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Der bessere Umgang mit Tabus

Fettnäpfchen aus dem Weg gehen

Wer die ungeschriebenen Gesetze in Unternehmen kennt, hat gute Chancen auf eine rasche Karriere. Thomas Saller, Sebastian Mauder und Simone Flesch, Autoren des Buches ›Tabu‹, erläutern, auf was es ankommt.

Sebastian Mauder und Simone Flesch

Sebastian Mauder, Führungsexperte und Simone Flesch, Kommunikationsberaterin, sind Co-Autoren des Buches ›Tabu‹

Thomas Saller

Thomas Saller ist Diplom-Psychologe und bietet für Manager Trainings-, Coachings- und Entwicklungsprogramme an.



Sehr geehrte Frau Flesch, wenn man sich die Alltagskleidung der Bürger so ansieht, ist vielfach wenig von einem guten Geschmack zu sehen. Nun ist es jedem selbst überlassen, wie man sich privat kleidet. In Unternehmen ist dies ganz anders. Welche Tipps haben Sie, damit die Kleiderfrage nicht zu einem Karriere-Stolperstein wird?

Simone Flesch:
Wer nichts falsch machen will, sollte sich eher konservativ kleiden. Und an seine Umwelt anpassen. Wenn der CEO beispielsweise kein Einstecktuch im Jacket hat, dann sollte man es auch lassen. Wenn alle in Turnschuhen kommen, dürfen Sie das auch.

Wie sieht es mit einem Fahrzeug aus? Gibt es da Regeln, auf die man unbedingt achten muss?

Flesch:
Ja, ja , die Autos. Also, grundsätzlich gibt es ja zwei Gruppen von Menschen: Die einen, die lieben Autos und viele, denen sie vollkommen egal sind. Die zweite Gruppe hat es einfach, sie sollte sich nur an die Vorschläge aus dem Flottenpool halten. Erstere allerdings sollten sich privat auf diesem Gebiet austoben und hier eher an ihre Umwelt anpassen. Zu aufgemotzt ist im Businessleben fast nie gern gesehen. Daher bei Autos lieber auf „understatement“ setzen.

Schönheit ist ein Erfolgsfaktor in der Arbeitswelt. Sogar in der Schule macht sich Schönheit mit besseren Noten bemerkbar, was ­eigentlich nicht sein dürfte, da Leistung das einzige Kriterium zu sein hat. Welche Tipps haben Sie für weniger schöne Menschen, diesem Phänomen zu begegnen?

Sebastian Mauder:
Zunächst einmal ist wichtig, dass viele Menschen sich dieses Phänomens nicht bewusst sind. Ein Lehrer oder ein Chef reflektiert nicht den Einfluss der Attraktivität der Schüler oder Mitarbeiter auf seine Bewertungen der Leistungen. Daher scheint der Gedanke naheliegend, auf das Phänomen aufmerksam zu machen. Jedoch ist Vorsicht geboten. Kein Lehrer oder Chef hat es gerne, wenn seine Bewertungen mit dem Hinweis auf unbewusste psychologische Phänomene in Frage gestellt werden. Es gibt elegantere Möglichkeiten, dem Phänomen zu begegnen. So kann es hilfreich sein, die Leistungserwartungen und Qualitätskriterien möglichst frühzeitig beim Chef zu erfragen. Je mehr es gelingt, den Chef in Richtung eines objektiven Kriterienkatalogs zu lenken, desto geringer wird der unbewusste Einfluss der Attraktivität.

Was raten Sie Entscheidern, damit sie nicht auf die blendende Wirkung schöner Menschen hereinfallen?

Mauder:
Sich des Phänomens bewusst zu werden und die Hintergründe in den Grundzügen zu kennen, ist der erste notwendige Schritt. Darauf aufbauend können Entscheider versuchen, den Einfluss von Äußerlichkeiten bei anstehenden Personalentscheidungen oder Leistungsbeurteilungen zu minimieren. Beim Lesen von Bewerbungsunterlagen bietet es sich beispielsweise an, das Foto für die erste Sortierung auszublenden.

