Welt der Fertigung
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Corona ist ein Flexibilitäts-Booster

Mitarbeiter sind selbständiger als gedacht

Home-Office ist das Mittel der Wahl, Unternehmen trotz einer Pandemie am Laufen zu halten. Drei Führungskräfte erläutern die damit gemachten Erfahrungen aus ihrer Sicht.

Andrea Glaub

Wenn Andrea Glaub morgens an der Tür ihrer Marketing-Mitarbeiterin vorbei geht, wundert sie sich immer mal wieder: Das Büro ist seit Wochen leer. Fünf Jahre war sie die Anwesenheit ihrer Mitarbeiterin gewohnt. „Wir haben sie komplett ins Home-Office geschickt, weil ihre Eltern zu Hause regelmäßige Unterstützung benötigen und auf Grund ihres Alters als Corona-gefährdet gelten“, erzählt die Geschäftsführerin von Glaub Automation & Engineering. Trotzdem hat sich an der Zusammenarbeit praktisch nichts geändert. Sie drückt die Kurzwahl am Telefon oder verabredet sich zu einem Online-Meeting. Die beiden Frauen kommunizieren täglich und tauschen sich bewusst auch privat aus – Business as usual.

Die Zusammenarbeit im Unternehmen klappt problemlos, weil die Büros und die Fertigungshalle des Automations-Spezialisten nur etwas leerer geworden sind. Vor allem die Programmierer verschwinden mit ihren Laptops öfters im Homeoffice. Baut jemand einen neuen Schaltschrank zusammen, nutzt er die großzügiger gestaltete Gleitzeit. Vieles ist in Salzgitter räumlich und zeitlich entzerrt worden. Dadurch konnten die Mitarbeiter individuelle Lösungen finden, die an dem einen Tag ganz anders aussehen können als an dem nächsten.

„Die Mitarbeiter regeln ihre Kommunikation untereinander selbst“, erkennt die 43-jährige Diplom-Betriebswirtin. Der Konstrukteur, der zu Hause konzentrierter arbeiten kann, weiß genau, wann er Kontakt mit der Fertigung aufnehmen muss, damit das Projekt im Fluss bleibt. Geregelt ist, dass immer einer der drei Obermonteure in der Fertigung ansprechbar ist, auch während den Phasen der Kurzarbeit. Die sieben Programmierer in Ungarn, die zeitweise mit strengeren Ausgangssperren zu tun hatten, haben selbst darauf gedrängt, sich häufiger zu Videokonferenzen zu verabreden. „Unsere Aufgabe als Führungskräfte ist oft die Kommunikation schlicht zu ermöglichen“, sagt Andrea Glaub, und sei es dadurch neue Webcams für PCs zu organisieren. Denn der Wunsch sich gegenseitig nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, besteht bei allen – mit Mimik versteht man sich besser. Dass die Chefin als Führungskraft durch die höhere Flexibilisierung vor einer größeren Herausforderung steht, kann sie nicht bestätigen.

Michael Zahm

Vergleichbar sieht es im badischen Lahr bei Partner für Innovation und Förderung, kurz PFIF aus. „Für uns ist es eine neue Erfahrung, unserem Team völlig zu vertrauen und loszulassen“, sagt Geschäftsführer Michael Zahm. Er spricht dabei für alle Führungskräfte des Hauses. Bis März vergangenen Jahres war das badische Unternehmen zurückhaltend, seinen Mitarbeitern die Arbeit im Homeoffice zu genehmigen. Etwa zehn Prozent konnten ihren Arbeitsort selbst wählen. Argument der Geschäftsführung und der langjährigen Mitarbeiter: In der Beratung ist Erfahrungswissen entscheidend und damit der schnelle, unkomplizierte Kontakt zu Kollegen – auch zwischendurch am Kaffeeautomaten.

