Eine wichtige Reise durch die Zeit
Museumsbesuch als Augenöffner
Großes Interesse für Technik und Geschichte sind oft die Geburtshelfer von Museen, wenn private Betreiber über viele Jahrzehnte ihrem Hobby nachgehen. So auch beim Rottauer Museum, dessen Wiege im Erwerb eines Zündapp KS 750-Gespanns aus dem 2. Weltkrieg liegt.
Es ist erstaunlich, dass die Spuren zeitgeschichtlicher Vorgänge bereits nach wenigen Jahrzehnten verblassen. Ob Fragmente der Berliner Mauer, Turm der Berliner Gedächtniskirche oder Schützengräben in einem Museum in Flandern – es gibt nur mehr wenige Orte, die an das Grauen des 1. und 2. Weltkriegs erinnern. Umso wichtiger sind Personen, die sich aufmachen, Originalstücke aufzutreiben, um Erinnerungen an die Vergangenheit wach zu halten.
Zu diesen Menschen, die Geschichte anfassbar halten, gehört Robert Niedermeier, der bereits im Alter von 21 Jahren begann, Exponate von zeitgeschichtlichem Wert zu sammeln. Sein besonderes Augenmerk gilt Dingen, die die Überlebenden eines Krieges aus Waffen, Munition oder Schutzhelmen bastelten, um den Nachkriegs-Alltag zu bewältigen. Nach einem Krieg gilt es, eine Zeit zu meistern, in der Fabriken zerstört, Rohstoffe knapp und Geld Mangelware ist.
So gibt es im Museum beispielsweise Nudelsiebe zu sehen, die aus nicht mehr benötigten Stahlhelmen herausgearbeitet wurden, Granathülsen wurden zu Vasen, Eierhandgranaten zu Glocken, Behälter für Gasmasken zu Milchkannen, Wasserschläuche zu Fahrradschläuchen und Kartoffelsäcke zu Kleidungsstücken. Es lohnt sich sehr, alle diese Umbauten in Ruhe in Augenschein zu nehmen und sich in die damalige Zeit zu versetzen, um den unglaublichen Überlebenskampf der damals lebenden Menschen wenigstens ein klein wenig zu verstehen.
Überlebenskampf
Was sich heute lebende, junge Menschen nur schwer vorstellen können, war damals Alltag: der tägliche Kampf ums Standhalten und Weiterleben, denn auch Lebensmittel waren Mangelware. Umso wichtiger sind Museen, in denen Exponate zu sehen sind, die dokumentieren, dass Wohlstand ein sehr fragiler Zustand ist, der sich jederzeit in Luft auflösen kann.Museen sind zudem wichtige Informationsquellen, die aufzeigen, dass Technikbegeisterung die Menschheit nach vorne bringt.
So gibt es beispielsweise im Rottauer Museum einen großen Behälter zu sehen, der als Weizen-Silotank genutzt wurde, sich bei näherer Untersuchung jedoch als Oxydatortank für flüssigen Sauerstoff zum Betrieb einer deutschen Rakete vom Typ ›Aggregat 4‹ herausstellte. Diese Rakete war die weltweit erste Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk, mit der es möglich war, an die Grenze zum Weltraum zu gelangen. Diese Rakete war praktisch die Mutter aller Raketen, die später von den USA und der Sowjetunion entwickelt wurden und mit denen der Mond beziehungsweise der Weltraum erobert wurde.
Interessanter Flügel
Doch gibt es im Rottauer Museum noch weitere außergewöhnliche Gegenstände zu entdecken. So findet sich in den Räumen beispielsweise ein Heckflügel einer Messerschmitt Me 262. Dieses war das weltweit erste in Serie gebaute Strahlflugzeug, das seinen Erstflug am 18. Juli 1942 absolvierte.