Immer mehr Beschäftigte sind vom Burn-Out-Syndrom bedroht. Schuldig ist vielfach die Weigerung, Müßiggang zuzulassen. Unternehmen, die diesem „Heißlaufen“ tatenlos zusehen, laufen Gefahr auf hochbezahlte Top-Leute längere Zeit krankheitsbedingt verzichten zu müssen. Was raten Sie beiden Seiten?

Thomas Saller:
Wir sprechen in unserem Buch nicht von der Burnout-Prophylaxe, sondern setzen viel früher an. Unserer Meinung nach sind Zeiten des absoluten Nichts-Tuns langfristig gesehen wichtig und produktiv. Kreative Ideen und echte Erholung entstehen häufig gerade in solchen Zeiten. Das belegen mittlerweile auch seriöse Studien. Wir sprechen dabei übrigens nicht von der 15-minütigen Pause, in welcher Manager in ihrem Einzelbüro einmal kurz die „Headspace-Meditations-App“ durchhecheln. Unsere Empfehlung für beide Seiten lautet daher: Müßiggang sollte man im Management akzeptieren und aushalten.

Gibt es Unternehmen, die sich diesbezüglich bereits vorbildlich verhalten?

Saller:
In der Management-Literatur werden Unternehmen wie ›Google‹ oder ›3M‹ genannt, wenn es darum geht, Kulturen darzustellen, in denen Mitarbeiter einen bestimmten Anteil ihrer Zeit ­eigenen Projekten nachgehen können. Meistens muss man in dieser „Personal Time“ immer noch produktiv sein. Wichtig ist jedoch vielmehr, ab und zu wirklich gar nichts zu tun. Das ist natürlich gesellschaftlich kaum akzeptabel. Ich kenne ein Unternehmen, das einmal versuchte, für die Mittagspause „Schlaf-Pods“ einzuführen, in die sich Mitarbeiter für ein Nickerchen hinlegen konnten. Das Experiment scheiterte, da die Schuhe aus den Schlafpods herausschauten. Dies führte dazu, dass Kollegen um die Sessel herumschlichen und Strichlisten führten, wer wie oft beim Schlafen „erwischt wurde“.

Ist es in Deutschland Tabu, am Ruf des deutschen Fleißes Hand anzulegen?

Saller:
Ich glaube nicht, dass es sich hier um ein deutsches Phänomen handelt. Zu erklären, dass man gerade „super beschäftigt“ sei, kommt in vielen Ländern und Kulturkreisen gut an. Ich habe aber den Eindruck, unsere Manager hierzulande sind Experten im Bereich der „Pseudo-Erholung“. Denken Sie nur an die klassische deutsche Männer-Elternzeit: Sie dauert fast immer zwei Monate und findet im Sommer statt.
Mauder: Wenn ein Unternehmen daran wirklich ­etwas ändern wollte, müsste das Signal von ganz oben kommen und durchgehalten werden, damit es glaubwürdig wird.

Entscheidungen sollten stets nach dem Abwägen von Fakten getroffen werden. Dennoch werden vielfach Fehlentscheidungen getroffen. Einige Forscher behaupten, dass oft keine Denkfehler, sondern „psychologischere“ Faktoren, wie etwa Imponiergehabe oder Anerkennungsbedürfnisse eine Rolle spielen. Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Entscheidungen ein, die auf dieser Grundlage gefällt werden?

