Gerichtsvollzieher heillos überlastet
Gesetzgebung verfehlt ihr Ziel
Die Qualität eines Gesetzes bzw. seine Sinnhaftigkeit erschließen sich zumeist erst in der Praxis im Zuge seiner Anwendung, Umsetzung und der Beobachtung seiner Auswirkungen. Vor gut dreieinhalb Jahren, genauer am 1. Januar 2013, trat das „Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung“ (nachfolgend Reformgesetz genannt) in Kraft. Eine Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung war von vielen Rechtsdienstleistern dringend eingefordert und zum Inkrafttreten des Gesetzes dann auch umso erwartungsvoller begrüßt worden. Doch der anfänglichen Freude und Hoffnung auf Erleichterung folgte sehr schnell die Ernüchterung.
„Für Gläubiger und deren Rechtsvertreter sollte die Reform ein echter Mehrwert sein; man muss allerdings, nachdem über 2 Jahre vergangen sind, sehr kritisch anmerken, dass mit diesen ganzen Neuerungen auch eine Überlastung der Gerichtsvollzieher eingetreten ist, die letztlich wieder zu Lasten der Gläubiger geht.“ So äußerte sich der Geschäftsführer der Bremer Inkasso GmbH, Bernd Drumann, bereits im Mai 2015 zum „Erfolg“ des Reformgesetzes. Seit dieser Aussage hat sich an der Lage der Gerichtsvollzieher und damit auch an derjenigen der Gläubiger so gut wie gar nichts verändert. Im Gegenteil.
Unzumutbare Überlastungen der Gerichtsvollzieher bundesweit zu beklagen
„Es häufen sich die Fälle“, berichtet Drumann weiter, „bei denen wir, kaum dass wir im Namen eines Mandanten einem Gerichtsvollzieher einen Vollstreckungsauftrag erteilt haben, den Eingang des Auftrages unter Ergänzung beispielsweise folgenden Textbausteins bestätigt bekommen: ‚Auf Grund der neuen Verfahrensweise und der aktuellen Überlastung durch hohen Krankheitsstand und der dadurch entstehenden Dauervertretungen sind die Bearbeitungszeiten drastisch gestiegen – leider können mehrere Monate vergehen, bis die Angelegenheit abgeschlossen ist! (sic!)‘ (so aus dem Bereich Hamburg, März 2016, über 3 Jahre nach Inkrafttreten der Reform).
Noch deutlicher kommt es z. B. aus dem Bereich Leer aus der ersten Jahreshälfte 2016: ‚Durch die Umsetzung der Reform zur Sachaufklärung kommt es bei den Gerichtsvollziehern zu zeitlichen Verzögerungen, weil die neuen Verfahrensabläufe sehr viel Zeit in Anspruch nehmen‘. Im Weiteren wird von Einschränkung der Außendiensttätigkeit gesprochen (durch mehr Büroarbeit) sowie von der Abgabe eigener Überlastungsanzeigen seitens der Gerichtsvollzieher, über deren ‚Erfolg‘ es kurz und knapp heißt: ‚Abhilfe wurde nicht geschaffen‘! Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen“, so Drumann, „und Bearbeitungszeiten unter drei Monaten sind schon gar nicht mehr der Rede wert.“
Inhalt des Gesetzes
„Das Reformgesetz brachte enorme Änderungen bei der Zwangsvollstreckung von Geldforderungen mit sich“, erklärt Bernd Drumann. „Eine erfolglose Zwangsvollstreckung ist z. B. nun nicht mehr die Voraussetzung für die Vermögensauskunft, vielen noch als Eidesstattliche Versicherung bekannt. Die Auskunft über das Vermögen eines Schuldners kann nun seit dem Inkrafttreten der Gesetzesreform an den Anfang der Vollstreckung gestellt werden.