Der besagte Heckflügel lohnt, näher in Augenschein genommen zu werden, da sich so offenbart, mit welcher Raffinesse die damaligen Flugzeugkonstrukteure zu Werke gingen, um Flügel zu bauen, die dem gewaltigen Luftdruck beim Flug knapp unter Überschallgeschwindigkeit widerstehen konnten.
Neue Erkenntnis
Wer bisher dachte, dass Raketen, die von Flugzeugen abgeschossen wurden, eine Erfindung der Nachkriegszeit sind, der sollte die in der Nähe zum Me 262-Flügel befindliche Vitrine aufsuchen, in der sich ein weiteres Highlight befindet, das zur Me 262 gehörte und unbedingt besichtigt werden sollte: eine R4M-Rakete.
Dies war eine deutsche Luft-Luft-Rakete, die unter dem Flügel einer Me 262 oder einer Focke-Wulf Fw 190 angebracht wurde und gegen die schwer gepanzerten amerikanischen B-17 und B-24-Bomber zum Einsatz kam. Die kleine Rakete besaß einen Aufschlagzünder, erreichte eine maximale Geschwindigkeit von rund 1900 km/h und bekämpfte das Ziel über Luftstoßdruckwirkung.
Weit in der Zukunft
Interessant auch das Triebwerk einer Me 262, das ebenfalls zu besichtigen ist. Dieses wurde zum Kriegsende unter einer meterdicken Kiesschicht versteckt, damit es nicht den Besatzern in die Hände fällt. Weit nach dem Krieg wurde es wieder ausgegraben und dem Rottauer Museum zur Verfügung gestellt.
Auch hier lohnt eine nähere Betrachtung, um zu verinnerlichen, wie weit die Konstrukteure dieses Triebwerks in der Zukunft waren, als sie dieses entwarfen. Hier wird Technikgeschichte im wahrsten Wortsinn begreifbar, da das Exponat nicht hinter einer Plexiglasabdeckung versteckt wird, der Besucher demnach jedes Detail genau unter die Lupe nehmen kann.
Überhaupt ist es erstaunlich, was im ehemaligen Schloss der ›Herren von Rottau‹, die hier von 800 bis 1550 lebten, zu sehen ist. Auf rund 700 Quadratmetern Ausstellungsfläche sind viele Exponate zu entdecken, die man andernorts nur schwer findet. So zum Beispiel ein seltener Funkanhänger aus dem Jahre 1943, der dort im Original-Erhaltungszustand zu bestaunen ist.Mit nicht so gutem Erhaltungszustand präsentiert sich eine BMW R75 aus den 1940er Jahren.
Das ist auch kein Wunder, denn das Wehrmachtsmotorrad wurde erst 2004 ausgegraben, weshalb der Zahn der Zeit schon sehr an diesem Exemplar knapperte. In weit besserem Zustand präsentiert sich das Eingangs erwähnte Zündapp KS 750-Gespann aus den 1940er Jahren. Dieses Exemplar wurde in den 1980er Jahren im damaligen Jugoslawien ausfindig gemacht und per Ford Transit nach Deutschland gebracht.
Zeit einplanen
Doch zu sehen gibt es sehr viel mehr, weshalb man sich Zeit nehmen sollte, all die Exponate zu studieren, die Robert Niedermeier zusammengetragen hat. Ob Volksempfänger, Feldnähmaschine, Scherenfernrohr, Funkgerät, Stahlhelme, Orden, Uniformen, Einmannschlauchboot, Soldatenbilder, Flugabwehrgeschütze, Kraftfahrzeuge oder ein Modell des überschweren Panzers ›Maus‹ – eine überquellende Fülle an Sehenswertem will bewundert, studiert und eingeordnet werden.
Doch sind nicht nur deutsche Produkte hier zu sehen. So gibt es hier beispielsweise den leichten Panzer AML 60 des französischen Herstellers Panhard zu sehen. Dieser hat den Panzer in den 1960er Jahren entwickelt und damit ein Erfolgsmodell kreiert, das sehr exportstark war. Nur eine Kopfdrehung weiter erblickt man den russischen Schützenpanzerwagen BTR 60 BP, der ab 1960 gebaut und unter anderem auch von der Volksarmee der DDR eingesetzt wurde.