Saller:
Das kann man natürlich nicht quantifizieren. Täglich werden ja in deutschen Unternehmen viele Entscheidungen getroffen. Darunter werden viele richtig und wohl bedacht sein. In meinen Führungskräfte-Coachings treffe ich aber häufig auch auf Geschäftsführer, Bereichsleiter und andere Entscheider, die mir in einer stillen Minute erläutern, was der wahre Hintergrund für eine Entscheidung war. Da wird von Managern mit hohem Wettkampfmotiv eine Investition primär aus dem Grunde getätigt, dem Kollegen einmal richtig eine „auszuwischen“. Oder ein Familienunternehmer trifft die Entscheidung für die Investition mit der nachweislich höchsten Rendite nicht – denn er glaubt, sie könnte dem bereits verstorbenen Unternehmensgründer und (Über-)Vater nicht gefallen. Ich glaube zwar nicht, dass die Geschicke in unserem Land von triebgesteuerten und neurotischen Menschen geleitet werden, die durch ihr Handeln primär versuchen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Dennoch ist es meines Erachtens wichtig bei der Bewertung von Entscheidungen immer auch die psychologischen Grundbedürfnisse, Antreiber und „Hunger“ der Entscheider mit im Auge zu behalten.

Mauder: Unternehmen muss es demnach gerade darum gehen, die Persönlichkeitsentwicklung und die Reflexionsfähigkeit der Entscheidungsträger zu stärken. Viele Führungskräfte und Mitarbeiter kennen nach wie vor ihre inneren Muster und Antreiber nicht. Das ist in unseren Trainings immer wieder erkennbar. Sich diesen bewusst zu werden und die eigenen inneren Impulse erst einmal besser zu verstehen ist ein wichtiger Schritt hin zu besseren Entscheidungen.

Sollte vor diesem Hintergrund nicht ein betriebsinternes Verfahren entwickelt werden, das solche irrigen Entscheidungen bei wichtigen Weichenstellungen verhindert?

Saller:
Selbstverständlich! Ich arbeite häufiger mit Führungsteams zusammen, um den gemeinsamen Prozess der Entscheidungsfindung zu verbessern. In einigen sehr guten Teams kennen die leitenden Personen ganz genau ihre eigenen Persönlichkeitsstrukturen, Bedürfnisse und Antreiber und haben sich über diese auch ausführlich und vertrauensvoll mit ihren Kollegen ausgetauscht. So entsteht ein gutes Korrektiv..

Gute Leistung soll gut entlohnt werden. Doch anders als in den USA ist es hierzulande nicht üblich über das eigene Gehalt zu sprechen, um Neid zu vermeiden. Ein sinnvolles Tabu?

Saller:
Die Maulsperre bei Gehaltsthemen ist eines jener Tabus, das wir sehr kritisch sehen. Natürlich kann Prahlerei über das eigene Gehalt zu Neid und Missgunst führen. Beim Besserverdiener kann sich zudem der Effekt eines schlechten Gewissens einstellen, wenn er erfährt, dass er deutlich zu viel Gehalt bekommt. Manche Personalabteilungen spielen regelrecht mit diesem Tabu und schreiben sogar in Arbeitsverträge ein – meist unwirksames – Verbot, über das Gehalt mit Kollegen zu sprechen. Ein offenes Gespräch über Gehalt kann übrigens auch dabei helfen, absurde Neid-Phantasien aus dem Wege zu räumen.

Der „Nasenfaktor“ spielt beim Gehalt eine große Rolle, obwohl doch die Leistung das einzige Kriterium für Entlohnung und Gehaltserhöhungen sein sollte. Verhindert diese Unsachlichkeit, dass Firmen das Potenzial ihrer Mitarbeiter nicht ausschöpfen, weil fähigere Angestellte die Stelle wechseln oder entmutigt „einen Gang zurückschalten“?

Saller:
Der Zusammenhang zwischen Bezahlung, Leistung und Zufriedenheit ist ein weites Feld, und einfache Kausalschlüsse sind leider fast nie gültig. Es gibt Forschungsstudien, die einen nahezu linearen Zusammenhang postulieren und andere die diesen negieren. Wiederum andere Studien sagen, ab einem bestimmten Grundeinkommen sei es eigentlich egal, was man verdiene. Eine Sache steht auf jeden Fall fest: Zu erfahren, dass ein Kollege für die gleichen Dienste ein deutlich anderes Gehalt verdient als man selbst, erzeugt ein starkes Gefühl von Ungerechtigkeit.