Dann kamen die Corona-Maßnahmen. Und plötzlich hat sich das Verhältnis beinahe umgedreht: Drei bis fünf Mitarbeiter verlieren sich aktuell im Büro. Vor allem, weil sie zu Hause schlechtere Arbeitsbedingungen haben. Dem einen fehlt ein ausreichend großer Arbeitsplatz, den anderen stören die Unterbrechungen etwa durch die Kinder und der nächste benötigt schlicht sein Büro, um konzentriert arbeiten zu können. Erstaunliche Erfahrung für die drei Geschäftsführer – sie haben den Eindruck, dass die meisten eher etwas mehr oder effektiver arbeiten. Außerdem ist bisher nichts schief gegangen.

Die meisten Mitarbeiter sind Ingenieure, die es auf Kundenseite ebenfalls fast ausschließlich mit Ihresgleichen zu tun haben. „Der Anspruch die größtmögliche Präzision zu erreichen, ist immer da und damit der Glaubenssatz: Wir müssen so viel wie möglich kontrollieren“, erzählt Zahm. Doch dieses Prinzip funktioniert nicht mehr. Ob die Mitarbeiter acht Stunden vor Computer und am Telefon sitzen, ob die Projekte laufen, ob die Kunden zufrieden sind, die Führungskräfte müssen sich darauf verlassen, dass sich ihre Mitarbeiter melden, wenn es irgendwo klemmt. „Ich führe gegenwärtig nicht mehr Gespräche mit meinem Team, vielleicht längere zu speziellen Themen“, so der Lahrer Ingenieur.

Christoph Niewerth

Im Gegensatz dazu klagen laut aktuellem HR-Report des Personaldienstleisters Hays zusammen mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) viele Führungskräfte über die Umsetzung ihrer Funktion in Zeiten von Homeoffice. Drei Fünftel tun sich schwer, Mitarbeiter in ihre Entscheidungen einzubinden oder überhaupt Selbstorganisation zuzulassen. Begründung: Sie haben es schlicht anders gelernt. „Die Studienergebnisse machen klar, wie stark die Sozialisation der Führungskräfte innerhalb von starren hierarchischen Unternehmensstrukturen greift. Mehr noch: wie dieser Zustand die Entwicklung von New-Work-Arbeitsweisen behindert,“ so Hays-Vorstand Christoph Niewerth.

Entsprechend haben mehr als 70 Prozent der Führungskräfte Probleme damit, Macht abzugeben oder an einer Enthierarchisierung der Unternehmensstrukturen mitzuwirken. Während mehr als die Hälfte der 1000 Befragten feststellt, dass die Arbeit durch Corona sowohl zeitlich wie örtlich einen deutlichen Flexibilisierungsschub erhielt, behauptet lediglich rund ein Viertel, dass sich Führungs- oder Machtstrukturen verändern. Corona als Katalysator für die Flexibilisierung individueller Arbeit, aber kein entscheidender Treiber für eine demokratischere Unternehmensorganisation.

Die badischen Förder-Versteher tendierten schon vor Corona zu hoher Eigenverantwortung und Selbständigkeit ihrer Mitarbeiter. Die Zusammenarbeit mit den Kunden ist in Projekten organisiert. Auf PFIF-Seite besteht das Team immer aus einem technischen und einem kaufmännischen Berater. Vor allem Erstere sind oft deutschlandweit unterwegs und auf Zugfahrten oder Flügen das Arbeiten auf Laptops gewohnt. „Grundsätzlich stand im vergangenen Frühjahr die Organisation für größere Arbeitsflexibilität“, sagt Zahm, „wir mussten lediglich unsere Kaufleute ausstatten und von der Büropflicht befreien“.

Was die Führungskräfte allerdings merken ist, dass das Bedürfnis nach beruflichem und sozialem Kontakt am Arbeitsplatz groß ist. Trotz der manchmal als mulmig wahrgenommen Corona-Situation, kommen viele Mitarbeiter nach einiger Zeit im Homeoffice wieder für einen Tag ins Büro. „Ich denke, dass wir künftig eine hybride Arbeitsform bekommen“, ist sich der Geschäftsführer sicher. Ein paar Tage zu Hause, wenn viele Telefonate oder konzentrierte Schreibarbeit angesagt sind. Ein paar Tage im Büro, wenn intensivere Zusammenarbeit mit den Kollegen gefordert ist.

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