Besuch beim "schwäbischen da Vinci"
Das Vermächtnis des Philipp Matthäus Hahn
Wilhelm Schickard, Gottfried Leibniz oder Blaise Pascal werden zu Recht als Schrittmacher auf dem Weg zur modernen Computertechnik genannt. Deren Rechenmaschinen waren Wegweiser der damaligen Zeit. Absolut unverständlich ist es, dass Philipp Matthäus Hahn diesbezüglich oft nur in Expertenkreisen überhaupt erwähnt wird. Dabei konnte der Pfarrer und Erfinder, der scherzhaft schon damals als „Uhrmacher Gottes“ oder „schwäbischer da Vinci“ bezeichnet wurde, derart virtuos Zahnräder zum Leben erwecken, dass man sich staunend fragt, was dieser Mensch wohl in heutiger Zeit mit modernen Maschinen alles erfinden würde. Wissbegierige, die in Sachen Uhren- und Waagenbau einen weithin unbekannten Technik-Vater kennenlernen möchten, sollten daher unbedingt einmal die ehemalige Johanneskirche in Albstadt-Onstmettingen aufsuchen.
Der Fortschritt der Menschheit ist im Wesentlichen immer nur einzelnen Denkern und Tüftlern zu verdanken. Die Mehrzahl der Menschen nutzt nur die Technik, ohne sie wirklich zu verstehen. Daher ist es so immens wichtig, dass Industrienationen ein leistungsfähiges Schulwesen unterhalten, damit das angesammelte Wissen nicht wieder verlorengeht. Wie schnell das geht, zeigen etwa die ägyptischen Pyramiden, von denen man heute keine Vorstellung mehr hat, wie diese wirklich gebaut wurden. Ein ähnliches Schicksal war dem Pfarrer und Erfinder Phillipp Matthäus Hahn beschieden.
Wer diesen Namen, der in einer Reihe mit Wilhelm Schickard, Blaise Pascal oder Gottfried Leibnitz genannt werden muss, noch nie gehört hat, muss sich nicht schämen, denn sein Wirken wurde erst in jüngerer Zeit wieder mehr gewürdigt. Gleichwohl wird dieses Genie zu Recht als „schwäbischer da Vinci“ betitelt.
Das ist auch kein Wunder, hat Philipp Matthäus Hahn doch viele Produkte ersonnen, die den Alltag der Bürger und des Adels seiner Zeit sehr erleichterten. Doch wären viele Ideen niemals umgesetzt worden, wenn er nicht seinen Jugendfreund Philipp Gottfried Schaudt an der Seite gehabt hätte. Dieser hatte ein besonderes handwerkliches Talent, weshalb viele Uhren, Waagen und Rechenmaschinen, die Hahn entwickelte, unter den begnadeten Händen seines Freundes Schaudt Gestalt annahmen.
Ein Genie mit Weitblick
Philipp Matthäus Hahn wurde am 25.11.1739 als zweites von fünf Kindern des evangelischen Pfarrers Georg Gottfried Hahn geboren. Schon sehr früh interessierte er sich für die Astronomie, weshalb er bald Sonnenuhren konstruierte. Das Schicksal führte ihn glücklicherweise in Form einer Strafversetzung seines Vaters wegen dessen Alkoholabhängigkeit in die schwäbische Gemeinde Onstmettingen. Dort freundete sich Philipp Matthäus Hahn mit dem gleichaltrigen Philipp Gottfried Schaudt an, der ihm später - selbst ohne umfangreiche technische Zeichnungen - seine Ideen umsetzte.
Und Ideen hatte er mehr als genug! Er entwickelte zum Beispiel eine einfache Quadrantenwaage, die man in der Hand halten oder an die Wand schrauben konnte und mit der das Abwiegen eines schweren Kartoffelsacks genauso möglich war, wie das Feststellen, was eine Handvoll Getreide wog.