Angestellte mit Spezialkenntnissen verdienen besonders gut. Diese Experten besitzen vielfach eine besondere Machtstellung, da sie für das Unternehmen unverzichtbar sind. Dadurch werden sogar grenzwertige persönliche Eigenschaften geduldet und Sonderrechte akzeptiert. Eine sinnvolle Reaktion der Unternehmen zum Nachteile der „Nichtexperten“?

Mauder:
Ein Experte mit seltenen Fähigkeiten kann aufgrund der Marktmechanismen ein entsprechend hohes Honorar oder Gehalt verlangen. Auf der anderen Seite sollte ein Unternehmen nicht sämtliche Unternehmenswerte wegen eines egozentrischen Experten über Bord werfen. Wenn Sie es als Chef nicht schätzen, wenn Mitarbeiter ihre Füße auf Ihren Schreibtisch legen, dann sollten Sie das auch nicht bei einem unentbehrlichen IT-Experten dulden – wir raten dazu, den eigenen Werten von Anstand und Respekt treu zu bleiben. Insgesamt sollten die wichtigsten Werte des Unternehmens und Ihrer Person unveräußerlich sein. Deshalb ist es ratsam, von vorneherein darauf zu achten, Abhängigkeiten in extremer Form zu vermeiden.

Erfahrung spielt im Arbeitsleben eine wichtige Rolle. Vielfach wird den Vorschlägen junger Kollegen oder neuer Mitarbeiter jedoch wenig Gehör geschenkt, obwohl diese nicht selten gute Vorschläge für zu lösende Aufgaben präsentieren können. Ihnen fehlt das „optische Signal“ von Seniorität, mithin die grauen Haare. Eine Diskriminierung wegen Alters, die den Unternehmen teuer zu stehen kommt?

Mauder:
Die Rolle von Erfahrung und deren Einfluss auf die Verteilung von Aufgaben und Entscheidungsverantwortung sind komplex. Insbesondere öffentlichen Organisationen und inhabergeführten Familienunternehmen sind prädestiniert dafür, dass Alter oder Dauer der Betriebszugehörigkeit gleichgesetzt wird mit Kompetenz zur Erfüllung einer Aufgabe oder zur Lösung ­eines bestimmten Problems. Es gilt hier genau zu unterscheiden – um welche Art von Aufgabe oder Problem handelt es sich? Bei einem komplizierten chirurgischen Eingriff wünscht sich jeder, dass nicht der frisch gebackene Uniabsolvent die OP durchführt. Auch bei bestimmten Vertragsverhandlungen kann Erfahrung mit dem Verhandlungspartner ein unschätzbarer Vorteil sein. Bei Kreativaufgaben oder auch Aufgaben, bei denen bestimmte nachprüfbare Fähigkeiten, etwa logisches Denkvermögen, nützlich sind, wäre es kurzsichtig, nur alteingesessene und ältere Mitarbeiter einzubinden.

Nicht immer werden die qualifiziertesten Mitarbeiter ausgewählt, befördert oder für spezielle Aufgaben angefragt. Oft spielen Beziehungen diesbezüglich eine wichtige Rolle. Sogenannte „Seilschaften“ sind hier aktiv. Fluch oder Segen?

Saller:
Beziehungen schaden nur denjenigen, die über keine verfügen. Sehr ärgerlich ist das Phänomen natürlich aus Sicht jener Personen, die miterleben müssen, wie Manager solche Kollegen befördern, die mit ihnen bei der Bundeswehr oder bei McKinsey waren. Für diejenigen Mitglieder der Seilschaft, die „nach oben gezogen“ werden, liegen die Vorteile auf der Hand. Aber auch die Führungskräfte, die Mitglieder der Seilschaft „nach oben ziehen“, reduzieren damit ihre eigene Unsicherheit. Denn sie haben in Folge der Entscheidung vertrautere Personen in ihren Führungsumfeld als zuvor. Bei Entscheidungen in Seilschaften geht es ganz selten darum, inkompetenten Menschen, die zufällig im selben Golfclub sind, einen Gefallen auf Firmenkosten zu tun. Die Mitgliedschaft in einem Netzwerk ist vielmehr ein Garant für gegenseitiges Vertrauen.

