Welt der Fertigung
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Stahl an der Grenze der Belastbarkeit

Zur Lage der Stahlindustrie in D und EU

Die Stahlindustrie in Deutschland sieht 2014 eine leichte Erholung, aber auch ein weiterhin schwieriges Marktumfeld. Sie hat frühzeitiger auf die aktuellen Marktverwerfungen reagiert. Die Früchte dieser schmerzhaften Anstrengungen drohen jedoch durch energiepolitisch verursachte Kostensteigerungen zunichte gemacht zu werden. Weitere Anpassungen werden notwendig sein, sollten sich die Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie am Standort Deutschland weiter verschlechtern. Wer die hiesige Stahlindustrie so schwächt, gefährdet mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Geschäftsmodells.
Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut VDEh erläutert die Details.

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Die Stahlindustrie befindet sich zu Jahresbeginn 2014 in einer konjunkturell und strukturell schwierigen Situation.

Zwar ist die Mengenentwicklung in Deutschland im vergangenen Jahr relativ stabil geblieben (Bild 1). So wurde bei der Rohstahlproduktion mit 42,6 Millionen Tonnen sogar in etwa das Vorjahresniveau 2012 (42,7 Millionen Tonnen) erreicht.

In anderen stahlerzeugenden Regionen außerhalb Asiens ist die Erzeugung dagegen im vergangenen Jahr gesunken. Allerdings haben die Rückgänge bei den Absatzpreisen in Verbindung mit weiterhin relativ hohen Rohstoffkosten zu einer schwierigen wirtschaftlichen Lage geführt. Dies hat auch die Stahlindustrie in Deutschland unter Anpassungsdruck gesetzt. Mit Blick auf die konjunkturellen Rahmenbedingungen erwarten wir 2014 eine leichte Verbesserung (Bild 2).

Hierfür spricht zum einen, dass die globale Konjunkturerholung vorankommt, die diesmal vor allem von den Industrieländern getragen wird. Auch in der Euro-Zone zeigen die Konjunkturindikatoren wieder nach oben, in Deutschland wie auch in den südlichen Problemländern. Von der steigenden internationalen Nachfrage profitieren die exportorientierten Stahlverarbeiter (Bild 3). Insbesondere in der Automobilindustrie sind die Konjunkturdaten zuletzt erfreulich ausgefallen: Die Auftragseingänge wie die Stimmungsindikatoren ziehen spürbar an. Zudem hat sich die PKW-Produktion im Januar um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat erhöht.

Die Bauindustrie ist dank des Wohnungsbaus mit hohen Auftragsbeständen in das neue Jahr gestartet. Der verhaltene Bestelleingang im Maschinenbau zeigt allerdings, dass noch kein wirklich breit angelegter sektoraler Aufschwung eingesetzt hat. Zu den positiven Ausgangsbedingungen für die Stahlkonjunktur 2014 gehört außerdem das relativ niedrige Niveau der Lagerbestände bei Händlern und Verarbeitern (Bild 4). Zwar sind im Distributionssektor die Läger zum Jahresende – entgegen dem saisonal üblichen Trend – leicht gestiegen.

Auch hat die Lagerreichweite etwas zugenommen. Sie liegt jedoch noch deutlich unterhalb ihres langjährigen Mittelwertes. Der verbesserte Auftragseingang bei den Stahlverarbeitern dürfte sich daher zügig in einer steigenden Stahlnachfrage niederschlagen.

In der Stahlindustrie selbst ist die konjunkturelle Grundtendenz ebenfalls leicht nach oben gerichtet (Bild 5): Die Rohstahlproduktion hat im Januar um zwei Prozent zugelegt, nachdem sie bereits im vierten Quartal um kräftige sieben Prozent gewachsen war. Auch der Auftragseingang hat zum Jahresbeginn angezogen: Mit knapp 3,5 Millionen Tonnen sind die Bestellungen im Januar auf ein 24-Monats-Hoch gestiegen. Im vierten Quartal waren die Orders allerdings um vier Prozent zurückgegangen. Dies zeigt, dass der Erholungsprozess gegenwärtig noch fragil ist.

Vor allem die Nachfrage aus dem Nicht-Europäischen Raum wird durch die verschlechterten Wechselkursrelationen gegenüber Dollar, Yen und den Währungen wichtiger Schwellenländer gegenwärtig belastet. In Summe ist die Stimmung in der Stahlindustrie unverändert von einem vorsichtigen Optimismus geprägt. Auch die jüngste Konjunkturumfrage des Münchner ifo Instituts für die Stahlindustrie weist in diese Richtung (Bild 6). Zwar wird die aktuelle Geschäftslage weiterhin als unbefriedigend angesehen.

