Die Geschichte des Klavierbaus
Musik über viele Jahrhunderte
Klaviere und Flügel gehören heute zu nahezu jedem Konzert, auf dem klassische Musik dargeboten wird. Wer die Entwicklungsgeschichte dieser Musikinstrumente studieren will, findet im Klaviermuseum von Steingraeber höchst interessante Exponate, darunter einen originalen Liszt-Flügel aus dem Jahre 1873 vor.
Die Kunst, ein Tasteninstrument zu bauen, mit dem es möglich ist, eine dynamische Spielweise mit leisen, lauten sowie dazwischen abgestuften Musikpassagen anzuwenden, ist wohl zuerst dem italienischen Instrumentenbauer Bartolomeo Christofori gelungen. Es wird vermutet, dass dieser im Jahre 1700 einen Prototypen eines Hammerklaviers baute. Heute sind von 20 von ihm gebauten Instrumenten nur noch geschätzte sieben erhalten, die etwa im New Yorker Metropolitan Museum of Art, im römischen Musikinstrumentenmuseum sowie in der Instrumentensammlung der Universität Leipzig stehen.
Erstaunlich ist, dass Christofori damals sogar daran dachte, seinen innovativen Instrumenten eine ideenreiche Mechanik zu spendieren, die es erlaubte, einen Hammer gegen die Saite zu schleudern, dabei jedoch in der Lage ist, kurz vor dem Anschlag eine Abkopplung des Hammers von der Tastaturmechanik vorzunehmen, wodurch ein Festdrücken des Hammers an der Saite vermieden wurde. Durch diesen Trick konnte die Saite nach dem Hammerschlag frei schwingen, was einen Ton zur Folge hatte, der langsam verstummte und nicht abrupt endete.
Große Nachfrage
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Tastinstrumente weiter verfeinert, sodass zu Beginn des 20. Jahrhunderts exzellente Klaviere und Flügel entstanden, die insbesondere in Europa und den USA zu begehrten Instrumenten avancierten. Im Jahre 1910 wurden in Europa bereits 215.000 Klaviere produziert. In den USA sogar 370.000. In Deutschland wurde die Hochblüte des Klavierbaus durch die beiden Weltkriege sowie die Weltwirtschaftskrise jäh beendet. Doch das Unternehmen Steingraeber & Söhne hat diese Verwerfungen gemeistert und produziert bis heute Klaviere und Flügel, die zur Spitzenklasse ihrer Zunft zählen.
Die Familie Steingraeber betreibt auch ein kleines Museum, in dem eine ganze Reihe besonderer Tastinstrument-Schätze zu sehen sind. Bereits beim Betreten des Museums fällt der Original-Liszt-Flügel aus dem Jahre 1873 ins Auge. Dieser wurde damals extra für den heutigen Standort, den Rokokosaal des ehemaligen Liebhardtschen Palais und heutigen Steingraeber-Haus gebaut. Auf diesem Flügel hat der Komponist Franz Liszt zwischen 1878 und 1882 öfters ein Konzert für seine Freunde und Kollegen gegeben.
Leider wurde das Instrument im Jahre 1925 einer Renovierung und „Modernisierung“ unterzogen, sodass sich nur noch das eigentliche Möbel im Originalzustand präsentiert. Der Resonanzboden wurde damals ersetzt, zum Glück jedoch in der originalen Art nachgebaut. Der Flügel hört sich daher so an, wie er zu Zeiten von Liszt klang. Wer sich in diesen Klang verliebt, wird interessiert zur Kenntnis nehmen, dass es von Steingraeber mit dem Kammerkonzertflügel ›C-212‹ ein Modell gibt, dessen Konstruktion dem Liszt-Flügel nahe kommt.