Einen Panzer zu fahren muss man erst lernen, schließlich besitzen diese eine völlig andere Bedienungsphilosophie als herkömmliche Kraftfahrzeuge. Für den Schützenpanzer Marder 1A2 kann man im Museum einen Simulator von Krauss Maffei betrachten, auf dem in den 1980er Jahren das Panzerpersonal geschult wurde.
Fahrbereiter Oldtimer
Dass das Bremer Unternehmen Carl F. W. Borgward GmbH hervorragende Automobile baute, ist wohlbekannt. Weit weniger bekannt ist, dass die neu gegründete Bundeswehr von diesem Unternehmen in den 1950er Jahren verschiedene Lkw-Modelle bezog, die unter anderem für den Bundesgrenzschutz eingesetzt wurden. So ein Fahrzeug, nämlich ein Modell ›B 2000‹ kann im Museum bestaunt werden. Dies ist ein offener Kübelwagen mit bis zu neun Sitzplätzen und steht dort in fahrbereitem Zustand.
Ebenso fahrbereit ist ein geländegängiges Bundeswehr-Kraftrad vom Typ Maico M250/B aus den 1960er Jahren. Mit 14,5 PS erreichte es eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 96 km/h. Gleich daneben ist ein Bundeswehrkrad 175 zu sehen, das in den 1950er Jahren von DKW produziert wurde. Überhaupt gibt es viele Stücke aus der Nachkriegszeit zu sehen. So etwa einen 120 mm-Granatwerfer aus dem Jahr 1951, der eine Schussweite von 6650 Meter besaß. Staunenswert auch die Maschinenkanone ›L/90‹, die von Oerlikon produziert und im Flakpanzer ›Gepard‹ eingebaut wurde.
Am Filmset begehrt
Der nahe gelegene Fliegerhorst Pocking war eine ergiebige Quelle für zahlreiche kleinere Fundstücke, die der Museums-Eigener höchstselbst in so manchen Suchausflügen dem Boden abtrotzte. Andere Exponate stammen von Flohmärkten, aus Schenkungen oder wurden auf Sammlerbörsen erworben. Der mittlerweile stattliche Umfang der Sammlung ist auch bei Filmfirmen bekannt, die immer mal wieder anfragen, ob ein bestimmtes Stück vorhanden ist und ob dieses für einen Film verwendet werden darf. So wurden zum Beispiel die Filme ›Sophie Scholl‹, ›Speer und Er‹ sowie ›In einem anderen Leben‹ mit Fahrzeugen und anderen historischen Requisiten aus dem Rottauer Museum bereichert.
Auch der Besucher wird bei seinem Besuch im Museum schon von Weitem eingeladen, tolle Stunden mit sehenswerten Exponaten zu verbringen. So begrüßen im Eingangsbereich ein Panzer M47 aus dem Jahr 1953 sowie ein HS 30-Schützenpanzer aus dem Jahr 1961 den Besucher und stimmen ihn auf einen anregenden Museumsbesuch ein. Ein Besuch, der neue Eindrücke vermittelt, da Krieg aus nachdenklich machender Perspektive beleuchtet wird, was als bereichernd bezeichnet werden kann.
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Diesen Artikel finden Sie auch in Ausgabe 2/2021 auf Seite 32. Zum besagten Heft führt ein Klick auf den nachfolgenden Button!
Mehr Informationen zum Rottauer Museum:
Rottauer Museum für Fahrzeuge, Wehrtechnik und Zeitgeschichte | |
Rottau 11a | |
94060 Pocking / Niederbayern | |
Tel.: +49 (0)85 31-3 29 00 | |
E-Mail: info@rottauer-museum.de | |
www.rottauer-museum.de |
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