Ein Beruf verschwindet
Gibt es bald keine Landärzte mehr?
Auf dem Land fehlen zunehmend Ärzte. Es gilt, eine Lösung zu finden. Die Anwerbung von Ärzten aus fernen Ländern ist jedenfalls die schlechteste aller Lösungen, meint Dr. med. Bernd Hontschik.
Ein Freund wurde nach gemeinsamen Studienzeiten Landarzt im hohen Norden. In großen Abständen trafen wir uns über die Jahre, und dann legten wir unsere Berufe nebeneinander, er Generalist allein auf weitem Land, ich Chirurg in einem Krankenhaus der Maximalversorgung in der Großstadt. Verschiedener können Berufswelten kaum sein.
Ich als Teil eines großen Teams in täglichem Austausch, er immer und mit allem ganz auf sich allein gestellt. Ich mit festem Gehalt, er mit wechselnden Punktwerten. Ich mit geregelter Arbeitszeit, er immer und jederzeit im Einsatz. Seine Patientinnen und Patienten kamen auch bei geschlossener Praxis mitunter hinter sein Haus in den Garten und klopften an die Scheibe, auch sonntags, auch an Weihnachten. Aber dennoch strahlte er eine beneidenswerte Zufriedenheit mit seiner Arbeit aus, er kannte seine Patienten und er kannte deren Familien, teilweise über Generationen hinweg. Seine Arbeit als Landarzt gab ihm eine große Befriedigung.
In Deutschland gab es Ende des Jahres 2020 537000 Ärztinnen und Ärzte, von denen etwas über 410000 in ihrem Beruf tätig sind, statistisch kommt also eine Ärztin oder ein Arzt auf etwa 200 Einwohner. Im Krankenhaus arbeiten 212.000, im ambulanten Bereich 161.000, davon 115.000 niedergelassen in eigener Praxis. Das wären knapp 700 Einwohner pro Praxis.
Man hört zwar oft von einem Ärztemangel, aber diese Zahlen sehen eigentlich nicht nach einem Mangel aus. Doch die Tücke steckt im Detail. Betrachtet man nur die etwa 44.000 Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin, so fällt auf, dass mehr als 17.000 über 60 Jahre alt sind, das sind fast vierzig Prozent! Daraus erwächst ein gigantisches Nachfolgeproblem.
Das Interesse junger Ärztinnen und Ärzte an einer hausärztlichen Tätigkeit wird aber von Jahr zu Jahr kleiner, und es gibt inzwischen immer mehr Arztpraxen, für die keine Nachfolge zu finden ist und die einfach nur zumachen. Bei einer Umfrage unter Medizinstudierenden landete die hausärztliche Tätigkeit zwar auf dem zweiten Platz, hinter der Inneren Medizin, aber etwa die Hälfte der Befragten konnte sich eine Tätigkeit auf dem Land nicht vorstellen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geregelte Arbeitszeiten im Team und ein Freizeit- und Kulturangebot sind dem ärztlichen Nachwuchs heute mindestens genauso wichtig wie eine befriedigende Arbeit. Das ist aber mit einer Landarztpraxis mit 60 bis 80 Stunden Wochenarbeitszeit nicht zu verwirklichen. Das gilt übrigens genauso für die Kinderheilkunde, bei der noch eine miserable Vergütung als weitere Abschreckung hinzukommt. Die fachärztliche Versorgung in den Städten wird also boomen, die haus- und kinderärztliche Versorgung auf dem Land wird mehr und mehr zusammenbrechen. Da und nur da ist der Ärztemangel zu lokalisieren.
Der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, hat gerade stolz die „Landarztquote“ gerühmt, die er vor drei Jahren per Gesetz ins Medizinstudium eingeführt hat: Wer sich dazu verpflichtet, sich nach insgesamt zwölf Jahren Studium und Facharztausbildung als Hausärztin oder Hausarzt in einer unterversorgten Region auf dem Land niederzulassen, für den gilt der Numerus Clausus nicht. Dagegen werden Tätigkeiten im Pflegebereich und im Rettungsdienst bei der Studienplatzvergabe positiv angerechnet.
Verbunden mit finanziellen Anreizen zur Niederlassung ist in NRW jeder 13. Medizin-Studienplatz der Landarztquote vorbehalten. Das ist eine gute Idee, die auch gezündet hat: Der Andrang ist groß, auf einen Studienplatz kommen sieben Bewerbungen. Ähnliche Programme gibt es inzwischen in acht weiteren Bundesländern.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an all diesen Programmen ist, dass erst frühestens im Jahr 2030 die ersten Absolventen bereitstehen. Bis dahin aber wird die Zahl der Haus- und Kinderärzte schon auf weniger als die Hälfte des Bedarfs dramatisch gesunken sein!
Ärzteorganisationen weisen außerdem darauf hin, dass es auch in den Städten zunehmende Versorgungsprobleme gibt, insbesondere in sozial benachteiligten Stadtvierteln. Sie fordern eine erhebliche Aufstockung der Zahl der Studienplätze und deutlich bessere Arbeitsbedingungen in der ambulanten Grundversorgung. Die Landarztquote bleibe Symbolpolitik, wenn nicht zugleich die Probleme hier und jetzt gelöst werden. Zweigpraxen, Telemedizin und mobile Arztpraxen in Omnibussen reichen dafür nicht aus.
Die Anwerbung von Ärztinnen und Ärzten aus fernen Ländern ist jedenfalls die schlechteste aller Lösungen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mehr Informationen zu Dr. Hontschik:
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