Das Computer-Bit als Zahnradzahn
Die Anfänge der Rechenmaschinen
Für Mathematikbegeisterte hält Bonn ein Museum der besonderen Art parat: Das Arithmeum. Hier kann man nicht nur sehr schön in chronologischer Abfolge erkunden, wie der Mensch von einfachsten Zählhilfen zu modernen Computern kam, sondern auch gleich ausprobieren, welche raffinierten Methoden findige Köpfe ersannen, um mittels Zahnrädern zum gewünschten Rechenergebnis zu kommen.
Rechnen ist seit jeher Pflicht, sollen Steuern korrekt eingetrieben und das Volk beziehungsweise das Vieh exakt bestimmt werden. Dazu haben Kulturen rund um die Welt unterschiedlichste Methoden ersonnen. So behalfen sich die Inkas mit geflochtenen Schnüren, um Zahlen auszudrücken, während die Japaner auf Stroh setzten, das sie kunstvoll flochten, um das gleiche zu erreichen. Sumerer wiederum nutzten Tonklumpen, in die sie Kerben eindrückten und diese danach brannten, damit niemand Änderungen daran vornehmen konnte.
Im Arithmeum gibt es viel Spannendes aus den Anfängen des menschlichen Strebens, mit Zahlen zu hantieren, zu sehen. Das Museum ist ein echtes Dorado, wenn es um Rechenmaschinen und Rechenverfahren unterschiedlichster Art geht. Hier gibt es zum Beispiel einen Rechentisch zu sehen, der im Mittelalter geholfen hat, die Grundrechenarten zu verstehen. Auf diesem Tisch wurde mit sogenannten ›Rechenpfennigen‹ hantiert, deren Zahlenwert durch die Lage auf dem Liniensystem des Rechentisches bestimmt wurde.
Bücher mit Schubkraft
Passend dazu finden sich im Untergeschoss jahrhundertealte Rechenbücher, vor denen man länger stehenbleibt, um diese auf sich wirken zu lassen. Zu sehen gibt es sogar ein Original vom berühmten Rechenmeister Adam Ries aus dem Jahre 1550. Sein abgebildetes Konterfei deutet man auf den ersten Blick sicher falsch, denn der grimmige Gesichtsausdruck ist wohl dem angestrengten Nachdenken bezüglich Mathematik geschuldet. Ihm kam die Erfindung der Buchdruckerkunst zugute, wodurch sein Rechenbuch breite Bevölkerungskreise erreichte. Auf diese Weise wurde das schriftliche Rechnen populär und Rechentische überflüssig.
Dadurch sprangen auch die Weichen für ein neues Denken in Sachen Mathematik um. Besonders interessant sind beispielsweise die Napier-Stäbe, mit denen es sehr einfach möglich ist, selbst große Zahlen rasch zu multiplizieren. Zur einfacheren Handhabung wurden diese schon bald in Trommeln eingebaut, wie es beispielsweise Caspar Schott tat. Eine Originalversion von 1679 befindet sich im Arithmeum. Wilhelm Schickard dachte weiter und hat auf der Grundlage der Napier-Stäbe gleich die erste darauf basierende Rechenmaschine erfunden, die er 1623 baute. Leider ist das Original in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen, weshalb Besucher mit einem Nachbau vorliebnehmen müssen, was der Faszination dieser Idee jedoch keinen Abbruch tut.
Überhaupt wartet das Museum mit sehr vielen Originalexponaten auf. Nachbauten sind die Ausnahme, wie etwa der Nachbau der Zählmaschine von Herman Hollerith, mit deren Hilfe via Lochkarten im Jahre 1890 in Amerika die Volkszählung durchgeführt wurde. Gegenüber dieser Maschine finden sich, hängend an einer Wand, zahlreiche Originalrechenmaschinen, die dokumentieren, was menschlicher Erfindergeist bezüglich Rechenmaschinen zuwege bringt, wenn dazu nur Zahnräder, Hebel und Federn zur Verfügung stehen.
Mathe als Weltsprache
Doch die an der Wand hängenden Exponate sind eigentlich „Jungspunde“ im Vergleich zu den „Rechenmaschinen“, die bereits um Christi Geburt verwendet wurden. Damals war insbesondere der ›Abakus‹ im Einsatz. In Fernost kannte und kennt man den ›Suanpan‹ (China) oder den ›Soroban‹ (Japan), während in Russland der ›Stschoty‹ vereinzelt auch heute noch genutzt wird. Allen Systemen ist gemeinsam, dass eine Zahl durch eine Kugel oder einen Schieber repräsentiert wird und durch geschickte Manipulation der Kugeln rasch selbst größere Zahlen fehlerfrei addiert oder subtrahiert werden können.
Dies ist in heutigen Computern nicht anders. Hier entspricht ein Bit praktisch einer Kugel. Findige Köpfe haben erkannt, dass man jedem Bit praktisch ein Zeichen oder eine Zahl zuordnen und auf diese Weise rechnen kann. Doch ist dies auch mithilfe von Zahnrädern machbar. Der Trick ist, dass diese Zahnräder teilweise besonders ausgeführt sein müssen, damit ein mechanischer Rechner funktioniert. Dazu gibt es im Arithmeum äußerst interessante Schaumodelle, die diese Verfahren demonstrieren. Beide Modelle hat der universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz erfunden: Das Staffelwalzenmodell und das Sprossenradmodell. Museumsbesucher können in aller Ruhe an den diesbezüglichen Modellen drehen, um das Funktionsprinzip zu verstehen.