Hahn baute sein Wissen auf damals zugängliche Bücher auf. So nutzte er 1756 das Rechenbuch „Die Anfangsgründe der mathematischen Wissenschaften“ von Christian Wolf, das ihn in die Lage versetzte, seine Konstruktionen zu berechnen. Das Konstruieren von Uhren und Waagen war für ihn eine wichtige Einkommensquelle, denn er verfügte nur über sehr wenig Geld. Diese Armut war übrigens auch der Grund, warum sich im Schwäbischen schon sehr früh eine florierende Uhrmacherzunft herausbildete. Die Bauern konnten vom kargen Boden einfach nicht leben, weshalb viele in der Not auf einen zusätzlichen Broterwerb angewiesen waren.
Als Autodidakt war Hahn in der Lage, sich das Wissen um den Bau von Uhren problemlos anzueignen. Er kaufte sogar einmal eine defekte Taschenuhr für fünf Gulden, nur um sie anschließend zu zerlegen, damit er hinter deren Konstruktionsgeheimnis kommen konnte. Durch diesen Fleiß und den unbedingten Willen, selbst solche Geräte zu bauen, erarbeitete er sich die Grundlagen für seine großen Erfolge als Uhren- und Waagenbauer.
Das Talent von Hahn sprach sich schnell herum. Selbst der Adel wollte von ihm Uhren haben, denn Hahn baute nicht einfach nur Uhren, die die Zeit anzeigten, sondern Kunstwerke, die mit Mondphasen, Planetenbewegungen und ganzen Kalendern ausgestattet waren. Selbst die Schaltjahre konstruierte das Genie in seine Uhrwerke. So konnten diese stets das korrekte Datum und den korrekten Wochentag anzeigen. Natürlich durfte daher die Uhr niemals stehenbleiben. Auch für dieses Problem hatte Hahn die Lösung: Er baute gleich das Uhrwerk dergestalt, dass es ein ganzes Jahr lief, ehe das Gewicht wieder nach oben gezogen werden musste.
Hahn war derart erfolgreich mit seiner Konstrukteurs-Gabe, dass er an jeder seiner Pfarrstellen eine Uhrmacherwerkstatt unterhielt, wo er auch Verwandte beschäftigte, die Instrumente nach seinen Plänen anfertigten. Herzog Carl Eugen bezeichnete ihn damals als „Uhrmacher Gottes“.
Erleichterung in Sachen Rechnen
Die Vielzahl an Zahnrädern und Übersetzungen für seine Uhren und Waagen machten natürlich zahlreiche Berechnungen nötig, was Hahn sehr viel Zeit kostete. Zu seiner Erleichterung hatte Hahn daher die Rechenstäbe von Napier im Einsatz. Diese Idee packte er kurzerhand auf eine Trommel, um noch komfortabler rechnen zu können. Von dieser Idee war es für Hahn nur noch ein kleiner Schritt zu einer mechanischen Rechenmaschine, wie sie bereits Wilhelm Schickard ersonnen hatte, der bereits über 100 Jahre verstorben war, ehe Hahn geboren wurde.
Und das, was Philipp Matthäus Hahn konstruierte, war an Raffinesse kaum zu überbieten. Seine scherzhaft „rechnende Keksdose“ genannte mechanische Rechenmaschine war in der Lage, rasch und zuverlässig die vier Grundrechenarten bis in den elfstelligen Bereich zu bewältigen. Quellen sprechen sogar davon, dass er auch eine 14-stellige Version baute, die jedoch verschollen ist.
Wer all dies selbst in Augenschein nehmen will, ist im Philipp-Matthäus-Hahn-Museum in der ehemaligen Johanneskirche, genannt Kasten, in Albstadt-Onstmettingen herzlich willkommen. Schon dieses ehemalige Kirchengebäude ist etwas Besonderes, da es bereits im Jahre 940 erbaut wurde und somit zu den ältesten Gebäuden Onstmettingens zählt. Hier gibt es auf drei Stockwerken Hochinteressantes aus dem Leben von Philipp Matthäus Hahn zu besichtigen.
