Plastination – eine Jahrhunderterfindung
Der perfekte Weg zum Medizin-Lernobjekt
In Formalin eingelegte Körperteile waren über viele Jahrzehnte wichtige Anschauungsquellen, an denen angehende Medizinstudenten lernten, gesunde von erkrankten Organen zu unterscheiden. Von Nachteil war, dass man diese Organe nur hinter Glas betrachten konnte. Mit der Organ-Plastination, erfunden vom deutschen Mediziner Dr. Gunther von Hagens, wurde dieser Nachteil beseitigt und zudem eine neue Welt hinsichtlich der präzisen Darstellung von Organen und sogar ganzen Körpern betreten.
Unerschrockenheit ist das Merkmal jener Menschen, die Großartiges für die Menschheit schufen oder schaffen. So war es beispielsweise der hoch angesehene Künstler Michelangelo, der heimlich von Friedhöfen Leichen stahl, um diese zu sezieren. Sein Ziel war, den Aufbau der Körper zu studieren. Michelangelo war daher wohl der erste Mensch, der in die Lage gekommen ist, den inneren Aufbau eines Körpers zu verstehen. Dies zeigte sich nicht zuletzt in seinen Bildern, die in perfekter Eindringlichkeit den inneren menschlichen Körper darstellen.
Unerschrocken müssen auch heutige Persönlichkeiten sein, die Besonderes erschaffen wollen. Dazu gehört ohne jeden Zweifel der deutsche Mediziner Dr. Gunther von Hagens, der es fertigbrachte, mittels der Plastination einzelne Organe sowie ganze Körper von Mensch und Tier nicht nur auf Dauer haltbar zu machen, sondern auch so zu belassen, als wären sie noch lebend.
Perfekt zum Lernen
Was für so manchen Betrachter gruselig ist und von Hagens so manche kritische Stimme eingebracht hat, offenbart sich für Mediziner, Veterinäre oder Jäger als echte Innovation, sind sie damit doch in der Lage, die Anatomie von Menschen beziehungsweise Tieren ausführlich zu studieren, krankhafte Gewebeveränderungen aus nächster Nähe zu betrachten sowie körperliche Anomalien perfekt in Augenschein zu nehmen. Der große Vorteil dieser Technik ist, dass jedes Detail von allen Seiten betrachtet werden kann und das Objekt problemlos in die Hand genommen werden kann, da es dank des aufgenommenen Kunststoffs ›Silikon‹ sehr robust ist.
Ohne Zweifel ist festzustellen, dass die Plastination ein Durchbruch war, Körper von Menschen und Tieren in vorher nicht gekannter Detailgenauigkeit zu präsentieren. Wer schon einmal eine diesbezügliche Ausstellung besucht hat, wird bestätigen, dass jeder Ekel sich in der Regel rasch verflüchtigt, wenn man einem plastinierten Körper gegenübersteht. Es gibt keinen unangenehmen Geruch und auch beim Berühren stellt sich kein ekliges Gefühl ein. Vielmehr hat man das Gefühl einen beliebigen Alltagsgegenstand aus Kunststoff in der Hand zu haben.
Man bekommt größten Respekt vor denjenigen Menschen, die zu Lebzeiten entscheiden, dereinst der Wissenschaft zu dienen. So ganz nebenbei ist ihnen gewiss, dass sie damit unsterblich werden, denn Plastination bedeutet, dass der eigene Körper nicht verwesen kann, daher sehr lange Zeiträume überdauern wird.
Interessantes Verfahren
Die Plastination hat Gunther von Hagens im Jahre 1977 entwickelt. Dieser Vorgang zieht sich inklusive der entsprechenden Nachbereitung des Plastinats über eine Dauer von 12 Monaten hin. In diesem Prozess wird zunächst in drei bis vier Stunden dem verstorbenen Körperspender oder einem Tier über die Hauptschlagader das Mittel ›Formalin‹ zugeführt, um den Verwesungsprozess zu stoppen. Diese Flüssigkeit tötet sämtliche Bakterien ab und verhindert den Zerfall des Gewebes. Sobald es die Laborkapazität zulässt, werden anschließend mit Pinzette, Skalpell und Schere Haut, Fett- sowie das Bindegewebe entfernt. Auf diese Weise werden die einzelnen anatomischen Strukturen freigelegt.
Nach diesem Vorgang wird der Körper für 8 bis 12 Wochen in ein minus 25 Grad Celsius kaltes Azetonbad eingelegt, um das Körperwasser herauszulösen. Dieses Aceton wird regelmäßig ausgetauscht und der dort vorhandene Wasseranteil gemessen. Erst wenn dieser unter einem Prozent liegt, ist die Prozedur abgeschlossen.
Das Entfernen der löslichen Fette geschieht ebenfalls mit dem Lösemittel ›Aceton‹, das in diesem Fall jedoch eine Temperatur von plus 25 Grad Celsius besitzt. Auch dieses Aceton wird regelmäßig ausgetauscht, solange es eine gelbliche Farbe, hervorgerufen durch das herausgelöste Fett, besitzt. Erst wenn das Aceton farblos bleibt, ist der Prozess abgeschlossen, was nach weiteren 8 bis 12 Wochen der Fall ist.