Allerdings geht die Mehrzahl der befragten Unternehmen von einer Verbesserung in den kommenden Monaten aus. Das Geschäftsklima hat sich daher in den letzten Monaten aufgehellt und befindet sich deutlich über dem Niveau vom Jahresbeginn 2013. Vor diesem Hintergrund halten wir an unserer Einschätzung vom November letzten Jahres fest (Bild 7). Wir erwarten, dass die Marktversorgung mit Walzstahl- Erzeugnissen 2014 um 4 Prozent steigen wird.

Die Rohstahlproduktion dürfte leicht auf 43,0 Millionen Tonnen zulegen. Bei der Beurteilung der konjunkturellen Situation sind auch die bestehenden Strukturprobleme mit in den Blick zu nehmen. Hierzu zählt zum ersten, dass sich die Erholung in Europa von einem äußerst niedrigen Niveau aus vollzieht. Die Marktversorgung Walzstahl steigt 2014 und 2015 um jeweils 3 Prozent auf 146 Millionen Tonnen bzw. 150 Millionen Tonnen, so der europäische Stahlverband Eurofer (Bild 8).

Dies ist zwar etwas besser als noch im Oktober erwartet. Es bleibt jedoch eine Erholung in sehr kleinen Schritten. Am Ende des Prognosezeitraums wäre sie damit immer noch rund 25 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Außerdem dürften die regionalen Diskrepanzen anhalten. Der deutsche Markt kommt 2014 schneller wieder in Schwung, als es in Spanien und Italien der Fall ist. In Frankreich machen sich gegenwärtig sogar Stagnationstendenzen bemerkbar. Insgesamt dürfte der Abstand zwischen Deutschland und den anderen großen Stahlmärkten in Europa in diesem Jahr weiter zunehmen.

Als Folge dieser Nachfrageentwicklung ändert sich zunächst auch nur wenig an dem eklatanten Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Es ist keine Frage, die Stahlindustrie in Europa befindet sich im Krisenmodus. Dauer und Dimension lassen sich schwer abschätzen. Die Entwicklung eines EU-Aktionsplans für die Stahlindustrie durch den Industriekommissar ist nicht unbegründet. Die Restrukturierung muss jedoch durch die Unternehmen und den Markt erfolgen.

Es gibt überhaupt keinen Anlass für staatliche Interventionen. Es muss dringend darauf geachtet werden, dass nicht durch falsche politische Weichenstellungen, ob in Brüssel oder Berlin, die Konsolidierung gerade zu Lasten der wettbewerbsfähigen Strukturen in Europa erfolgt. Der EU-Aktionsplan war richtig. Wir begrüßen, dass das EU-Parlament in der letzten Woche deutlich gemacht hat, wie groß die Bedeutung der Stahlindustrie und deren Betroffenheit durch die Energie- und Umweltpolitik ist.

Energie- und Klimapolitik: Ein entscheidendes Jahr für die Stahlindustrie

Die Stahlindustrie in Deutschland fordert schon seit einigen Jahren eine Energie- und Klimapolitik, die die industriellen Interessen stärker berücksichtigt. Eine falsch ausgestaltete Energiewende in Deutschland ist eine Bedrohung für den Industriestandort. Insbesondere der rapide Anstieg der EEG-Umlage hat dazu geführt, dass die Strompreise in Deutschland auf einem Rekordniveau sind (Bild 9). Im EU-Vergleich sind die Kosten für Strom aus den erneuerbaren Energien in den letzten Jahren mit Abstand am stärksten gestiegen.

Annähernd die Hälfte des Strompreises geht in Deutschland mittlerweile auf Entscheidungen von Politik und Staat zurück. Damit die Energiewende ohne Schaden für den Industriestandort gelingen kann, sind Entlastungen der energieintensiven Industrien von einseitigen energiepolitischen Belastungen wie der EEG-Umlage unverzichtbar.

Es ist deshalb überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Kommission mit der Eröffnung eines Beihilfeprüfverfahrens die industriellen Entlastungen von der EEG-Umlage in Deutschland ins Visier genommen hat. Allein die Stahlindustrie in Deutschland würde bei einem Verbot der besonderen Ausgleichsregelung mit EEG-Kosten von jährlich mindestens einer Milliarde Euro belastet (Bild 10). Eine international wettbewerbsfähige Produktion wäre in einem solchen Szenario nicht denkbar.