In vielen Unternehmen ist es tabu, den Vorgesetzten ein ehrliches, kritisches Feedback zu geben. Diese haben jedoch keine Mühe, ein Feedback von oben nach unten zu geben. Was läuft schief?

Mauder:
Unseres Erachtens liegt es in der Verantwortung der Vorgesetzten, dafür zu sorgen, dass Feedback in beide Richtungen zur geübten Praxis gehört. Es gibt viele Gründe, warum Mitarbeiter ihren Vorgesetzten häufig nicht die (ganze) Wahrheit sagen. Sie wollen gut dastehen, fürchten den Ärger des Chefs oder haben resigniert in dem Glauben, dass sich ohnehin nichts ändern wird. Aus der Perspektive der Vorgesetzten gibt es ebenfalls viele Gründe, warum sie die Mitarbeiter nicht fragen. »Dafür habe ich keine Zeit!« oder »Was wissen die denn schon über meinen Job?« sind keine seltenen Aussagen. Leider ist zudem häufig die Qualität von Feedbacks nicht besonders hoch. In meinen Trainings fällt es selbst erfahrenen Führungskräften schwer, die Beschreibung ­eines Vorfalls sauber zu trennen von der Wirkung, die ein bestimmtes Verhalten auf sie hatte. Auch ist es nach wie vor so, dass positives Feedback in seiner positiven Auswirkung auf Motivation und Performance unterschätzt wird. In einer guten Feedbackkultur steckt eine echte Chance. Dazu ist es wichtig, dass das von ganz oben vorgelebt wird und ein Chef sich den Rückmeldungen seiner Leute stellt. Nicht zuletzt deshalb ist es eine gute Investition, die Führungskräfte aber auch die Mitarbeiter darin zu schulen, gutes Feedback geben zu können.

Manager sind oft nicht in der Lage, den Herausforderungen „ins Auge zu schauen“. Sie attackieren bei Problemen nicht selten lieber Untergebene statt die Probleme zu lösen. Was raten Sie den Akteuren?

Saller:
Manager haben zu akzeptieren, dass viele Probleme nicht mit technischen Lösungen aus der Welt geschaffen werden können, sondern dass diese einen langen, schweren und schmerzhaften Prozess der Bearbeitung erfordern. Alle Beteiligten sollten akzeptieren, dass es bei vielen großen Herausforderungen darum geht, stückweise Fortschritte auf dem Weg zur Verbesserung des Zustandes zu machen. Die Digitalisierung einer kompletten Industrie meistert ein Unternehmen nicht, indem es den alten Geschäftsführer feuert, zwei Strategieberatungen verbrennt und dann festlegt, dass alle Mitarbeiter twittern müssen. Das größte „Versagen“ besteht meines Erachtens darin, schwierige Themen zu sehr zu vereinfachen und Schwarz-Weiß-Lösungen zu fordern.

In Leitbildern werden nicht selten Selbstverständlichkeiten, wie Mitarbeiter-, Kunden- und Zielorientierung sowie Integrität und Vertrauen verkündet. Im Alltag gelingt es jedoch nur selten, die hehren Ansprüche in die Tat umzusetzen. Was läuft schief?

