erhält er dann nur noch 312,34 EUR und damit 41,94 EUR monatlich oder 503,28 EUR jährlich weniger.“
Bereinigter Nettolohn als Ausgangswert
Als Ausgangswert für die Pfändungstabelle gilt der so genannte bereinigte Nettolohn. Dieser ist mit dem steuerlichen Nettolohn nicht zwingend identisch. Gesetzlich ist sowohl geregelt, was dem Arbeitseinkommen hinzugerechnet wird, als auch, was davon in Abzug zu bringen ist. Einen großen Einfluss auf die Pfändungsfreigrenze hat dabei die Anzahl der Personen, denen der Schuldner gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist – so er dieser Pflicht denn auch tatsächlich nachkommt. Bisher lag die Pfändungsfreigrenze für einen verheirateten Schuldner bei 1.439,99 EUR. Diese Freigrenze steigt dann auf 1.569,99 EUR.
Pfändung steht am Ende aller Maßnahmen
„Über die Notwendigkeit, dem Schuldner einen Teil seines Einkommens zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes zu lassen, braucht man nicht zu diskutieren, will man nicht ein neues Dilemma heraufbeschwören. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass eine Pfändung, um die es hier ja geht, erst ganz am Ende einer Reihe von Maßnahmen steht. Bis es zu einer Pfändung kommt, hat der Gläubiger in der Regel schon eine Reihe von Schritten eigeleitet, mit denen er (oft verzweifelt) versucht hat, seine berechtigte Forderung zu realisieren“, erklärt Bernd Drumann. „Von der Zeit und den Nerven, die ihn das kostete, bis hin zu realen Kosten und Personaleinsatz, die er dafür investieren musste, einmal ganz zu schweigen.“
Überschuldung, unkontrollierter Konsum, Vorsatz
„Die Beobachtungen, dass Gläubiger nicht selten selbst in wirtschaftliche Not geraten, weil die Kunden die erhaltene Lieferung/Leistung nicht bezahlen, sind ein Teil unseres Geschäftsalltags. Firmen- sowie Privatinsolvenzen sind dennoch zum Glück leicht rückläufig“, berichtet Drumann. „Laut der Mitglieder-Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen e. V. (BDIU -- mit 560 Mitgliedsunternehmen, die die Interessen von über einer halben Million Gläubigern aus allen Wirtschaftsbereichen vertreten), veröffentlicht Januar 2017, ist der Hauptgrund für offene Rechnungen bei Verbrauchern mit 80% nach wie vor die Überschuldung. Das bedeutet, dass mit den regelmäßig zur Verfügung stehenden Mitteln die monatlich anfallenden Lebenshaltungskosten sowie bestehende Verbindlichkeiten über einen gewissen Zeitraum oder auf Dauer nicht mehr zu begleichen sind. An zweiter Stelle steht mit 64% unkontrolliertes Konsumverhalten gefolgt von vorsätzlichem Nichtbezahlen mit 54%. Erschreckende Zahlen, die die Erfahrungen vieler Mandanten auch in Hinblick auf immer jüngere Schuldner widerspiegeln.“
Finanzkompetenz fehlt
„Geld, was ich nicht habe, kann ich nicht ausgeben. Eigentlich ist das ganz einfach. Und doch ist zu beobachten, dass immer öfter die grundlegendsten Kenntnissen im Bereich der Finanzkompetenz sowohl bei Jung aber auch bei Alt fehlen. Finanzielle Zusammenhänge werden in den Familien nicht mehr vermittelt und können dort zum Teil auch gar nicht mehr vermittelt werden“, sagt Drumann. „Folgerichtig müsste ‚Finanzerziehung‘ bereits in Kindergarten und Schule einsetzen. Eine Festschreibung in Erziehungs- und Lehrplänen wäre wünschenswert. Das wäre ein Lernstoff, der wirklich für das Leben taugt“.
Konsequenzen? Fehlanzeige! – Im Gegenteil
„Obwohl der Umstand, dass viele Haushalte überschuldet sind, hinlänglich bekannt ist, begegnet man dem Übel nicht an der Wurzel sondern etikettiert es um: Die ‚Eidesstattliche Versicherung‘ darf sich nun klangvoll ‚Vermögensauskunft‘ nennen, wodurch das Gegenteil von dem suggeriert wird, was es eigentlich bedeutet. Auch Pfändungen können trotz eines vorhandenen Titels oft über einen längeren Zeitraum nicht durchgeführt werden, da die Gerichtsvollzieher nach wie vor heillos überlastet sind.
Die Wohlverhaltensperiode wird verkürzt‚ und auch mit dem neuen Gesetz zur Insolvenzanfechtung ist die Rechtsunsicherheit bei der Vorsatzanfechtung für Unternehmer diesbezüglich noch lange nicht vom Tisch. Bei allen diesen Maßnahmen, Gesetzesänderungen und Reformen hat der Gläubiger wieder einmal das Nachsehen! Da wundert es dann auch nicht, dass besagte Umfrage für gewerbliche Schuldner ‚Momentane eigene Liquiditätsengpässe‘ mit 76% als Ursache für nicht bezahlte Rechnungen angibt sowie ‚Hohe Zahlungsausfälle bei eigenen Kunden‘ mit 62%.“
Wertschätzung? Fehlanzeige! – Im Gegenteil
„Die angeführten gesetzgeberischen Entscheidungen, die eher dem Schuldner als dem Gläubiger den Rücken zu stärken scheinen, sind kein gutes und schon gar nicht wertschätzendes Signal in Richtung der Unternehmer, die mit unternehmerischem Mut die Wirtschaft voran bringen“, so Drumann. „Da nimmt sich die ‚automatische‘, gesetzlich verankerte Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen in Anpassung an die Entwicklung von Löhnen und Verbraucherpreisen doch eher als das kleinere Übel aus. Diese ‚Kröte‘ werden die Gläubiger wohl schlucken müssen.“
Vorbildfunktion ernst nehmen
„Ohne Frage ist die Sicherung der Existenz wichtig. Dies jedoch sollte sowohl für die Existenz des Schuldners als eben auch für die Existenz des Gläubigers gelten.
Eine deutliche Unterstützung derer, die rechtmäßige Forderungen aus erbrachten Lieferungen und Leistungen haben, die ihrer Arbeit nachgehen, ihr Unternehmen mit Vertrauens- und Leistungsvorschuss führen, ist von Seiten der Politik und der Gesetzgebung dringend angezeigt. Vorher ist es aber zwingend, dass die Öffentliche Hand an ihrem eigenen Zahlungsverhalten etwas ändert. Lt. besagter Umfrage des BDIU ist die Rechnungstreue öffentlicher Auftraggeber trotz sprudelnder Steuereinnahmen (und Vorbildfunktion) nämlich unverändert schlecht (bis noch schlechter werdend). Ein Umdenken und ‚Handeln‘ zu Gunsten der Gläubiger ist mehr als überfällig!“
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