Neubeginn nach altem Muster
Wer ist im Corona-Expertenrat vertreten?
Dr. Hontschik beklagt, dass im Covid-19-Expertenrat viele Spezialisten und Experten fehlen, während andere Berufsgruppen überrepräsentiert sind.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, dass sich bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie einiges ändern werde. Das war höchste Zeit, denn wir drehen uns im Kreis. Die Infektionszahlen steigen, die Maßnahmen werden verschärft. Die Infektionszahlen sinken, die Maßnahmen werden beendet - und dann wieder von vorne.
Die Impfung war vor einem Jahr die große Hoffnung, aber plötzlich war das Auffrischen unausweichlich, das Boostern. Die Impfung sollte uns vor Krankheit und Tod schützen, aber mit der Zeit wurden mehr und mehr Impf-Durchbrüche bekannt, sogar auf Intensivstationen. Vierte, fünfte, sechste Wellen stehen ins Haus, mit vierten, fünften, sechsten Auffrischimpfungen ist zu rechnen. Ein Konzept, wie ein Leben mit dem Virus aussehen kann, ist nicht in Sicht.
Nun endlich gehört zu den ersten Veränderungen, dass ein Expertenrat zur Pandemie-Bekämpfung einberufen wurde. Der neue Gesundheitsminister spricht gar davon, man wolle sich bei der Pandemiebekämpfung stärker auf wissenschaftliche Expertise stützen. Worauf hat man sich bis jetzt gestützt? Welche Wissenschaften meint er? Warum hat es ein solches Gremium nicht von Beginn der Pandemie an gegeben? Stattdessen gab es bisher für jedes Konzept, für jede Maßnahme und für jede Prognose einen geeigneten Virologen oder eine passende Epidemiologin, die von Politiker:innen jeder Couleur bei Bedarf aus dem Hut gezogen werden konnten, wie es ihnen in den Kram passte. Damit soll nun also endlich Schluss sein.
Dem Covid-19-Expertenrat gehören 19 Expert:innen an. Wenn das kein gutes Omen ist! Betrachtet man die hochkarätige Liste, so fällt als erstes auf, dass es sich um fünf Frauen, aber um vierzehn Männer handelt. Das ist schade. Was noch mehr ins Auge fällt, sind die vertretenen Wissenschaften: Die Medizin, die Virologie, die Epidemiologie, die Physik, die Informatik, die Ethik, alle sind sie dabei, teilweise sogar mehrfach. Nicht dabei aber sind Vertreter und Vertreterinnen der Soziologie, der Pädagogik, der Kultur, der Klinischen Psychologie, der Ökonomie, der Rechtswissenschaften, der Unternehmer, der Gewerkschaften, der Geriatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Pflegewissenschaft, der Eltern, der Lehrer und Lehrerinnen sowie der Erzieher und Erzieherinnen: alles totale Fehlanzeige.
Die Wissenschaften vom Virus sind ausreichend vertreten. Die Wissenschaften von der Gesellschaft und die betroffenen gesellschaftlichen Gruppen sind dagegen überhaupt nicht vertreten. Dieses Virus wütet aber nicht in irgendeinem luftleeren Raum, sondern in unserer konkreten Gesellschaft.
Es ist richtig und wichtig, das Virus genau im Auge zu behalten. Aber die Veränderungen, die das Virus und seine Bekämpfung in unserer Gesellschaft verursachen, müssen ebenso genau im Auge behalten werden, denn die Bekämpfung des Virus hat mitunter schlimmere Auswirkungen als das Virus selbst. Das wird mit dieser Zusammensetzung des Expertengremiums komplett ignoriert. Nachberufungen sind angesagt. Nur dann besteht die Chance auf mehr Frieden in unserer immer aufgeregteren, unversöhnlicheren und zunehmend gespaltenen Gesellschaft.
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