Mauder:
In Leitbildern werden häufig Ideale in Form von Mottosätzen beschrieben, etwa ›Wir denken konstruktiv und erarbeiten gemeinsam Lösungen.‹ Wenn die Mitarbeiter dann in der täglichen Zusammenarbeit eine Kultur des Drucks und der Rechtfertigung für Zielverfehlungen erleben, werden sie schnell das Leitbild als wirkungslos abstempeln und nicht mehr ernst nehmen. Formulierungen in Leitbildern wie „Mitarbeiter sind uns wichtig“ sind zu generisch und entfalten selten Identifikationsenergie. Vielfach führt auch die mangelnde Auseinandersetzung mit den beschriebenen Werten dazu, dass die Begriffe abstrakt und ohne Bezug zum Arbeitsalltag bleiben. Deshalb achte ich bei der Begleitung von Kulturentwicklungsprozessen darauf, dass alle Beteiligten sich über die Erfordernisse eines solchen Prozesses im Klaren sind. Wenn man als Chef oder Chefin die Kultur im eigenen Haus verändern möchte, sollte sich im Klaren darüber sein, dass man sich nicht vornehm zurückhalten kann. Im Gegenteil ist man gut damit beraten, zuvorderst bei sich selbst anzufangen.

Auf Firmenevents ist immer wieder zu beobachten, dass sich die Teilnehmer grenzwertig verhalten. Was ist tolerabel und womit sollten sich die Beschäftigten zurückhalten, um ihrer Reputation nicht zu schaden?

Saller:
Das hängt natürlich schon auch von der Unternehmenskultur ab. Im Start-Up sind die Grenzen sicher weiter gesteckt als in Familienunternehmen oder Konzernen. Letztlich sollte man sich vor originellen Tanzeinlagen, Alkohol-Exzessen oder dem Austausch von Körperflüssigkeiten mit Kollegen immer die Frage stellen, wie sich denn das Ganze am nächsten Tag, im Regelbetrieb, anfühlen wird. Die häufig gehörte Ausrede, das eine wäre ja vom anderen komplett zu trennen ist nämlich ziemlich illusionär. Kaum ein Kollege schafft es im Arbeitsalltag voll und ganz zwischen dem seriösen Abteilungsleiter Dr. Meier und dem Alexander zu trennen, der letzte Woche mit nacktem Oberkörper auf der Bierbank im Festzelt getanzt hat. In den Köpfen aller Kollegen brennt sich für immer die Szene ein, in der er sich auf der Firmenweihnachtsfeier mit dem Betriebsrat ­einen Faustkampf lieferte. Meine Empfehlung: Spaß haben, aber die Grenzen kennen.

In Ihrem Buch ›Tabu‹ weisen Sie darauf hin, dass in Unternehmen Spiele gespielt werden. Es geht um Einfluss, Vorteile und Macht. Es gewinnt derjenige, der Regelbrüche oder betrügerische Strategien anwendet. Zu gewinnen gibt es Beförderungen, Gehaltserhöhungen oder persönliche Triumphgefühle. Soll man mitspielen oder hinwerfen?

Saller:
Spielen Sie jedes Jahr an Weihnachten mit dem Onkel Monopoly, der alles darauf anlegt, mit legalen und nicht-legalen Mitteln zu gewinnen? Die Antwort fällt bei verschiedenen Menschen wohl sehr unterschiedlich aus. Manche lieben es, sich mit anderen zu messen und würden fast alles dafür tun, zu gewinnen. Andere empfinden an sich Spiele als unangenehm. Der erste Schritt zum richtigen Umgang mit Machtspielen liegt somit in der Selbstreflektion. Als zweiten Schritt empfehlen wir eine kritisch-realistische Einschätzung der eigenen Situation: Werden im beruflichen Umfeld Spiele gespielt? Sollte ich mein Umfeld als sehr politisch und machtgetrieben erleben, und ich zugleich feststellen, dass mir mikropolitische Spiele zutiefst widerstreben, dann ist Hinwerfen eine Option. Zumindest erspart dies viele Frustrationen. Überrascht bin ich immer wieder von Menschen, die es ins höhere Management drängt, die aber eine Abscheu gegen Spiele im Unternehmen hegen. Ich möchte hier niemand ermutigen, entsprechende Spiele zu spielen. Es geht viel mehr darum, auf sie gefasst zu sein und wo es nötig ist, diese auch mitzuspielen. Wenn man in den Regen geht, nimmt man ja auch besser seinen Regenschirm mit.

Herr Saller, Herr Mauder und Frau Flesch, vielen Dank für das sehr interessante Interview.

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