Zudem darf der Gerichtsvollzieher jetzt bei Vollstreckungen von mindestens 500 Euro (wenn der Schuldner die Vermögensauskunft (s. o.) nicht abgibt oder wenn die angegebenen Vermögensgegenstände nicht ausreichend sind) direkt bei gesetzlichen Rentenversicherungsträgern, bei dem Bundeszentralamt für Steuern und beim Kraftfahrt-Bundesamt Auskünfte erheben. So lassen sich z. B. Konten, angemeldete Fahrzeuge oder auch der Arbeitgeber eines Schuldners ermitteln.“
„Des Weiteren“, ergänzt Drumann, „wurde ein neues Vollstreckungsportal im Internet eingerichtet, welches die Daten der auf Landesebene zentralisierten Schuldnerverzeichnisse zusammenfasst, was generell eine gute Sache ist. Aber bereits auf der Startseite zum Vollstreckungsportal wird darauf hingewiesen, dass entsprechend einer gesetzlich geregelten Übergangszeit von maximal fünf Jahren die bisherigen Schuldnerverzeichnisse fortgeführt werden. Und es wird ebenso ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man zur vollständigen Information über die Kreditwürdigkeit einer Person beide, das Schuldnerverzeichnis alter sowie neuer Prägung, betrachten muss. Eine Vereinfachung sieht für mich anders aus.“
Aufgaben eines Gerichtsvollziehers
Die Hauptaufgabe der Gerichtsvollzieher/-innen bestand und besteht in der Durchsetzung von Geldforderungen des Gläubigers gegen den Schuldner, auch durch Pfändung beweglicher Gegenstände. Zwangsräumungen fallen ebenso in sein Ressort wie Zustellungen und die Abnahme von Vermögensauskünften. Eine der neuen Aufgaben ist z. B. die Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis, ein Vorgang, der sich zeitintensiv und kompliziert gestaltet und der früher Sache der Amtsgerichte war. Auch die Abfragen bei anderen Behörden (s. o.) ist schwierig und zeitaufwändig. Und noch längst nicht überall sind die technischen Voraussetzungen für die elektronische Abfrage, die an die Stelle der Abfrage auf dem postalischen Wege treten sollte, geschaffen. U. a., weil dies Ländersache ist.
Überlastung allerorten – und nicht erst seit gestern
„Für viele Rechtsdienstleister war das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes im Bereich der Zwangsvollstreckung bereits Anfang 2013 mehr als überfällig. Auch wenn Neuerungen Zeit eingeräumt werden muss, damit sie umgesetzt werden können, war schnell klar, dass das wohlmeinende neue Gesetz in der Praxis weit hinter den Erwartungen zurückbleibt“, so Drumann. „Die Neuerungen brachten das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollten. Statt die Arbeit der Gerichtsvollzieher einfacher, effektiver und schneller zu machen, trat genau das Gegenteil ein: das Aufgabengebiet erweiterte sich, und allein durch die Abfrage bei anderen Behörden wurde die bis dato schon grenzwertige Bearbeitungsdauer eines Vollstreckungsauftrages auf ein unerträgliches Maß ausgedehnt.“
„Haben wir bereits im Jahr 2013 bei den Fällen, wo wir auf Grund zu langer Bearbeitungsdauer (meist mehr als 4 Monate) die Dienstaufsicht eingeschaltet haben, im Gegensatz zu 2012 einen Anstieg um 309 % verzeichnet, so ergibt sich in 2015 ein Anstieg von 490 % im Vergleich zu 2012. Tendenz für 2016: noch steigend. Die von diesem Umstand betroffenen Amtsgerichte sind über das ganze Land verteilt.“
Unzumutbare Zustände für Gläubiger und Gerichtsvollzieher – den Schuldner freut’s
„Die Effekte des erheblichen Mehraufwands auf die Bearbeitungszeit von Vollstreckungsaufträgen werden dadurch verschärft, dass die Ausbildung neuer Gerichtsvollzieher bereits viel zu lange vernachlässigt worden ist“, meint Drumann. „Schon vor der Einführung des Reformgesetzes hatten die Gerichtsvollzieher arg zu ‚strampeln‘. Hoher Krankenstand war und ist die Folge. Die Arbeit bleibt liegen, weil niemand da ist, der die Vertretung übernehmen kann. In der Zwischenzeit wächst der ‚Rückstandsberg‘. Kommt ein Gerichtsvollzieher genesen zurück, ist die Arbeit kaum aufzuholen, ganz zu schweigen von neuen Fällen und dem Mehraufwand durch das neue Gesetz. Erneuter Ausfall ist absehbar.
