Weisser hat den schnellen Dreh raus
Laserauftragschweißen mit Rotationsdrehen vereint
Nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung der eigenen Technologie sieht die Werkzeugmaschinenfabrik WEISSER aus St. Georgen den 3D-Druck an. Die Süddeutschen kombinieren in einer Hybridmaschine das eigene schnelle Rotationsdrehen mit dem Extremen Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen EHLA des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT aus Aachen.
Im Schwarzwald entsteht eine Hybridmaschine der sehr flexiblen Art. WEISSER integriert in ein multifunktionales, horizontales ARTERY-Bearbeitungszentrum zwei Verfahren, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein können: Es handelt sich um das in St. Georgen entwickelte Rotationsdrehen und um das Extreme Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen EHLA des Fraunhofer ILT. „Wir kombinieren die Alleinstellungsmerkmale von zwei technologisch führenden Verfahren“, erklärt Matthias Brucki, Teamleiter für Process and Application Development Laser Material Deposition am Fraunhofer ILT. Der gemeinsame Nenner: Sowohl das Rotationsdrehen als auch EHLA sind anderen Verfahren bei der Geschwindigkeit und Qualität weit überlegen.
Das Ziel ist eine Hybridmaschine, die in einer Aufspannung dreht, fräst und additiv beschichtet. Diese neue Form der Komplettbearbeitung soll das einzelne Schleifen, Hartverchromen und Hartdrehen überflüssig machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Rotationsdrehen, bei dem eine gewölbte CBN-Werkzeugschneide am rotierenden Werkstück vorbei schwenkt. „Wenn eine gerade Schneide diese Bewegung macht, wäre eine Ausgleichsbewegung nötig, da sonst tonnenförmige Konturen auf dem Werkstück entstehen“, erklärt Thorsten Rettich, Geschäftsführender Gesellschafter und Geschäftsleiter für Technik (CTO) bei WEISSER. „Doch Ausgleichsbewegungen bedeuten Ungenauigkeiten. Mit der gewölbten, angestellten Schneide kommen wir ohne sie aus und erzeugen sehr viele saubere Schnittflächen.“
Rotationsdrehen: Schleifen entfällt
Das Rotationsdrehen senkt den Zeitaufwand im Vergleich zum Hartdrehen um bis zu 77%. Das belegen die Kennwerte von einer 4-Achs-Komplettbearbeitung von Getriebewellen: Die Eingriffszeit sank von 17,9 auf 6,0 s; Schnittgeschwindigkeit, Vorschub und Drehzahl erhöhten sich auf 280-320 m/min, 0,44 mm/Umdrehung und 2.230 min-1 (zum Vergleich typische Werte beim Hartdrehen: 160-200 m/min, 0,12 mm/min, 1.400 min-1). Trotz des höheren Bearbeitungstempo kann sich auch die Qualität sehen lassen: Bei einer Oberflächenqualität Rz von weniger als 1,5 µm und Genauigkeiten von IT5 bis IT6 können Schleifen bzw. Polieren entfallen.
Als i-Tüpfelchen fehlte nur noch ein entsprechend schnelles und qualitativ hochwertiges Verfahren, um z.B. Korrosions- oder Verschleißschutzschichten auf Rotationsbauteile aufzutragen. Das selbstentwickelte additive Reibschweißverfahren kam nicht infrage: Es arbeitete zwar deutlich schneller als übliche pulverbasierte Laserauftragverfahren, eignet sich aber aktuell nur für grobe Beschichtungsaufgaben wie das Aufpanzern von Verschleißschutzschichten.
EHLA: Ideale Ergänzung zum Rotationsdrehen
Die Suche endete in Aachen, als Rettich erstmals eine EHLA-Vorführung sah. „Wow cool, war mein erster Gedanke“, erinnert sich der Geschäftsleiter für Technik. „Hier stimmte alles: Das Verfahren arbeitet nicht nur super schnell und genau, sondern es geht auch ressourcenschonend mit dem Pulver um.“ Nicht nur Umweltaspekte sprechen nämlich gegen eine Integration üblicher pulverbasierter Auftragsverfahren in Werkzeugmaschinen: Bei ihnen fallen größere Mengen von Hartmetallpulverresten an, die für einen erhöhten Maschinenverschleiß sorgen, wenn sich Pulverpartikel etwa in Führungen und Kugelgewindetriebe festsetzen.
Die Experten für Präzisionsdrehen fanden sofort Gefallen an der Erfindung aus Aachen, die Bernd Sickinger, Leiter für Prozesstechnologie lobend als „negatives Drehverfahren“ bezeichnet, weil es Material nicht entfernt, sondern aufträgt. Das Geheimnis besteht in einer Verfahrensänderung: Die Pulverpartikel schmelzen bereits im Laserstrahl – und nicht wie sonst üblich erst im Schmelzbad. EHLA steigert auf diese Weise die erreichbare Vorschubgeschwindigkeit von bisher maximal 2 m/min auf bis zu 500 m/min; es trägt prozesssicher und ressourceneffizient rund zehnmal schneller mit 1000 cm²/min 10 bis 500 µm dünne Schichten auf. Hinzu kommt: Die Oberflächenrauheit Rz beträgt nur noch 10 bis 20 µm, bei konventionellen Verfahren fällt sie meist zehnmal höher aus. Gründe genug, warum EHLA als ressourcenschonende Alternative zum Hartverchromen gilt.
High-Power EHLA: Serienreife Beschichtung mit 5 m²/Stunde
Beide Verfahren, Rotationsdrehen und EHLA, zeichnen aus, dass sie sich bereits im Serieneinsatz bewährt haben und schnell, ressourcenschonend sowie qualitativ hochwertig arbeiten. „Als bereit für den Serieneinsatz“ bezeichnet Matthias Brucki vom Fraunhofer ILT das neue, leistungsstärkere Verfahren High-Power EHLA (HP-EHLA), das in der Stunde fünf Quadratmeter Beschichtung aufträgt. Besonders freut sich ein erfahrener Zerspanungsexperte von WEISSER auf die neue additive Herausforderung. „Eine unserer Kernkompetenzen ist ja das Kombinieren unterschiedlichster Fertigungsprozesse“, meint Bernd Sickinger, Leiter für Prozesstechnologie. „Mit EHLA gehen wir nun den nächsten Schritt, um in neue Dimensionen vorzustoßen.“
Der Vorstoß in neue Dimensionen geschieht in Aachen ab dem Sommer 2021, wenn das Fraunhofer ILT mit der neuen Hybridmaschine das Zusammenspiel von Rotationsdrehen und HP-EHLA erprobt und mit den Experten aus dem Schwarzwald neue hybride Verfahren entwickelt. Vision von Rettich: „Auf unserer neuen Hybridanlage lassen sich beispielsweise in einer Aufspannung Hydraulikzylinder mit Hochleistungsfunktionsschichten herstellen, die der Anwender nach Abnutzung auf der gleichen Maschine wieder „refresht“.“ Das ist ganz im Sinne seines leitenden Prozesstechnologen, der auf neue Verfahren hofft, mit denen sich durch den Ersatz konventioneller Technologie CO2 bei der Serienproduktion, beim Einsatz und Retrofit einsparen lässt.
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