Meisterstück
Aus dem Jahr 1851/1852 stammt der Hammerflügel ›Opus 1‹, den Eduard Steingraeber, der Firmengründer von Steingraeber & Söhne, mit 28 Jahren als Meisterstück anfertigte. Dieser wegweisende Flügel besitzt eine geschmiedete Eisenverstärkung der Holzkonstruktion, was diesem eine hohe Stabilität verleiht. Zudem wurde für das Meisterstück eine ungewöhnliche Mechanik verbaut, die das Wiener sowie das Englische Mechanik-System verbindet. Die Besaitung ist weitgehend – wie das ganze Instrument – im Original erhalten und kann bespielt werden.
Musikalische Familie
Das Klavierbauer-Handwerk lernte Eduard Steingraeber bei seinem Onkel Gottlieb und seinem Vater Christian Steingraeber, die im thüringischen Städtchen Neustadt/Orla die ›Steingraeber Werkstätten Schloss Arnshaugk‹ betrieben. Von dieser Werkstatt stammt ein um 1835 gebautes Tafelklavier mit dem Tonumfang ›CC-g4‹, das heute im Steingraeber-Museum bewundert werden kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Eduard Steingraeber während seiner Wanderjahre sechs Monate als Konzertassistent von Franz Liszt tätig war.
Ein weiteres Tafelklavier stammt von Henri Pape, das dieser um 1832 in Paris baute. Pape war ein wichtiger Wegbereiter für den modernen Klavierbau. Von ihm stammt beispielsweise der Filzhammer und die kreuzsaitige Bespannung des Resonanzbodens. Der Erard-Flügel aus dem Jahre 1904 ist von der Bauweise mit dem Opus 1 von Steingraeber verwandt, da es gradsaitig bespannt ist und zudem über eine Statik aus Eisenstützen ohne Gussplatte verfügt.
Ein Filmstar ist der Kammerkonzertflügel mit der Nummer 5.930, der von Steingraeber im Jahre 1892 gebaut wurde. Er wurde zum Beispiel für den Wagner-Film genutzt, den Tony Palmer im Jahr 1983 drehte und in dem Richard Burton sowie Sir Lawrence Oliver mitspielten. Die bezaubernde Vanessa Redgrave spielte als Cosima auf diesem Flügel.
Richard Wagner war, neben Franz Liszt, ein weiterer, weltbekannter Freund der Klaviere von Steingraeber. Von 1871 stammt beispielsweise das im Museum ausgestellte Tafelklavier. Diese Art Klaviere kamen nicht zuletzt für Probearbeiten im Festspielhaus Bayreuth zum Einsatz. Aber auch privat spielte Wagner gerne auf solchen Instrumenten, wie auf demjenigen, das noch heute in der Villa Wahnfried vorhanden ist.
Ein aufrecht stehendens Piano mit besonders niedriger Form zeigt, dass es im Klavierbau auch Irrwege gab, die dem Zeitgeist geschuldet sind. In den 1930er bis in die 1950er Jahre war es angesagt, Klaviere immer kleiner und unauffälliger zu bauen. Man wollte mit dieser Bauweise weitere Bevölkerungsschichten ansprechen, die in ihren Wohnungen keinen Platz für ein Klavier herkömmlicher Bauart hatten. „Bezahlt“ wurde dies mit einer sehr unkomfortabel spielbaren Untertastenmechanik, weshalb diese Bauform wieder eingestellt wurde.
Mut zu neuer Technik
Die Experimentierfreude von Klavierbauern kann nicht zuletzt an einem Aluminium-Flügel aus dem Jahre 1960 studiert werden. Das Klavier in der Nierentischform der 1950er Jahre aus der Produktionshalle der niederländischen Firma ›Rippen‹ ist ein typisches Beispiel für die Suche nach einem neuen Geist für das althergebrachte Klavier. Leider musste dieses innovative Unternehmen 1991 seine Pforten schließen, nachdem sich die wirtschaftliche Lage zunehmend verschlechterte.