Die Härtefallregelung ist ein Ausgleich für Belastungen, die andere Wettbewerber nicht zu tragen haben. Sie ist keine Subvention, sondern dient nur dazu, dass mit den europäischen Mitgliedstaaten vergleichbare Wettbewerbsbedingungen überhaupt erst hergestellt werden. Ohne die Härtefallregelung könnte ein ambitioniertes Projekt wie die Energiewende nicht gelingen. Die Stahlindustrie wird sich an dem Beihilfeverfahren mit einer Stellungnahme beteiligen und die rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, um den Beihilfevorwurf zu entkräften.

Es ist zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung grundsätzlich für den Fortbestand dieser Regelungen ausspricht. Darüber hinaus ist aber auch die EU-Kommission aufgefordert, die zentrale Bedeutung der Entlastungen für die industrielle Wertschöpfung nicht nur in Deutschland, sondern auch für Europa anzuerkennen. Sie darf die Spielräume für solche Instrumente nicht einschränken. In Deutschland gibt es offenbar einen politischen Konsens, das Brüsseler Beihilfeverfahren im Interesse des Standorts abzuwehren.

Doch auch dieses Bekenntnis in Deutschland zu den energieintensiven Industrien bekommt Risse. Auf der Klausurtagung in Meseberg hat die Bundesregierung Eckpunkte für eine EEG-Reform beschlossen, die gravierende Auswirkungen für die Stahlindustrie und ihre Bemühungen um eine Steigerung der Energieeffizienz hätten (Bild 11). Die geplante Belastung der industriellen Eigenstromversorgung führt in der Stahlindustrie bereits bei den bestehenden Kraftwerken zu EEG-Mehrkosten von etwa 100 Millionen Euro im Jahr.

Die Erneuerbaren Energien genießen einen selbstverständlichen Vertrauensschutz. Der Industrie, die im Energieverbund prozessbedingt effizient Strom erzeugt, wird dieser jedoch verwehrt. Die Stromerzeugung aus Kuppelgasen ist Teil der energieeffizienten Energieverbundwirtschaft der Stahlindustrie. Sie hilft zudem, Treibhausgas- Emissionen einzusparen. Sie ist eine jahrzehntealte Praxis in der Stahlindustrie, die lange vor dem EEG aus Gründen der Ökologie und Effizienz eingeführt und ausgeweitet wurde.

Die geplante weitgehende Belastung neuer Eigenstrom- Kraftwerke würde auch die Wirtschaftlichkeit dieser in der Stahlindustrie üblichen Stromerzeugung aus Kuppelgasen und anderer Formen der Rest-Energienutzung massiv beeinträchtigen. Künftige Investitionen würden verhindert. Die Investition in ein neues Kuppelgas-Kraftwerk mit einer jährlichen Erzeugung von 1 Terrawattstunde würde nach den Vorstellungen der Bundesregierung mit rund 43 Millionen Euro im Jahr belastet.

Die Eckpunkte zur EEG-Reform müssen in dieser Hinsicht dringend neu justiert werden. Ich hoffe, dass bei der Vorlage eines Gesetzesentwurfs die Besonderheiten der Stahlindustrie anerkannt werden. Der neue Wirtschafts- und Energieminister hat vor zwei Wochen darauf hingewiesen, dass „die Einzelinteressen nicht das Gemeinwohl“ repräsentierten. Das ist richtig. Daraus jedoch abzuleiten, das Interesse der Stahlindustrie für den Erhalt der Entlastungen bei der EEG-Reform sei eines dieser Einzelinteressen, greift zu kurz.
Der Erhalt der industriellen Wertschöpfung in Deutschland ist im Interesse unserer gesamten Volkswirtschaft. Branchen wie die Stahlindustrie stehen als Grundstoffindustrie am Beginn der industriellen Wertschöpfungskette und sind die Basis eines Geschäftsmodells, das Deutschland stark gemacht hat. Wie grundlegend die Stahlindustrie für den industriellen Kern in Deutschland ist, zeigt auch eine Analyse der Außenhandelsströme (Bild 12).

Mehr als die Hälfte der deutschen Warenexporte entfällt auf stahlintensive Güter, d.h. Branchen, in denen der Anteil der Stahllieferungen an den gesamten Vorleistungen größer als 10 Prozent ist. Hierzu zählen vor allem die Autoobilindustrie, die Metallwaren und der Maschinenbau. Dies sind genau jene Branchen, die besonders im internationalen Wettbewerb stehen und dort erfolgreich sind.

Sie erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Überschuss im Außenhandel von 245 Milliarden Euro, verglichen mit 330 Milliarden in der Industrie insgesamt. Mit anderen Worten: 75 Prozent des deutschen Exportüberschusses werden in Branchen erzielt, die auf innovative, hochleistungsfähige Stähle angewiesen sind.

 

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