Unbedingt anzuraten ist es, das Museum nicht auf eigene Faust zu erkunden, sondern sich einem kundigen Führer anzuschließen, der zu jedem Exponat eine spannende Geschichte zu erzählen weiß. Zu groß ist die Gefahr, dass man wichtige Details, wie etwa die besondere Gestaltung der Zifferblätter Hahnscher Uhren übersieht. Die sogenannten Weltmaschinen beispielsweise haben einen eigenen Zeiger für ein besonderes Ereignis, das in der Bibel aufgeführt wurde. Hahn studierte die Bibel sehr gründlich und stattete seine Uhren mit den dort erwähnten Ereignissen aus.
Edles für die Hosentasche
Ganz besondere Hingucker im Erdgeschoss des Museums sind die von Hahn beziehungsweise seinen Söhnen und Brüdern angefertigten Taschenuhren. Man muss sich immer vor Augen halten, zu welcher Zeit diese hergestellt wurden und welche technischen Maschinen und Geräte damals zur Verfügung standen. Dennoch sind diese Uhren in einer Perfektion ausgeführt, wie sie heute nicht besser zu leisten wäre.
Auch die ausgestellten Waagen lassen staunen. Die Konstruktionen von Hahn bilden selbst heute noch die Grundlage für höchste Wiegegenauigkeit. Es sind sogar Waagen im Museum zu sehen, die derart raffiniert konstruiert sind, dass es mit ihnen möglich ist herauszufinden, ob in einem Sack mit lauter Cent-Stücken ein einziges Geldstück fehlt.
Im oberen Stockwerk des Museums wird die Lebensgeschichte von Philipp Matthäus Hahn erzählt, die nahezu lückenlos bekannt ist. Das große Glück für die Altertumsforscher ist nämlich, dass Pfarrer Hahn ausführlich Tagebuch führte, in das er alles hineinschrieb, was seinen Tag bestimmte. So konnte man auch nachlesen, dass für ihn der Tod seiner ersten Frau wohl eine Strafe Gottes war, da diese für seinen Geschmack viel zu freizügig mit dem Geld umgegangen war. Daher hat er auch akribisch aufgeschrieben, was seine nächste Frau für Eigenschaften haben sollte. Er erwähnte zudem, dass sie nicht schön sein müsse, gleichwohl habe er nichts dagegen, wenn dies der Fall sein sollte.
In der museumseigenen Waagen-Werkstatt eines Heimarbeiters des 18. Jahrhunderts kann man sich so richtig in die Zeit zurückversetzen, die noch keine Normung und kein Fließband kannte. Jedes hergestellte Teil war ein Unikat und musste sorgfältig an das Gegenstück angepasst werden, damit die Funktion gewährleistet war. Ausgefuchste Mechaniker damaliger Zeit haben sich natürlich immer neue Methoden ausgedacht, das Herstellen von Uhren und Waagen zu vereinfachen, weshalb es auch sogenannte Teilapparate zu sehen gibt, die beispielsweise dazu genutzt wurden, Zahnräder herzustellen, bzw. Waagenbalken und Zifferblätter einzuteilen.
Doch damit ist noch lange nicht alles gesagt, was es im kleinen, aber feinen Onstmettinger Museum zu sehen gibt. Wer sich mit Waffen auskennt, sollte sich einmal das Steinschlossgewehr aus dem Jahr 1660, das gleich am Eingang des Museums den Besucher begrüßt, genauer ansehen. Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass dieses Gewehr über einen Zug verfügt, was man den damaligen Waffenbauern noch gar nicht zugetraut hätte. Es gibt also viele Gründe, einmal nach Onstmettingen zu kommen, um dort sein Geschichtsbild aufzufrischen.
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Mehr Informationen:
Philipp-Matthäus-Hahn-Museum | |
Albert-Sauter-Straße 15 (Kasten) | |
72461 Albstadt, Stadtteil Onstmettingen | |
Tel.: 07432-23280 (während der Öffnungszeiten) | |
Öffnungszeiten: Mi, Sa, So, Feiertag: 14-17 Uhr | |
Eintrittspreise: Normal: 2 Euro; ermäßigt 1 Euro | |
www.albstadt.de/museen/philipp-matthaeus |
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