Ein Museum für Klaviere und Flügel wäre unvollständig, wenn man sich keine Einblicke in die Funktionsweise dieser Musikinstrumente verschaffen könnte. Aber auch hier erlaubt man sich in Bayreuth keine Schnitzer. Sowohl die „Klaviatur“ wie auch der Aufbau der Bespannung sowie die Ausführung der Bespannung oder des Klangbodens sind an vielen geöffneten Instrumenten beziehungsweise direkt an Schaustücken zu besichtigen.
Im Museum kann man bei etwas Glück auch über Klaviere und Flügel stolpern, die käuflich zu erwerben sind. So steht beispielsweise ein Wagner-Klavier von Steingraeber aus dem Jahre 1888 mit der Nummer 5040 zum Verkauf, das in unrestauriertem oder im restauriertem Zustand erworben werden kann.
Interessant ist zudem, dass man sich im Museum anhand eines Ausstellungsstücks einen Eindruck von den Zuständen ›Original‹ sowie ›Restauriert‹ machen kann. Auf diese Weise kann der potenzielle Kunde selbst entscheiden, in welcher Ausführung er sein Klavier oder seinen Flügel erwerben möchte. Und er sieht, welche Auswirkungen eine Restaurierung auf ein altes Klavier haben kann. Eine aus dem Jahre 1852 stammende Zither bestätigt, dass Eduard Steingraeber ein vielseitiger Musikinstrumentenbauer war, der sein Talent nicht nur im Bau von Klavieren und Flügeln einsetzte. Als Material setzte er auf das gleiche Holz, das er ein Jahr zuvor für sein Meisterstück ›Opus 1‹ verwendete.
Cleverer Glockenersatz
Es zeigt sich, dass viele im Museum zu sehende Instrumente eine interessante Geschichte zu erzählen haben. So gibt es beispielsweise eine aus dem Jahr 2015 stammende Gralsglocke zu bewundern, die seit 2017 in Produktionen der Festspiele Bayreuth sowie in der Staatsoper München als Sampling zu hören ist. Dieses Instrument ist in der Lage, einen sehr tiefen Ton zu erzeugen, wie er normalerweise nur von tonnenschweren Kirchenglocken mit bis zu 8,5 Metern Durchmesser erzeugt werden kann.
Dass auch für Klaviere und Flügel die Zeit nicht stehenbleibt, zeigt im Museum das Steingraeber-Modell ›B-192‹, das mit Elektronik aufgerüstet wurde: Hier sorgt die adsilent Steingraeber-Edition dafür, dass Nachbarn nicht mehr zwangsweise dem Klavierspiel beiwohnen müssen. Sensoren setzen das Spiel perfekt um, sodass es über einen Kopfhörer verfolgt werden kann.
Im Museum sind aber nicht nur Musikinstrumente mit interessanter Technik und Vergangenheit, sondern auch Infos zu finden, die Einsichten in die Welt von Richard Wagner gewähren. So findet sich hier beispielsweise ein Zeitungsausschnitt aus dem Jahre 1946, in dem Unmut über die amerikanische Militärverwaltung geäußert wird, die damals die ansonsten von der Wagner-Familie organisierten Festspiele plante und durchführte.
Der Besuch des Steingraeber-Klaviermuseum ist in mehrfacher Hinsicht ein Genuss für Freunde edler Musikinstrumente. Sie bekommen nicht nur Erkenntnisse in die Evolution der Klaviere und Flügel, sondern zugleich Einblicke in die private Welt berühmter Namen.
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Diesen Artikel finden Sie auch in Heft 4/2020 auf Seite 32. Zum besagten Heft führt ein Klick auf den nachfolgenden Button!
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Steingraeber & Söhne KG | |
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95444 Bayreuth | |
Tel.: 0049(0)921-64049 | |
Fax: 0049(0)921-58272 | |
E-Mail: steingraeber@steingraeber.de | |
www.steingraeber.de |
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