Darüber hinaus wurde von Seiten der Verantwortlichen weder der sich immer weiter verschlechternden Zahlungsmoral hierzulande Rechnung getragen noch wurden auf der Hand liegende Fakten wie das normale altersbedingte Ausscheiden von Personal beachtet. Jeder Unternehmer, der so arbeiten würde, wäre schon längst bankrott. Und von alle dem profitiert nur einer: der Schuldner! Der Gläubiger guckt in die Röhre, wenn ihm nicht vorher die Puste ausgeht. Das ist keinem Mandanten mehr wirklich zu vermitteln“, so Drumann ärgerlich.
Gläubiger – was tun?
„Generell bin ich der Meinung, dass man gerichtliche Verfahren möglichst vermeiden sollte“, so Drumanns Ansicht, unabhängig von der prekären Situation der Gerichtsvollzieher. „Nach meiner Erfahrung lassen sich nämlich gut 70% aller Forderungen zum Beispiel durch ein vorgerichtliches Inkassoverfahren auch ohne Gericht und Vollstreckung lösen. Liegen aber Titel und Vollstreckungsbescheid vor, weil sich der Gang zum Gericht nicht vermeiden ließ, sollte man als Gläubiger z. B. auf die Forderungspfändung etwa von Arbeitslohn oder Konto des Schuldners ausweichen, da hierfür nicht der Gerichtsvollzieher, sondern das Gericht zuständig ist. Aber wohl kaum ein Schuldner serviert einem dafür das eigene Konto oder den Arbeitgeber ‚frei Haus‘.
Wenn man nicht ohnehin schon mit Hilfe eines Rechtsdienstleisters den Weg vor Gericht genommen hat und dieser einem nun auch bei den folgenden Schritten behilflich sein kann, sollte man sich spätestens jetzt professionelle Hilfe holen. Rechtsanwälte oder auch Inkassounternehmen arbeiten mit Ermittlungsdiensten zusammen, die Arbeitgeber oder Konten ermitteln, wissen, wie und wo man eine Forderungspfändung beantragt usw. Aber leider“, so weiß Drumann auch zu berichten, „ist manchmal der einzige Trost für einen Gläubiger, dass ein Titel 30 Jahre Gültigkeit besitzt. Eine lange Zeitspanne, in der die Lebenssituation eines Schuldners sich komplett ändern kann.“
Nur spürbare Entlastung oder völliges Umdenken nötig?
„Ein ‚Mehr‘ an Gerichtsvollziehern allein ist nicht die Lösung. Die Reform der Sachaufklärung wird nun bald vier Jahre alt. Diese ‚Testphase‘ ist m. E. lang genug gewesen, um die Erwartungen und Vorstellungen mit der harten Realität abzugleichen, das Fazit ‚gut gemeint, aber schlecht gemacht‘ seitens des Gesetzgebers anzuerkennen und umgehend nachzubessern. Aber“, so ergänzt Drumann zum Schluss, „für mich ist das eigentliche Problem, dass eher die Schuldner eine Lobby zu haben scheinen als die Gläubiger, denn: Die Pfändungsfreigrenzen bei Schuldnern werden regelmäßig erhöht (aber auch für einen Gläubiger steigen die Lebenshaltungskosten), die Rechtsprechung zum Ersatz von Rechtsverfolgungskosten ist zu Lasten der Gläubiger uneinheitlich usw.
Den ‚Vogel‘ aber schoss der Gesetzgeber m. E. mit der Verkürzung der ‚Wohlverhaltensperiode‘ (Frist bis zur Schuldenfreiheit nach Privatinsolvenz) ab. Dass es nun auch den ‚Kuckuck‘ traf, wen wundert‘s.“
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