Da das Staffelwalzensystem mechanisch wesentlich einfacher umzusetzen ist, basieren die meisten späteren Rechenmaschinen auf dieser Idee. Auch die absolut sehenswerte Originalmaschine von Johann Christoph Schuster aus dem Jahre 1820 funktioniert nach diesem Prinzip und kommt zudem mit dem kritischen Zehnerübertrag problemlos zurecht. Schuster war übrigens ein Schüler des berühmten Pfarrers Philipp Matthäus Hahn, der seinerzeit als „Uhrmacher Gottes“ bekannt war.
Im Museum gibt es sogar einen Nachbau der „rechnenden Turmuhr“ von Giovanni Poleni zu sehen, die der Physiker und Mathematiker zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Venedig konstruierte. Mit ihr konnten die vier Grundrechenarten ausgeführt werden. Dazu besaß die Maschine an der Vorderseite ein sechsstelliges Resultatewerk zum Einstellen und Übertragen der Werte. Sie arbeitete mit Sprossenrädern, Gewichtsantrieb und Spindelhemmung.
Die Idee mit den Sprossenrädern inspirierte auch den Wiener Mechaniker Anton Braun, der 1727 für Kaiser Karl VI eine überaus prächtige Tischrechenmaschine baute. Ein Nachbau dieses Wunderwerks ist natürlich im Arithmeum zu sehen. Diese Maschine muss Poleni tief beeindruckt haben. Jedenfalls zerstörte er der Legende nach seine „rechnende Turmuhr“, nachdem er die Nachricht von der Rechenmaschine Brauns erhielt.
Geschichte im Zeitraffer
Ein Streifzug durch das Arithmeum ist gleichzeitig ein Bummel durch 500 Jahre Feinmechanik. Im Zeitraffer wird die Geschichte menschlichen Erfindergeistes sichtbar. Aus dem Dunkel einfachster Rechenfertigkeiten betreten immer kompliziertere Rechenmaschinen die Bühne der Mathematik, deren Zahnrad- und Hebelgewirr den Betrachter staunen lassen. Im Geiste zieht man den Hut vor den Erbauern dieser Wunderwerke, deren Wirkungsweise selbst heute noch den Intellekt der meisten Erdenbürger übersteigt.
Im Arithmeum gibt es zum Beispiel ein ›Burkhardt Arithmometer‹ von 1890, die ›Brunsviga Modell 1‹ von 1892, eine ›Peerless‹ von 1910 und die ›Goerz A‹ von 1921 zu sehen – Rechenmaschinen, die den Büroalltag sehr erleichterten. Die Mechanik wurde immer ausgefeilter und komplizierter. Ein erster Höhepunkt dieser Entwicklung war für das Militär bestimmt: Verschlüsselungsmaschinen. Hier wurden Codes über ein kompliziertes Räderwerk erzeugt, um Morsecode beziehungsweise Befehle vor dem Gegner zu verbergen. Im Arithmeum gibt es diesbezüglich eine voll funktionsfähige Enigma zu sehen, die Einblick in ihre Technik gewährt.
Das Ende mechanischer Rechenmaschinen markiert die ›Hamann 1630‹ von 1969. Diese Maschine war derart kompliziert, dass sehr viele fehlerhafte Exemplare von den Produktionsbändern rollten. Die funktionsfähigen Exemplare konnten sich zudem am Markt nicht durchsetzen, da sie einfach zu teuer waren. In dieser Zeit kamen auch die ersten elektronischen Rechenmaschinen auf, die endgültig das Ende der mechanischen Rechenmaschinen einleiteten.
Röhre statt Zahnrad
Diesem Ende sah auch die berühmte ›Curta‹ entgegen, ein feinmechanisches Wunderwerk, das mit Staffelwalzen funktionierte und bereits in den 1940er Jahren von Curt Herzstark entwickelt wurde. Sie wurde von 1948 bis 1970 gebaut und war die kleinste mechanische Vier-Spezies-Rechenmaschine der Welt.
Das Zepter übernahmen elektronische Rechenmaschinen, die ohne komplizierte Mechanik auskamen. Darunter zum Beispiel das Modell ›Anita C VIII‹, die erste elektronische Tischrechenmaschine der Welt, die vom englischen Unternehmen Bell entwickelt wurde. Allerdings orientiert sich die Maschine bezüglich der Arbeitsvorgänge noch weitgehend an mechanischen Rechnern.
Natürlich wird auch die weitere Entwicklung der Rechnertechnik im Arithmeum erzählt, sodass Besucher mit einem umfassenden Wissen ihren Heimweg antreten werden. Besonders für Kinder und Schulklassen ist das Museum einen Besuch wert, da die dort vorhandenen zahlreichen Demonstrationsmodelle es erlauben, die Funktionsweise der Rechenmaschinen zu verstehen. Wer einmal gesehen hat, wie beispielsweise ein Sprossenrad arbeitet und auf welche Weise man mit Zahnrädern Zahlen addieren kann, der wird dieses Wissen problemlos auf die Computertechnik übertragen können, wo praktisch Transistoren die Funktion der Zahnradzähne übernehmen. Ähnliches gilt für das Rechnen mit dem Abakus oder mit Knoten in einem Seil.
Das Arithmeum ist ein ungemein lehrreiches Museum, wenn es um Zahlen, Mechanik und Computertechnik geht. Es wird allen Wissbegierigen empfohlen, die gerne den Dingen auf den Grund gehen möchten und von Aha-Effekten nicht genug bekommen können.
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Mehr Informationen:
Arithmeum | |
Lennéstraße 2 | |
53113 Bonn | |
Tel.: 0228-738790 | |
E-Mail: arithmeum@or.uni-bonn-de | |
Öffnungszeiten: 11:00 bis 18:00 Uhr (Di bis So) | |
Eintrittspreise: Normal: 3,00 Euro; Ermäßigt: 2,00 Euro | |
www.arithmeum.uni-bonn.de |
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