Der entscheidende Schritt hin zum haltbaren Plastinat ist die sogenannte Vakuumimprägnierung. In diesem Prozess wird der Körper oder das Organ in einen mit Silikon gefüllten Behälter gelegt, aus dem anschließend die Luft herausgepumpt wird, demnach darin ein Vakuum erzeugt wird. Dieses Vakuum bewirkt, dass das Silikon in das Gewebe einfließt. Dieser Prozess wird so lange durchgeführt, solange Blasen vom Organ oder dem Körper aufsteigen, da dies ein Zeichen ist, dass noch keine Sättigung vorliegt. Zwischen 8 bis 12 Wochen sind anzusetzen, ehe in jeder Zelle das Azeton durch Silikon ersetzt wurde.
Für kleinste Details
Das Erstaunliche der Plastination ist, dass sowohl die Körperzellen als auch die Oberflächenstruktur des jeweiligen Organs in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben. Bis in den mikroskopischen Bereich hinein sind die Merkmale identisch mit demjenigen Zustand vor der Kunststoffimprägnierung. Die Präparate sind nach der Vakuumimprägnierung trocken sowie geruchsfrei und bleiben ab sofort für praktisch unbegrenzte Zeit unverändert. Ein Zustand, vom dem schon die Pharaonen im alten Ägypten träumten.
Doch damit ist die Arbeit der Plastinations-Experten nicht beendet. Die Organe beziehungsweise Körper sind noch weich, nehmen daher nicht dauerhaft eine bestimmte Position ein. Deshalb erfolgt nun die sogenannte ›Positionierung‹, der sich eine ›Härtung‹ anschließt.
Bei der Positionierung wird der Körper in die gewünschte Pose gebracht und mit Drähten, Nadel, Klammern und Schaumstoffblöcken fixiert. Die sogenannte Härtung wiederum ist eine besondere Technik, bei der das Plastinat mit sogenanntem „Härtungsgas“ umspült wird, welches sich auf das Plastinat legt und dort aushärtet, wodurch die Pose fixiert wird.
Nach dem Trocknen ist das Plastinat fertig und wird nun mit Farbe coloriert. Dies ist nötig, da das Aceton jedwede Farbstoffe aus dem Körper geschwemmt hat. Die Colorierung erfolgt mit Silikonfarben, die per Pinsel auf die entsprechenden Körperstellen aufgetragen werden. Größere Flächen werden per Airbrush-Technik coloriert. Nach dem Trocknen ist das Plastinat fertig und kann ausgestellt oder an medizinische Ausbildungseinrichtungen verkauft werden.
Sägen für die Wissenschaft
Die Plastinationstechnik erlaubt jedoch nicht nur die Produktion von dreidimensionalen Körpern beziehungsweise Körperteilen, sondern ist auch zur Herstellung von Scheiben-Plastinaten prädestiniert. Allerdings wird hier für die Imprägnierung kein Silikon sondern Poyester- oder Epoxidharz verwendet und der Körper auf minus 16 Grad Celsius tiefgefroren, eher er in feinste, zwischen ein und fünf Millimeter messende Scheiben zerschnitten wird. Für große Tiere steht dazu eine wahrhaft gigantische Bandsäge zur Verfügung, die einen Arbeitsbereich von 8 x 5 Meter besitzt.
Scheibenplastinate sind besonders dann interessant, wenn es darum geht, die Lagebeziehung der Organe und der Strukturelemente zu zeigen, was bis in den Lupenbereich hinein möglich ist. Durch speziell entwickelte Färbemethoden können Gewebeteile, wie etwa Bindegewebe oder Nerven, besonders hervorgehoben werden. Mit derartigen Plastinaten konnten in der Vergangenheit offene Fragen etwa hinsichtlich der Blutversorgung der Kniescheibe, der Blutfluss der Handwurzelknochen oder der Verlauf feinster Muskeln und Nerven im Bereich der Prostata erforscht werden. Höchster Respekt ist daher denjenigen Personen zu zollen, die sich zu Lebzeiten entschlossen haben, ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.
Die Arbeiten von Hagens haben weltweit Nachahmer gefunden. Es gibt inzwischen mehr als 400 Plastinationslabors in 40 Ländern, die Plastinationspräparate für den studentischen Unterricht sowie für wissenschaftliche Anwendungen anfertigen.
Wer sich dafür interessiert, sollte sich nicht scheuen, einmal das in Guben gelegene Plastinarium zu besuchen. Dort können neben einem Museum auch die Werkstätten besichtigt werden, um dem Geheimnis der Plastination auf die Spur zu kommen. Es sollte nicht wundern, wenn der eine oder andere Besucher davon so begeistert ist, dass er beschließt, seinen Körper nach dem Tod ebenfalls der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.
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Diesen Artikel finden Sie auch in Ausgabe 6/2020 auf Seite 58. Zum besagten Heft führt ein Klick auf den nachfolgenden Button!
Mehr Informationen zum Pastinarium:
PLASTINARIUM | |
Uferstraße 26 | |
03172 Guben | |
Tel.: 03561-54 74 382 | |
Fax: 03561-54 74 121 | |
E-Mail: info@plastinarium.de | |
www.plastinarium.de |
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